Deutsche Splatterfilme an der Schwelle zu den 90er Jahren: es gab Andreas Schnaas, Olaf Ittenbach, Andreas Bethmann und Konsorten. Ihre Werke waren ungelenke Studien der Rezeption ihrer hierzulande verfemten meist italienischen Vorbilder: ein Fragment von Handlung lieferte den Anlass zum Splattern ohne Anspruch, will heißen: Erzähl- oder Schauspielbefähigung hatten hinter dem Effektfetisch auf ihre Einschulung zu warten. Und dann gab es noch Jörg Buttgereit, den Pionier der Berliner Supper-8-Szene. 20 Jahre ist es nun her, als sein Erstlingslangfilm „Nekromantik“ das Licht der Welt erblickte. Eine irritierende und sehr raue Melange aus Exploitation und Poesie, in der der junge Robert und seine Freundin Betty ihre Liebe zu Leichen erkunden. Zumindest so lang Robert durch seine Mitarbeit in der Firma Joes Säuberungsaktion für Nachschub sorgen kann. Denn mit seiner Entlassung verliert er auch Betty und ergreift verzweifelt die letzte Möglichkeit, ihre Nähe zu gewinnen: Im düsteren Finale aus Blut und Sperma ersticht er sich selbst, um ihr fortwährend als Toter ein guter Liebhaber zu sein.
Der Rest ist Legende: der Gore-Bauer war verschreckt, ein etwas progressiver gesinntes Publikum verhalf dem Film zum Kultstatus. Veröffentlichungen in Japan und den USA folgten, in Deutschland hingegen drohte das Banner der Zensur. Indizierung, gar zeitweise Beschlagnahmung der Fortsetzung 1993, bis der richterliche Freispruch die künstlerischen Ambitionen anerkannte und das kleine Jelinski & Buttgereit Label gerade noch vor dem Konkurs rettete.
Nun hat Herausgeber Buttgereit sechs ihm in verschiedenartiger Weise nahestehende Autoren ausfindig gemacht, um das Phänomen Nekromantik ein weiteres Mal beleuchten zu lassen. Er selbst hält sich vornehm zurück, steuert lediglich ausführliches Bildmaterial des Produktionsprozesses bei. Eine entsprechende Vielfalt ist geboten: Marcus Stiglegger liest „Nekromantik 2“ raumtheoretisch als Chiffre der verfallenen und sich neu formierenden Stadt Berlin, die Nekrophilie der beiden Protagonisten als Metapher „einer bröckelnden Betonwelt“; Christian Keßler geht in die Zeit zurück und betrachtet seine erste Begegnung aus der Warte des Fanboys, der, angeheizt ob der Gerüchte um letzte Tabubrüche, die der Film zelebriere, „irritiert, genasführt und in den Magen gepufft“ zurückblieb, sah man sich stattdessen doch „konfrontiert mit einem unglücklichen, isolierten Mann, dem die Natur einen grimmigen Streich spielt.“ Der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Neben Beiträgen von Dietrich Kuhlbrodt und Claus Löser sind es insbesondere, positiv wie negativ, jene Johannes Schönherrs und Linnie Blakes, die nochmals gesondert herausragen. Schönherr vollzieht den reality check eines Totengräbers, führt beiläufig ein in die Wirrungen einer in manchen Teilen zutiefst Angst einflößenden Zunft und lässt ein unangenehmes Gefühl dafür entstehen, was Verwaltung des Todes, aber auch Beziehung zum Körper nach seinem Ableben in seiner raubtierkapitalistischen Tragweite wirklich bedeuten. Sein Fazit: „Ich würde auf jeden Fall die liebevolle Fürsorge von Leuten wie Rob und Betty bevorzugen, sobald meine Zeit gekommen ist.“
Die englische Filmwissenschaftlerin Linnie Blake nun, laut Klappentext spezialisiert auf die Artikulierung nationalspezifischer Traumata im Horrorkino, verortet Buttgereits künstlerisches und ideologisches Anliegen in der Tradition des Neuen Deutschen Films, genauer gesagt in dessen Erkundung einer unzureichend aufgearbeiteten Vergangenheit. Dieses Vorhaben führt in seiner ganzen Absurdität schon mal zu einer Parallelisierung des Werk Buttgereits mit dem Syberbergs, der in seinem Machwerk „Hitler – Ein Film aus Deutschland“ das deutsche Volk als ein vom kollektiven zum handfesten Dämon Hitler sich materialisierten Unbewussten verführtes imaginiert, also weniger eine Schuldbekenntnis bezüglich Papis Machenschaften abverlangt, als eher dessen Entschuldigung pompös zelebriert, somit auch keinerlei Verwandtschaft – im Gegensatz zur Auffassung der Autorin – zu Claude Lanzmanns Methode der Spurensuche des Vergangenem in der Gegenwart aufweist, sondern sie höchstens mythologisierend ins Reaktionäre verkehrt.
Was das alles mit „Nekromantik“ zu tun hat? Eingedenk der unleugbaren Nazicodierungen in beiden Filmen sowie den zentralen Themen Sex und Tod bestehe eine Verbindung zwischen Buttgereit und dem Neuen Deutschen Film. Mit dem Schrecken der Vergangenheit und seiner ausbleibenden Aufarbeitung als Prämisse liege somit die Mitschuld des Mediums Film an diesem Zustand auf der Hand und dies exerziere Buttgereit beispielhaft durch, lautet die schmalbrüstige These. Von den Entsymbolisierungsstrategien des Punkrock keine Spur, ein zweijähriger Sid Vicious mit Hakenkreuz-T-Shirt kann dann eben etwas mehr bedeuten, als den Anschluss an einen Strang nationaler Filmkultur.
Davon abgesehen ist das Buch in allen Belangen empfehlenswert, mit dem minimalen Manko, dass es komplett zweisprachig vorliegt, was einerseits die Erprobung der englischen Sprachfähigkeiten erleichtern mag, andererseits jedoch den Inhalt radikal halbiert.
Jörg Buttgereit (Hrsg.): „Nekromantik“
Martin Schmitz Verlag, 2007. 232 Seiten. 17,80 Euro