Solche Bücher sind und bleiben eine Frage des Standpunkts: Einerseits kann kein Filmkanon der Welt den Ansprüchen der Repräsentativität genügen. Darüber weiter zu räsonieren wäre Zeilenschinderei. Andererseits würden allein die Genres der Länder, ihre Traditionen und Interdependenzen lexikalisch erfasst die Bücherregale unter ihrer monströsen Last begraben. Deswegen greifen die Autoren Frank Schnelle und Andreas Thiemann (ähnlich wie bei ihrem Vorgänger „Die 100 besten Filme aller Zeiten“, der 2007 ebenfalls beim Bertz+Fischer Verlag erschien) vorsorglich zu einem Kniff: Anstatt eine subjektive Auswahl zu treffen, die sich unweigerlich der in so vielerlei Hinsicht berechtigten Kritik der gewaltsamen Lücke aussetzen und das Autorenteam adressieren würde, lassen sie bereits existierendes Material sprechen, werteten rund 50 Bestenlisten von Journalisten, Autoren und Fans aus Büchern, Zeitschriften, Magazinen, Horror-Websites und Foren aus und präsentieren somit den Querschnitt bereits verfügbarer (im Anhang dokumentierter) Versuche der Kanonisierung – eine „Horrorliste aller Horrorlisten“, wie es der Klappentext formuliert.
Zu kritisieren gäbe es viel, vermisst wird eine ganze Menge und ungerecht ist das Ganze sowieso. Es entscheidet also allein der Geschmack: Wer filmhistorisches, genretheoretisches oder kulturwissenschaftliches Herantasten erwartet, fokussiert per se nicht solche Publikationen. Die Texte sind äußerst kurz geraten – pro Film zwei Seiten -, wollen allenfalls Zuneigung von der Dauer eines schüchternen Blicks vermitteln und müssen den begrenzten Platz zudem noch mit Stabangaben, Editionsempfehlungen und reichhaltigen Illustrationen teilen. Zwar versuchen die Autoren eklatante Lücken durch zehn weitere Empfehlungen zu schließen, füttern damit aber selbstverständlich vor allem den bösartigen Schlund des Listenwesens: Hätte nicht wenigstens ein Film die immerhin schon über eine halbe Dekade anhaltende Entwicklung zum drastischen Körperkino der verfemten so genannten torture porns abbilden müssen? Gab es in Spanien nicht wesentlich mehr zu entdecken als Alejandro Amenábars Debütfilm „Tesis“ angesichts einer jahrzehntelangen Tradition der Exploitation, die auf diesen Wegen notgedrungen ihre Francokritik verhüllen lernen musste? Überhaupt: wieso „The Descent“, aber kein Jean Rollin oder wenigstens Peter Jackson? Und grundsätzlich: Erzählt die Präsenz der sympathischen Zombieparodie „Shaun of the Dead“ nicht viel von der Geschichtsvergessenheit und Gegenwartsfixierung der Klassikersuchenden, wenig jedenfalls von der zweifelhaften Initialwirkung, die dem Film bereits qua Berücksichtigung angedichtet wird?
Bevor man sich also dabei ertappt, die bessere Liste zu entwerfen und dem Werk deswegen vorschnell an den Kragen will, sollte erinnert werden, was es sein möchte und darum zwangsläufig wird: nicht mehr und nicht weniger als eine Einladung für Neulinge zum ersten Erkunden eines fremden, enorm wuchernden Terrains und, wahlweise, eine begeisterte Bewunderung eines bestechlichen Strangs des narrativen filmischen Feldes, der immer schon in gleichen Teilen zur Subversion und Transzendenz wie zur erzkonservativen Reaktion neigte, oder eben eine einzige Provokation für diejenigen, denen solch kriterienscheuende Kanonisierungsversuche mehr Unheil als Segen stiften, weil sie sich unkritisch auf ihre Empirie verlassen. Alle drei Aspekte erfüllt das Buch ziemlich souverän.
Frank Schnelle / Andreas Thiemann: „Die 50 besten Horrorfilme und die Blu-rays oder DVDs, die Sie haben müssen“
Bertz+Fischer, Berlin 2010, 152 Seiten, 7,90 Euro