„Das Buch ist all jenen gewidmet, die die Zeit des deutschen Faschismus als das Grundübel der Geschichte des 20. Jahrhunderts betrachten und die jeden Beitrag zur historischen Aufklärung über diese Zeit begrüßen.“ Wer dazu gehört, wird auch die sorgfältige Arbeit begrüßen, mit der Filme, die die Nazizeit behandeln, „in den historischen und gesellschaftlichen Kontext einzuordnen“ unternommen wird. 542 Fußnoten! Akademisches Niveau ist gesichert. Dem Buch liegt eine Dissertation zugrunde.
Endlich macht jemand Ernst damit, freies Spiel in die Blickrichtung zu bringen: von der Filmanalyse (was will der Autor damit sagen?) zu dem, der im Kino oder vor dem Fernseher sitzt (was sagt mir das?), und wieder zurück. Das Ergebnis ist selbstredend „widersprüchlich“. Die Dialektik der Bilder ist von „potentieller Unabgeschlossenheit in den Erkenntniswerten“.
Sehr wahr. An Beispielen fehlt es nicht. Muster für außerfilmische Rezeptionssteuerung ist im Fall „Der Untergang“ eine „unheilvolle Allianz von ökonomischer Spekulation, publizistischer Macht und personalisierter Geschichtsschreibung“. Nun ja, der „Spiegel“ gehört nicht zu denen, denen das Buch gewidmet ist. Ich hätte mir gewünscht, mehr über „den“ Rezipienten, das unbekannte Wesen, zu lesen. Unser Autor avisiert zum Schluss den „Kampf der Rezipienten um die richtige Interpretation“. Doch werden die von Fest und Eichinger konditionierten Hitler-Gucker eher Hitler-Konsumenten sein und keine aufgeklärten Kämpfer für die gute Sache.
Wir werden da, wo Kannapin aufhört, weitermachen müssen. Hitler-Konsumenten sind das Produkt einer erfolgreichen Großkampagne. Wie auch in der populären Kultur sind Kaufentschließung und Senderwahl wenig rational begründet. Aber um diese Rezipienten wird es doch gehen müssen. Im Blick von Kannapin sind sie jedoch nicht, statt dessen wirft er Georg Seeßlen „unzureichende Wahrnehmung der Filme über die NS-Zeit“ vor.
Ja, mein Gott, es geht doch nicht darum, ob die Rezeption richtig oder falsch ist, sonst können wir den Blick auf den Konsumenten gleich ganz lassen. Wer recht hat, das bin ich, und alles andere werde „durch die hier vorgestellten historisch-politischen Einzelanalysen hinfällig“ (drittletzter Satz im Buch). Detlef Kannapin, das kann doch nicht wahr sein! Die traditionelle, aber unzureichende Filmanalyse soll das letzte Wort haben? Alles zurück auf Anfang? Ich bin entrüstet – entrüstet wie Seeßlen über die Behandlung der Nazizeit im deutschen Film, der „so kläglich, so verräterisch versagt, daß es schon deswegen schwerfällt, ihn zu verteidigen“. Das Zitat steht auf der letzten Seite im Kannapin-Buch, und wenn es Polemik ist, bitte, so ist es auch meine, als Rezipient.
Wie man sieht, ist das Buch an- und aufregend. Wenn es zum Widerspruch reizt, hat es seine Wirkung erreicht, und es ist beim Thema geblieben, der Widersprüchlichkeit des Bildes im Film. Es lässt sich einfach nicht erledigen.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 06/2006
Detlef Kannapin: „Dialektik der Bilder. Der Nationalsozialismus im deutschen Film“
Karl Dietz Verlag, Berlin 2005. 289 Seiten. 9,90 Euro