Es ist heiß in New York. So heiß, dass die Zeitungen voll davon sind und die Menschen in der großen Stadt nach einer kühlen Erfrischung lechzen – am Hydranten, am Eisstand oder mit ins Liebespiel integrierten Eiswürfeln. Die sengende Hitze eines schwülen Sommertages bietet für Spike Lee in „Do The Right Thing“ das ideale Wetter, um dem melting pot in seiner Peripherie, dem überwiegend von ärmeren Afroamerikanern bewohnten Bedford-Stuyvesant in Brooklyn, gehörig auf den Zahn zu fühlen. Und das weit gefächerte Figurenensemble um den von Lee selbst gespielten Mookie und die Pizzeria, in der er arbeitet, wird angetrieben von Vorurteilen, rassistischen Ressentiments, kulturellen Missverständnissen, Neid und Angst vor sozialer Vertreibung. Die Aggression, die an allen Ecken und Enden brodelt zwischen Schwarzen, Weißen, Braunen und Gelben, zwischen den Kulturen, Ethnien, Generationen, Geschlechtern und sozialen Schichten wird sich am Abend in einem heftigen Gewaltausbruch entladen. So pessimistisch, wie Lees Bestandaufnahme zum Zusammenleben unterschiedlicher Menschen in den USA Ende der Achtziger letztlich ausfällt, so sehr ist „Do The Right Thing“ auch ein im Sonnenlicht glänzender Film geworden voller Humor und Freude am Stil und den Ausdrucksformen urbaner Kultur(en).
Der Film ist Teil einer Reihe, die diesen April im Berliner Zeughauskino zu sehen ist: „Cinema of Outsiders: Part II“. Lees Meisterwerk schlägt auch eine Verbindung zum ersten Teil der Reihe, der 2013 das Augenmerk auf das US-amerikanische Independent-Kino der 1980er legte. Wie der Abschlussfilm des Vorgängers, Steven Soderberghs „Sex, Lies, and Videotape“, wurde auch „Do The Right Thing“ auf dem Filmfestival von Cannes 1989 uraufgeführt. In der Fortsetzung steht nun das US-Kino der Neunziger Jahre im Mittelpunkt, wobei das Augenmerk auf ambitionierten Filmemacherinnen und Filmemachern liegt, die versuchten innerhalb der großen Studios Filme nach ihren eigenen Vorstellungen zu drehen und dabei öfters auf erhebliche Widerstände stießen.
Darunter sind Regisseure wie Lee und Soderbergh, die sich mit eigenem Stil und eigenen Themen im Mainstream oder jedenfalls an dessen Rändern zu etablieren suchten. Andere wie Abel Ferrara oder John McNaughton hatten ihre Ursprünge im Exploitation- oder Autorenfilm (oder auch: dem Autoren-Exploitationfilm) und bekamen mit dem Horrorfilm „Body Snatchers“ und der starbesetzten Krimikomödie „Mad Dog and Glory“ (beide 1993) erstmals größere Produktionen anvertraut. Wieder andere blickten bereits auf eine bewegte Karriere zurück, etwa Stanley Kubrick, der mit der Schnitzler-Adaption „Eyes Wide Shut“ 1999 seinen ersten Film nach 12 Jahren realisierte, der sein letzter bleiben sollte oder Brian De Palma, dessen „Carlitos’s Way“ (1993) zu sehen ist, und der nach Dominik Graf „Mitte der 1990er Jahre als der glänzendste und gepeinigtste unter den US-amerikanischen Filmregisseuren seiner Generation“ galt.
Es nimmt dann auch wenig wunder, dass sich in vielen der gezeigten Filme die prekäre Situation ihrer Macher in der Filmindustrie zu spiegeln scheint. Die Geschichten erzählen vom unerbittlichen Kampf um seinen Platz in einer mal indifferenten, mal offen feindseligen Welt. In Albert Brooks „The Muse“ ist dieses Umfeld Hollywood, wo ein von Brooks selbst gespielter Drehbuchautor zu Beginn noch einen Preis einheimst, nur um wenig später nicht nur von einem besonders ekelhaften Studio Executive zum alten Eisen erklärt zu werden. „You lost your edge“, bekommt er zu hören, wo er auch hinkommt. Abhilfe soll eine Muse (Sharon Stone) verschaffen. Gewissermaßen ein Spiegelfilm zu Robert Altmans großem „The Player“ (1992), der seinerseits gut in diese Reihe gepasst hätte, in dem der ekelhafte Studio Executive, der die Screen Writers gar nicht nett behandelt, die Hauptrolle spielt. In „Carlito’s Way“ versucht ein alternder Gangster (Al Pacino) sich nach einem Gefängnisaufenthalt ein neues Leben aufzubauen und muss schließlich merken, dass einem in der Welt, die ihm umgibt, Gnade mit anderen, mit jüngeren und hungrigeren zum Verhängnis werden kann.
Szene aus „Showgirls“ (Foto: © Universum)
„Da ist immer jemand jüngeres und hungrigeres auf der Treppe hinter dir“ (die dich sehr buchstäblich zu Fall bringen wird) ist denn auch Gina Gershons Prognose für die Welt der „Showgirls“ in Las Vegas, in der Elizabeth Berkley als junge Tänzerin in Paul Verhoevens gleichnamigem Film (1995) Fuß zu fassen versucht. Das Show Business ist in „Showgirls“ eine infernalische Angelegenheit voller knallharter Hierarchien und extremem körperlichen Drill, bei dem Brustwarzen schon mal mit Eiswürfeln zum Stehen gebracht werden. Frau hat hier keine Chance sich zu behaupten, ohne sich zu verkaufen. Was Jacques Rivette über den Film schreibt, der von der Kritik gnadenlos verrissen wurde und beim Publikum durchfiel, und den er selbst für Verhoevens besten amerikanischen und persönlichsten hält, mag für viele in dieser Reihe gelten: „Es geht ums Überleben in einer Welt, die von Arschlöchern bevölkert ist.“
In Ferraras „Body Snatchers“ schließlich ist das Böse, das einem ans Leder will, nicht mehr nur ein äußerliches, sondern es dringt bis tief ins Innere des eigenen Körpers ein. In angenehm ökonomischen 80 Minuten holt Ferrara zu einem Rundumschlag in Genreform aus, der in dieser Reihe nur in „Do the Right Thing“ seinesgleichen findet und darüber hinaus das bitterböse, politisch ambitionierte US-Horror-Kino der Siebziger Jahre – insbesondere vielleicht von George A. Romero – fortschreibt. (Zu dem ohnehin eine Verbindung besteht, nämlich dadurch, dass John Carpenter mit „Memoirs of an Invisible Man“ (1992) im Programm vertreten ist.) Die adoleszente Protagonistin bekommt es auf einem Militärstützpunkt, auf dem ihr Vater als Biologe Untersuchungen durchführt, mit den außerirdischen Körperfressern zu tun, die die Menschen aussaugen und emotionslose Duplikate von ihnen erstellen, die nach und nach die Welt erobern sollen. Mit seinem Coming-of-Age-Film vor apokalyptischer Kulisse, in dem die Welt immer schon ein bisschen zu kaputt und abgefuckt ist, um das Erwachsenwerden in ihr noch als Option erscheinen zu lassen, eignet sich Ferrara das Genre an, um es für seine eigenen Zwecke zu gebrauchen. Für die emotionale Vergletscherung des Menschen, von der er erzählt, bildet sowohl das Militär als auch die dysfunktionalen Familiengefüge einen optimalen Nährboden.
Das Kino der Neunziger präsentiert sich in dieser Reihe immer wieder als ein Kino des Exzesses. In Amy Heckerlings Komödie „Clueless“ etwa ist es ein Exzess dessen, was man wohl first world problems nennt. Welche Sorgen beschäftigen eine Teenagerin (gespielt von Alicia Silverstone), die qua Geburt in Beverly Hills aller materiellen Sorgen auf Lebenszeit enthoben ist? Dieser Frage geht Heckerling 90 Minuten lang nach in einem Film, der sich bei allen Überspitzungen ins Satirische durch ein großes Interesse an Milieu und Figuren auszeichnet, einer Faszination davon, wie sich seine jugendlichen Hauptfiguren kleiden, wie sie reden, lieben, sich verhalten. Darin könnte man „Clueless“ beinahe als Gegenstück zu „Do the Right Thing“ am entgegengesetzten Ende des sozialen Spektrums bezeichnen.
Der wohl exzessivste Film der Reihe allerdings – vielleicht zusammen mit „Showgirls“ – ist Joe Dantes „Gremlins 2: The New Batch“. Warner Bros. drängte Dante zu einer Fortsetzung des sehr erfolgreichen ersten Teils, hatte dann aber einige Probleme mit seiner Vorstellung, wie dieses Sequel aussehen sollte. Dem Gebot folgend, dass in Fortsetzungen alles größer zu sein habe, wurde die Handlung von einer Kleinstadt in einen voll technisierten New Yorker Wolkenkratzer verlegt. Was schon mit einer wahrlich Dantesken Vision von Stadtentwicklung und futuristischen Technologien beginnt, wird mit voranschreitender Laufzeit immer wahnwitziger, immer durchgeknallter. Während sich die schleimigen Monster und Effizienz optimierten Chaosstifter immer wieder neue Arten einfallen lassen, den süßen kleinen Gizmo zu foltern, treibt der Film vor allem sein selbstreferenzielles und metafiktionales Spiel auf die Spitze. Opfer der Gremlins wird unter anderem ein Filmkritiker, der in seiner Fernsehshow zu einem epochalen Verriss des ersten „Gremlins“-Films anhebt. An einer Stelle bleibt der Film stehen und verbrennt im Projektor, an dem sich, wie man sogleich sieht, zwei Gremlins zu schaffen machen. Derart unterbrochen wurde eine Vorstellung von „Gremlins 2“. Zeit für Hulk Hogan, der im Publikum sitzt, aufzustehen, um den Kreaturen eine gehörige Ansage zu machen, damit der Film weiter gehen kann.
US-amerikanische Filme der Neunziger Jahre wieder und neu zu entdecken, dürfte gerade für diejenigen wie mich eine Herzensangelegenheit sein, deren Filmsozialisation maßgeblich in dieser Dekade erfolgte. Es ist umso löblicher, dass das Zeughauskino und Kurator Hannes Brühwiler die Gelegenheit geben, dies von historischem Filmmaterial zu tun. Mit Ausnahme von „Eyes Wide Shut“ werden alle Filme von 35mm-Kopien gezeigt. Eine Praxis, die im musealen Kinobetrieb eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, es aber leider nicht ist.