Es gibt keine Theorie des magischen Moments im Film, was nur logisch ist – handelt es sich doch um eine eher subjektive, zudem etwas wacklige Kategorie. Magie lässt sich schwerlich verwissenschaftlichen. Andererseits haben wir es mit einer kinematografischen Konstruktion zu tun, so dass es möglich ist, die verzaubernden Augenblicke im Kino auf ihre Bauelemente hin zu untersuchen und ihre spezifischen Mischungen zu benennen. Ein besonders geeignetes Beispiel dafür ist Fatih Akins Film „Im Juli“ (Deutschland 2000), der als Road Movie alle nur denkbaren komischen, abenteuerlichen, märchenhaft-phantastischen, kriminal- oder gangsterfilmhaften Momente aneinander reiht. Da dürfen die magischen nicht fehlen – schon darum, weil dieser Film gleich als Märchen beginnt: Der Hamburger Lehramtskandidat Daniel sieht sich unversehens im Besitz eines Zauberrings, verziert mit dem Sonnensymbol der Maya, der soll ihm den Weg zu seiner Traumfrau weisen. Dass ihn auf einer bulgarischen Landstraße das Naturereignis einer Sonnenfinsternis (der ganz realen vom 11. August 1999) überrascht, ist somit kein Wunder, jedoch wunderbar in den Drehplan eingebaut und gefilmt. Eine einsame Landstraße, eine Leiche im Kofferraum, eine schwarze Sonne – das ist Hitchcock mit einem Schuss Naturmagie.
Magische Momente sind in der Regel entweder durch das Genre oder, wie in diesem Fall, durch die Handlung legitimiert. Im Mystery-Genre stehen sie sich oft gegenseitig im Weg, lassen uns Hören und Sehen vergehen, finden aber die besondere Bewunderung der Technik-Freaks. Häufen sie sich, mögen sie als Mittel der Ironie durchgehen, versacken jedoch meistens in Stillosigkeit. In den wirklich großen Augenblicken des Kinos verdanken sie sich dem Kinematischen selbst, der Essenz des filmischen Erzählens und seiner Affinität zum Traum – sie sind dann cinéma pur.
Auf einer rein handwerklichen Ebene schließlich – „Im Juli“ wurde ja von einem guten Handwerker gemacht – kann man ihr Konstruktionsprinzip studieren. So scheinen die Bauteile in jener Szene, in der die Liebe zwischen Daniel (Moritz Bleibtreu) und Juli (Christiane Paul) die ersten zarten Keime treibt, dem Versandkatalog einer Firma für romantische Effekte (und Affekte) entnommen: Auf einem Donaukahn rauchen die beiden in lauwarmer Nacht gemeinsam einen Joint, am Himmel steht prall der Vollmond, alles ist in die magische Farbe Blau getaucht, entsprechend hingebungsvoll trällern sie im Duett „Blue Moon“, Richard Rodgers‘ Evergreen von 1933. (Im Drehbuch war „Friday I’m In Love“ von The Cure vorgesehen, das war leider zu teuer.) Und obwohl keine Steigerung mehr möglich scheint, erleben die Liebenden eine reale Elevation, die sie waagrecht schwebend in den mutmaßlich siebenten Himmel trägt. Einige Kritiker hatten schnell den Begriff „surrealistisch“ zur Hand, dabei hat die richtige Elevation, als „Erheben der Gebeine“, ihre Wurzeln in der römisch-katholischen Liturgie.
Eine andere Elevation scheitert kläglich und rutscht in jene Ambivalenz, die schon Heinrich Heine als romantische Ironie bezeichnet hat. Daniel will, nach genialer Berechnung aller physikalischen Parameter, sein geklautes Auto über einen Fluss setzen. Er startet, gibt Vollgas, hebt ab, das Vehikel schreibt einen eleganten Bogen in die Luft, doch bevor der Moment sich ins Magische schwingen könnte, kippt der Wagen in den Sturzflug und platscht zwei Meter vor dem Ufer ins Wasser.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin
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