Die schönsten Liebesszenen spielen in Hotelzimmern. In einem langen Kritikerleben kann es schon mal passieren, dass man solche waghalsigen Thesen zu Papier bringt. Hat man sie aufgeschrieben, findet man sie alsbald absurd, verwirft und vergisst sie – bis der nächste oder übernächste Film sie aufs neue schlagend zu bestätigen scheint.
Schlaflos im Tokioter Hotelzimmer, ein filmisches Impromptu in drei Sequenzen. Bob liegt flach auf seinem Bett, Charlotte hockt auf dem Fußboden, im Fernsehen läuft „La Dolce Vita“ mit japanischen Untertiteln. Die beiden kennen sich erst seit ein paar Tagen. Wann oder wo hat man sich eigentlich zum ersten Mal gesehen? Im Aufzug, meint Bob. Sie habe sogar gelächelt. „Ehrlich?“ fragt Charlotte, sie kann sich nicht mehr erinnern. Sie probiert verschiedene Arten zu lächeln aus. „So ungefähr war’s, das Lächeln“, sagt Bob, „vielleicht ein bisschen breiter“. Im Fernsehen planscht Anita Ekberg in der Fontana di Trevi.
Bob Harris (Bill Murray) ist ein alternder Hollywoodstar, der in Tokio seine Berühmtheit für einen Whisky-Werbespot verkauft, die junge Charlotte (Scarlett Johansson) ist liiert mit einem Szene-Fotografen, einem hektischen Möchtegern-Hipster, der keine Zeit für sie hat. In Sofia Coppolas „Lost in Translation“ (USA 2003) hat die Zufallsdramaturgie des Hotellebens die beiden für wenige Stunden zwischen Tag und Traum zusammengeweht. In den Nächten sieht Tokio wie Las Vegas aus, die Tage sind regenverhangen, ratlos erkundet Charlotte zwischen gläsernen Wolkenkratzern und zierlich-bizarren Parks die fremde Stadt. Ikebana und Karaoke, Kultur, Tourismus und fiebriger Kommerz bilden ein surreal wirkendes Gemisch – ein Durcheinander von Zeichensystemen, zwischen denen die Übersetzung gescheitert ist.
In der zweiten Sequenz blickt die Kamera von außen durch eine große Fensterscheibe ins Zimmer mit dem Paar, die Glasfläche reflektiert bildfüllend die elektrische Stadt, Autoscheinwerfer formieren sich zu Lichtketten, es sieht wie glitzernder Regen aus. Dahinter, grauweiß verschwimmend, die Konturen des Zimmers, die bleichen Gesichter von Bob und Charlotte. Sie sprechen über das seltsame Japan. „Warum vertauschen sie hier das R mit dem L?“ will sie wissen. „Och“, sagt Bob, „das machen sie nur so aus Spaß.“ Das Geheimnis der Phoneme, das Problem der Konsonanten – vielleicht sind sie nur Spielmasse im Transitraum zwischen den Sprachen und die Dolmetscher Jongleure, die mit Tausch und Täuschung hantieren.
Schnitt: Kameraaufsicht steil von der Zimmerdecke herab, Bob und Charlotte liegen nebeneinander ausgestreckt, in beinahe steifer Haltung auf dem großen Bett, ein bisschen sehen sie wie umgefallene Zinnsoldaten aus. Charlotte denkt über die Perspektivlosigkeit ihres Lebens nach. Was hat sie nicht alles versucht, Schriftstellerei, Fotografie – „ich weiß einfach nicht, was ich will, ich bin nur Durchschnitt.“ Ist das Leben, fragt sie Bob, einfacher, wenn man verheiratet ist? Ja, meint er, es sei einfacher, aber es werde viel komplizierter, wenn man Kinder hat. Nun sprechen sie über Kinder, sie wenden die Köpfe einander zu, die Kamera beobachtet aus der Nähe ihre Gesichter. Die Pausen zwischen den Sätzen sind genau bemessen: lang genug, um das Nachdenken hörbar zu machen. Wären sie länger, bekäme das Gesagte, mit Seelenschmerz beladen, zu viel Gewicht. Am Ende zeigt die Kamera die beiden wieder von oben. Charlotte liegt auf der Seite, Bob zugewandt, ihre Beine sind angewinkelt, Bobs rechte Hand berührt wie von ungefähr ihren Fuß. Die Kamera guckt, als warte sie, ob noch etwas gesprochen wird, dann kommt der Cut.
Auch die Wünsche der beiden, das, wonach sie sich vage sehnen, verliert sich in einem Transitraum, hält der Übersetzung ins Leben nicht stand.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin
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