Ein Stundenhotel im Pariser Osten. Wieviel nimmst du, will er wissen. Soviel wie möglich, sagt sie und hantiert vor einem Spiegel flüchtig mit dem Lippenstift: Tausend, wenn du willst. Jedenfalls nicht unter hundert. Sie zieht ihren schwarzen Lackmantel aus. Er blättert, achtlos beinahe, drei Geldscheine auf den Tisch. Kurz fliegt ein Staunen über ihr Gesicht, schleicht in ihre Stimme: Danke schön! Sie dreht ihm jetzt den Rücken zu, greift über die Schulter, um sich ihr Kleid aufzuknöpfen, und erwartet, dass seine Hand der ihren zu Hilfe eilt. Aber er beobachtet sie nur. Nicht nötig, sagt er. Du brauchst dich nicht auszuziehen.
Wir, die Zuschauer, wissen, dass Michel Piccoli kein Freier ist, sondern Max, ein Kriminalkommissar, der die schöne Hure Lili (Romy Schneider) in eine Falle locken will, um eine Bande kleiner Diebe zu einem großen Banküberfall zu animieren. Lili notiert in diesem Moment nur, dass dieser Kunde den üblichen Service offenbar verschmäht. Ein fragender, halb irritierter, halb belustigter Blick über die Schulter: Ja, willst du denn nichts von mir? Piccoli, im eleganten dunklen Dreiteiler, stoisch, unergründlich, lakonisch: Nein.
In „Max et les ferrailleurs“ (Das Mädchen und der Kommissar, 1971) beginnt nun, an den feinen Fäden des Regisseurs Claude Sautet, ein wunderbarer pas de deux, der zwischen Beobachten und Belauern, Abwägen und nüchterner Berechnung oszilliert. Gesponnen aus Reden und Schweigen, Intelligenz, Misstrauen, Neugier und Interesse. Lili ist perplex, kämpft um Sachlichkeit: Was machen wir aber dann? Er: Nichts. Mal zusammensitzen (Max hat sich hingesetzt). Sie blickt ihn an, will dann wissen: Hast du irgendwas? – Nein, warum? Sie lächelt unsicher, denkt nach, gibt zu, dass sie die Situation nicht versteht und streckt sich, im durchaus erfolgreichen Bemühen um Nonchalance, in ihrem rosa Samtkleid auf dem knallroten Sofa aus. Also machen wir gar nichts? Sie mustert ihn, ihre Augen werden schmal, sie entschließt sich, zu rauchen.
Kurze Fragen, kurze Antworten, lange Pausen. Ein Wortwechsel als Balanceakt, dem das Nichtausgesprochene eine schwebende Unwägbarkeit verleiht. Man taxiert einander, aus ganz unterschiedlichen Beweggründen. Max zelebriert Undurchdringlichkeit, zündet sich eine Zigarette an, wartet und lächelt. Lili ist auf der Hut, ununterbrochen arbeitet ihr Verstand, ihre Gedanken spazieren auf einem dünnen Seil. Wie heißt du eigentlich, fragt er, und sie gesteht, dass sie Lili heißt, dabei zuckt sie mit den Schultern, als wolle sie sagen: So ist es nun einmal. Und nimmt jetzt ihn ins Verhör: Dein Name? Max behauptet, er heiße Felix. Lili erlaubt sich, ein Lächeln anzudeuten. Und was macht er beruflich, der Felix? Sanfter Spott zischt in ihrer Frage mit. Max schweigt, lässt sie raten. Sie flattert zum Spiegel, kämmt sich die Haare, schlägt vor: Anwalt? Juwelier? Milchmann? Polizist? Abgeordneter? Bankier? Aus dem gegenseitigen Belauern ist nun ein Spiel filigraner Sympathien geworden. Ja, sagt Max, er sei Bankier. Dann bist du also reich? – Es geht. – Prima, sagt Lili.
Das Spiel kann weitergehen. Gut wird es nicht enden.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin
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