Belleville, belle et rebelle

(FR 2021; Regie: Daniela Abke)

Das Verschwundene bewahren

„Besser schön und rebellisch als hässlich und langweilig“, lautet der kämpferische Wahlspruch, der Daniela Abkes Dokumentarfilm „Belleville, belle et rebelle“ den Titel gab. Zitiert wird er von der Sängerin Minelle Guy, die mit ihrem Akkordeon und einem Repertoire an alten Liedern im Restaurant „Le Vieux Belleville“ Gesangsabende veranstaltet. Dessen Besitzer Joseph Pantaleo öffnet morgens die Türen und Fenster zu seinem „Restaurant Musette“, das als Treffpunkt unterschiedlichster Quartier-Bewohner zum Spiegelbild des titelgebenden Pariser Stadtviertels Belleville, seiner Geschichte und seines rebellischen Geistes wird. „Vive la commune, 1871“ ist in eine Hauswand des geschichtsträchtigen Viertels im 20. Arrondissement geritzt, das traditionell von Einwanderern, Künstlern und Linken bevölkert wird.

Zu ihnen gehört auch der hochbetagte Maurer und baskische Anarchist Lucio Urtubia (1931-2020), der das Kulturzentrum „Espace Louise Michel“ in der Rue des Cascades leitet und noch immer angriffslustig und humorvoll seine Ideale verteidigt. „Anarchie ist der höchste Ausdruck der Ordnung“, steht auf einem Schild vor seiner Eingangstür. Zusammen mit dem Fremdenführer Olivier Loudin geht er über den nahen Friedhof Père Lachais, um die Gräber ehemaliger Mitglieder der Pariser Kommune zu besuchen. An der Ruhestätte von Jean-Baptiste Clément stimmen die beiden dessen Liebes- und Protestlied „Le temps des cerises“ an. Überhaupt wird in Daniela Akes in Schwarzweiß und Cinemascope gedrehtem Film viel gesungen, als versicherten sich die Menschen dadurch ihrer Geschichte, ihren Gefühlen und ihres Zusammenhalts.

Für den ebenfalls 1931 geborenen Erzieher, Filmemacher und Schriftsteller Robert Bober, der einst auch Assistent von François Truffaut war, ist in den Liedern das Verschwunden aufbewahrt. So sammelt er alte Liedblätter, daneben aber auch alte Fotografien, auf denen zu sehen ist, was heute durch Abriss und städtebauliche Neuordnung fehlt. Dabei erinnert Bober feinsinnig auch an jene Häuserzeilen, die einst dem Regisseur Jacques Becker für seinen Film „Goldhelm“ als Kulisse gedient haben. Auch der Wirt des „Vieux Belleville“ ist ein leidenschaftlicher Nostalgiker, der auf Fotografien von Robert Doisneau seinen Kindheitserinnerungen nachspürt und einen Maler beauftragt, auf den Wänden seines Lokals die früheren Straßenansichten zu verewigen. So wird Daniela Abkes vielstimmiges Portrait eines Stadtviertels nicht nur zur romantisch verklärten Hommage an linke Ideale, sondern zugleich zu einem Zeugnis der in Liedern, Geschichten und Fotografien bewahrten Erinnerung an eine verschwundene Zeit.

Belleville, belle et rebelle
Frankreich 2021 - 98 min.
Regie: Daniela Abke - Drehbuch: Daniela Abke - Produktion: Daniela Abke - Bildgestaltung: Isabelle Casez - Montage: Sebastian Winkels, Daniela Abke - Musik: Alexander Buck - Verleih: Real Fiction - Besetzung: Joseph Pantaleo, Lucio Urtubia, Minelle Guy, Riton La Manivelle, Robert Bober, S.C. Turner
Kinostart (D): 13.10.2022

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt15444298/
Foto: © Real Fiction