Punch Drunk Mentsh

Adam Sandler und die Mentshlekhkeyt in sechs Variationen
von Thomas Hemsley

Seit Adam Sandler in „Punch Drunk Love“ für Paul Thomas Anderson erstmals eine dramatische Rolle übernommen und darin geglänzt hat, arbeitet er alle paar Jahre für anerkannte ernste Filmkünstler und begeistert immer wieder aufs Neue die Kritiker (aktuell mit „Uncut Gems“ der Gebrüder Safdie), die den größten Teil seines eigentlichen (und kommerziell höchst erträglichen) künstlerischen Oeuvres – seine Komödien – nicht ernst nehmen.

Diese kritische Dissonanz hat aber weniger mit Adam Sandlers beachtlichem (Multi-)Talent zu tun, sondern ist auf folgendes zurückzuführen (ähnlich wie kürzlich bei Eddie Murphy):

– Sich als intellektuell gerierende können nicht mit dem Genre Komödie umgehen.

– Besonders nicht mit den Niederungen des vulgären Humors: Zoten, Klamauk, Fäkalhumor, Frivolität, Furzgags und dergleichen sind grundsätzlich einfach geschmack- und niveaulos und deswegen nicht weiter kritisch betrachtbar.

– Zwar sind Künstler und Werk unbedingt zu trennen, aber diese Differenzierungsfähigkeit geht den meisten Kritikern ab, wenn es um die individuelle Bewertung von Genres, Filmen, Rollen und Performances geht, d. h. wenn ein Film nicht gefällt, dann überträgt sich das auf die Beurteilung der Performance etc. Deswegen kann Sandler in den „ernsten“ Filmen im Grunde genommen ähnliche Charaktere genauso gut spielen wie in seinen Komödien, sie werden eben nicht mit denselben Maßstäben goutiert.

Am augenfälligsten ist das bei Judd Apatows „Funny People“, der zu den „ernsteren“ (Tragi-?)Komödien – auch Apatows – gehört, beziehungsweise ein Drama über Komiker ist, der aber auf Drehbuch- und Regieebene und den anderen Performances (Seth Rogen ist hier schauspielerisch noch nicht so weit) diesen Drahtseilakt nicht ganz hinbekommt. Sandlers Rolle aber ist sehr komplex und tiefgründig und er meistert sie mit intensiver, dunkler Bravour. Die Wut, die zu seiner Persona dazu gehört, hat hier einen triftigen Grund und auch ein Ziel: sich selbst, die Krankheit und die ganze Welt – manchmal brodelt da ein unglaublicher verzweifelter Hass, geradezu mephistophelisch.

Auf der Popkulturseite des New York Magazine Vulture gibt es von deren „Comedy-Kritiker“ Jesse David Fox eine sehr schöne Würdigung von Adam Sandlers Gesamtwerk. An dieser Stelle sollen nur sechs exemplarische Filme der „unernsten“ Art aufzeigen, dass man gerade in seinem komischen Werk den ganzen Sandler unter, hinter oder in den Furzgags finden kann.

© Universum

The Wedding Singer
Die Essenz von Adam Sandlers Kunst ist die Musik bzw. musical comedy. Er steht dabei in einer sehr jüdisch(-amerikanisch) geprägten Linie der wichtigen Broadwaykomponisten/-texter von Tom Lehrer über Mel Brooks bis Weird Al Yankovic.

Die Rolle eines pofessionellen Musikers, das Gerüst der romantic comedy und 1980er-Nostalgie und seine Chemie mit Drew Barrymore helfen ihm wohl dabei, sein schauspielerisches Talent zu fokussieren und einige Noten zu spielen, die er bisher nicht spielen durfte bzw Teile seiner Persona (die Wut) zu bündeln und eher dramatisch zu nutzen.

Dies ist also sein eigentlicher dramatischer/schauspielerischer Durchbruch, sein erster Beweis, dass er innerhalb der Komödie mehr kann als das, was er bisher zeigte. Laut, leise, vulgär, sensibel, albern, nachdenklich, brodelnde Wut, ausbrechende Wut, jüdisch, sentimental, human, romantisch, loyal – der ganze Adam Sandler ist hier noch in teilweise roher Fassung enthalten.

© Sony Pictures

Click
Ab und an koppelt Sandler eher fantastische Szenarien mit seinem typischen vulgären Humor, quasi Metaphysik mit Furzgags. Das Meisterwerk dieses magischen Vulgarismus ist der von „The Wedding Singer“-Regisseur Frank Coraci inszenierte „Click“, der, wenn er mit Bill Murray und von Harold Ramis wäre und im nicht-vulgären Gewand der romantic comedy daherkäme, nicht unbedingt besser, aber besser rezipiert wäre, vor allem im Nachhinein wie eben „Groundhog Day“.

Zwei Szenen: der wahrscheinlich beste Furzgag aller Zeiten: ein Furz, der aus dem Szenario und der Charakterdynamik heraus entstanden ist, der der aufgestauten Wut des Protagonisten, seinem ganzen Frust mit seinem Chef ein Ventil gibt. Eine Szene mit der sich jeder, unabhängig von Alter, Sozialstatus und Bildungsgrad identifizieren kann: einmal die Zeit anhalten und der Autoritätsfigur voller Inbrunst ins Gesicht furzen. Ein Furz klingt ja nicht nur lustig, ein Furz hat auch etwas Rebellisches, etwas Anarchisches (man denke an den heimlichen Furz im vollen Aufzug), und weil unser Verdauungstrakt sehr intelligent ist, sind Blähungen auch häufig ein Zeichen von echter Verstimmung, echtem Unbehagen an einer Situation.

Da die magische Fernbedienung Muster erkennt und automatisch über den Tod des Vaters des Protagonisten spult, versucht er, als er seine Fehler im Umgang mit dem Gerät erkennt, seine letzte Erinnerung noch mal zu durchleben, eine Erinnerung, in der er selber geistig abwesend war (auch hier durchgespult), und er spult diesen kurzen Moment immer wieder zurück – hier wird der Film nicht nur todtraurig, sondern geradezu tragisch. Wessen Herz da nicht zerrissen wird, der hat wahrscheinlich noch nie den Verlust geliebter Menschen erleben müssen und kann sich das auch nicht richtig vorstellen. Auch hier keine Schnulze, sondern echtes Gefühl, man muss noch nicht mal wissen, dass Sandlers Vater kurz vorher verstarb.

© Sony Pictures

You don’t mess with the Zohan
So befremdlich es auch für seine Gegner, und vielleicht auch einige seiner Fans, sein wird, aber nüchtern betrachtet wird sein eigentliches Vermächtnis besteht in der (positiven) Normalisierung eines facettenreichen, lebendigen, modernen, nicht immer religiösen, aber doch sehr stolzen Jüdischseins.

Die größte Verdichtung dieses Aspekts seiner Arbeit, der mit dem Songklassiker „The Chanukah Song“ erstmals prominent zu sehen war, findet sich in dieser grandiosen Komödie, deren (Super-)Held eine der schillerndsten komischen Kreationen der letzten Jahre ist.

Und trotz der New Yorker und der jüdischen Spezifika, und der dezidierten pro-Israel-Botschaft, ist er doch auch (im positiven Sinne) globalistisch/kosmopolitisch und Multikulti wie kein anderer Film. Die vermeintliche Araber/Palästinenser/Islamfeindlichkeit ist ein teilweise sehr liebevoller Spott, den der Film ja auch für seine Hauptfigur übrig hat. Zumal der Terrorist (herrlich überdreht von John Torturro gespielt) eigentlich ein Spiegelbild des Helden ist: Sowohl der Terrorismus als auch die Geheimdiensttätigkeit steht der Verwirklichung ihrer Träume, ihrer wahren Identität im Weg.
Letztlich ist der Film vor allem ein Manifest gegen Hass. Und er verknüpft seine humanistische Botschaft mit dem Jüdischen.

© Sony Pictures

Hotel Transylvania
Der israelisch-amerikanische Kulturkritiker Liel Leibovitz hat für das jüdisch-amerikanische Magazin Tablet einen jüdischen Subtext für die Animationstrilogie herausgearbeitet und vor allem mithilfe der Biographie des Regisseurs Genndy Tartakovsky plausibel untermauert.

Aber selbst ohne diesen Subtext gehören die Filme zu Sandlers besten. Dass sie visuell teilweise so berauschend inszeniert sind, mit einer unglaublichen Gagdichte, ist das Verdienst des Regisseurs. Dennoch ist es auch zu sehr großen Anteilen ein klassischer Sandler: mit Freunden besetzt, voll magischem Vulgarismus, mit Songs (teilweise) aus seiner Feder und seinen typischen Themen: Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Familie, Freundschaft, (subtextuell) Jüdischsein und Urlaub/Rumhängen.

Und Sandler gibt alles in seiner Stimmperformance: Verstellte Stimmen sind ja nichts Neues, aber normalerweise sind sie infantil und nervig, hier schlägt er dunklere Töne an. Und gibt seinem Dracula einen osteuropäischen Akzent, der entweder einfach transylvanisch sein soll oder eben auch als Akzent aus Osteuropa emigrierter Juden gelesen werden kann – Sandler selbst stammt von russischen Juden ab.

© Sony Pictures

Grown Ups
Sandler wird gerne vorgeworfen, im Grunde genommen mit seinen Freunden an schönen Orten rund um die Welt Urlaub zu machen und dabei so nebenher eine Art Urlaubsfilm herauszubringen. So auch bei den inzwischen zwei „Grown Ups“-Filmen. Und tatsächlich sind die beiden Filme sehr entspannt erzählt, wimmeln vor unausgegorenen Gags und verbreiten die ultimative Hangoutmovie-Atmosphäre, vor allem weil die Macher vor und hinter der Kamera genau das gemacht zu haben scheinen.

Aber spätestens wenn Sandler sich in seinem Chris-Farley-Tributsong danach sehnt, mit seinem vor Jahren verstorbenen Freund den dritten Teil dieser Reihe zu machen, dämmert es einem, dass der verstorbene Basketballcoach in der Story des ersten Films womöglich keine Referenz an „The Big Chill“ ist, sondern ein Hinweis darauf, dass Sandler und seine SNL-Freunde das Herz ihres Kreises betrauern.

Letztlich sind seine Filme immer Oden an die Bündnisse in der Familie, Freundschaft und Liebe, die wir im Leben eingehen. Zum Thema Freundschaft gibt es keine bessere Ode in seinem Werk als diese beiden Filme.

© Netflix

The Week Of
Die schönste Ode an die Familie ist das Regiedebüt Robert Smigels, der schon an den Drehbüchern für „You don´t mess with the Zohan“ und „Hotel Transylvania“ mitwirkte.

Wie selbstverständlich werden hier Schranken zwischen Ethnie, Religion, vor allem sozialer Schicht und Generationen überschritten, was nicht bedeutet, dass sie als inexistent deklariert werden, sondern lediglich als irrelevant. Und die wichtigste integrative und Grenzen überschreitende Kraft ist die Familie. Das mag vielen zu viel Schmaltz sein, aber ein Hang zu sentimentalen Emotionenen durchzieht Sandlers Oeuvre von Anfang an, gekoppelt mit humanistischen Botschaften.

Vielleicht ist Humanismus ein zu sehr intellektuell aufgeladener Begriff, vielleicht sollte man sich hier des Jiddischen bemächtigen, in dem es den Begriff mentsh gibt, der etwas mehr bedeutet als das deutsche Mensch, dem der Begriff entlehnt ist. Im Deutschen ist es eine reine Beschreibung einer Spezies, im Jiddischen ist es die Beschreibung eines Charakters, quasi ein guter, großherziger, ehrenhafter Mensch, kurz: ein humaner Mensch. Das heißt, man muss nicht von Humanismus sprechen, sondern von Mentshlekhkeyt.

Diese Mentshlekhkeyt, die sein gesamtes Werk grundiert, ist in dem Comedy-Special „100% Fresh“ aus dem Jahr 2018 geradezu greifbar – in den liebevoll beobachteten Details seiner Geschichten und der nahbaren und verletzlichen Offenheit besonders in den drei zentralen Songs: Seine Hymne aufs Jüdischsein „Barmitzvah Boy“ ist sicherlich autobiographisch gefärbt und doch für jüdische Kinder (auch den Batmitzvah Girls) universell; sein Tributsong an Chris Farley sollte selbst Nichtfans von Farley unter die Haut gehen, wenn Sandler z. B. aufmerksam bemerkt, dass sein Freund beim Hören von glücklicher Musik weint und dieser dann erklärt, dass er an seinen Vater denken muss (später im Song bemerkt er fast nebenbei, wie diesmal der Vater bei der Beerdigung seines Sohnes weint – so was nennt man Poesie); zum Schluss verwandelt Sandler das Liebeslied „Growing old with you“ aus „The Wedding Singer“ zunächst in eine Ode an seine Ehefrau und dann – visuell unterstützt von einer Flut an Bildern aus seinem Privatleben und seinen Werken – mithilfe einer kleinen Änderung des Personalpronomens im Refrain („me“) in ein Dankeschön an die Menschen, die im Guten wie Schlechten mit ihm aufwuchsen. Bleibt zu wünschen, dass irgendwann mal jemand seinen schon mehrfach veränderten Chanukah-Song um eine Würdigung des Mentsh Adam Sandler ergänzt.

Foto: © Universal (aus "Punch Drunk Love")