Krazy Kat

Aus dem Keller ins Feuilleton
von Sven Jachmann

George Herriman (1880-1944) war der erste und einzige Comickünstler, dem der US-Zeitungsmagnat William Randolph Hearst, es muss irgendwann zwischen 1910 und 1920 gewesen sein, eine Festanstellung auf Lebenszeit anbot. Zu einer Zeit, in der Comics im Trial-and-Error-Verfahren ihr Zeitungspublikum fanden und bei Misserfolg genauso schnell wieder verloren, kann dieses Refugium, das Hearst Herriman verschaffte, indem er ihn allen kommerziellen Drucks enthob, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ob dieses Angebot den Comic-Zeichner vor rassistischen Maßnahmen schützen – Herriman war colored, was er zeitlebens zu verleugnen suchte, und Schwarze blieben von den Karrieren in Zeitungsredaktionen ausgeschlossen – oder schlichtweg die sorgenfreie Arbeit an dessen Werk sicherstellen sollte, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. An Herrimans Comicstrip “Krazy Kat” hatte Hearst jedenfalls einen Narren gefressen, und der eher wechselhafte Erfolg der Serie wird dafür nicht der Grund gewesen sein.

Krazy Kats erster Auftritt hätte leicht übersehen werden können. 1910 tauchte im Panelboden einer Episode von Herrimans Daily Strip “The Dingbat Family” eine klitzekleine Maus auf, die sich an eine etwas debil ins Leere starrende Katze heranschleicht, ihr einen Kieselstein an den Hinterkopf wirft und sie ratlos zurücklässt. Diese Erzählschema etablierte sich über die Jahre im Gegensatz zur “Family”, die ein Stockwerk höher lebte, sehr erfolgreich als Strip im Strip und kulminierte 1913 schließlich in einer eigenen Serie.

Die Vier-Bild-Geschichten dominierte zuerst der zeitgenössische Slapstick, aber das sollte sich spätestens ändern, als “Krazy Kat” 1916 zusätzlich als großformatige wöchentliche Sonntagsseite in den Hearst-Zeitungen erschien. Es scheint fast so, als hätte Herriman nur auf diesen Moment gewartet, um all dem poetischen Überschuss der Serie endlich auch formal freien Lauf zu lassen.

Die Grundkonstellation mit ihrer tragikomischen Dimension eines humanistischen Existentialismus bleibt erhalten: Der Mäuserich Ignatz Mouse, trotziger Vertreter eines Realitätsprinzips, an dem er dauernd scheitert, hasst die am ehesten als androgyn zu bezeichnende Katze Krazy Kat mit Inbrunst, weswegen er ihr bei jeder gebotenen Gelegenheit einen Ziegelstein an den Kopf schleudert. Die wiederum, eine in sämtlichen Belangen gutmütige Tagträumerin, legt diesen Gewaltakt stets als Liebesbeweis aus, bemerkt weder Schmerz noch Missachtung und frohlockt deshalb mit jedem Steinwurf umso mehr.

Seite aus „Krazy Kat“ (Taschen Verlag)

Die Riege der Hauptfiguren komplettiert Offissa Pupp, Polizist, Bulldogge und die vielleicht traurigste Gestalt im Duell der Obsessionen, ist er doch Krazy Kat verfallen. Als Pragmatiker hat Offissa Pupp allerdings verstanden, dass er, von Krazy links liegen gelassen, nichts weiter tun kann, als kompensatorisch mit jeder Faser seines Seins Schaden von Krazy abzuwenden. So knastet er Ignatz regelmäßig ein oder ahndet bereits den Ziegelsteinbesitz. Weder wird der Mäuserich jemals Erlösung finden noch Krazy Sehnsüchte entwickeln, die nicht fetischistisch besetzt sind. Puppi ist der einzige, der wenigstens sein eigenes auswegloses Dilemma begreift, zugleich aber beharrlich als Korrektiv einer Welt fungiert, die keinerlei Gesetzen gehorcht.

Denn das fiktive Coconino County, inspiriert von den Wüstengegen des Westens, einem realen Landstrich desselben Namens in Arizona und der Navajas-Kultur ist ein L’art pour l’art-Territorium, dessen Schönheit sich daraus speist, dass hier die Unordnung jede Gesetzmäßigkeit suspendiert hat: Hintergründe und Tageszeiten wechseln mit jedem Panel (!), alle Gegenstände, ob Banane oder Kokosnuss, können mitunter ein zuckersüßes Eigenleben führen, und was das Comic-Medium an erstem Regelwerk entwickelt hat, verkehrt sich flugs ins Gegenteil, wenn etwa die Figuren den Zeichner ansprechen und in sein Tintenfass zurückspringen oder die LeserInnen im Schlusspanel einer Sonntagsseite von einem Wegweiserschild erfahren, dass die vermeintlich assoziative Bildfolge eine ganz andere Geschichte erzählt, wenn man die Seite noch einmal rückwärts liest.

In der Zeitung führte “Krazy Kat” bis zu Herrimans Tod 1944 eine etwas paradoxe Doppelexistenz: Als schwarzweißer Tagesstrip sehr beliebt, als Experimentierfeld auf der Sonntagsseite von Publikum und Redakteuren verkannt, musste Hearst ein wenig tricksen: Bis 1935 wurde “Krazy Kat” sonntäglich als erster Comic überhaupt im Kulturteil untergebracht, erst danach erschien die Serie farbig im Comic-Supplement.

Es sind diese Farbseiten, die der Taschen Verlag für die fantastische, von Comic-Historiker Alexander Braun betreute Edition kompiliert hat. Man entdeckt ein Werk, dessen lyrisch-metaphysischer Eigensinn schon postmodern war, als für den Comic gerade die Moderne anbrach.

Dieser Text erschien zuerst in: KONKRET 09/2019

Alexander Braun (Hrsg.): „George Herrimans ‚Krazy Kat‘. Die kompletten Sonntagsseiten in Farbe 1935–1944“.
Taschen Verlag, Köln 2019. 632 Seiten. 150 Euro

Foto: © Taschen Verlag