Good Hot Stuff – The Life and Times of Jack Deveau

The Good Hot Times
von Nicolai Bühnemann

Jack Deveau (1935-1982), geboren und verstorben in New York City, war Regisseur narrativer Schwulenpornos. Mit seiner Produktionsfirma Hand in Hand veröffentlichte er nicht nur seine eigenen Regiearbeiten, sondern auch einige weitere Spielfilme mit expliziten Sexszenen von anderen Filmemachern, zu denen ihn oft auch eine innige private Beziehung verband. War es der Erfolg von „Deep Throat“ (Gerard Damiano, USA 1972), der den Weg zum Golden Age des amerikanischen Hetero-Pornos ebnete, dann wurde Deveau im selben Jahr durch sein Langfilmdebüt „Left-Handed“ eine Schlüsselfigur in dessen zeitgenössischem homosexuellen Gegenpart – und war damit auch, wie es der Untertitel des hier besprochenen Buches formuliert, „a gay film pionier.“

Die Art von Filmen, für die Deveau steht, könnte von den einfallslosen Clips, die das Gros der heutigen Gebrauchspornographie ausmachen, kaum weiter entfernt sein – weder in ihrer Machart noch in ihrem künstlerischen Anspruch. Die Handlung war kein bloßer Aufhänger für die Aneinanderreihung von Sexszenen, und ästhetisch unterwarfen sie sich nie allein den masturbatorischen Interessen des Publikums. Letztlich verwehrten sie sich der gängigen Dichotomie aus Kunst und Pornographie, indem sie das Erzählen unterschiedlicher Geschichten und eine elaborierte filmische Form mit expliziten Sex-Szenen verbanden. Auch wenn diese Filme bereits eine Vielzahl verschiedener sexueller Praktiken zeigten, geht es ihnen doch, ganz im Gegensatz zur gegenwärtigen Internetpornographie, merklich nicht nur darum, alles im Sinne größtmöglicher kommerzieller Verwertbarkeit zu sortieren, damit auch sicherlich für jede*n etwas dabei ist, sondern einen betont lustvollen und oft überaus verspielten Blick auf eine möglichst große Bandbreite menschlicher Sexualität zu ermöglichen. Was in „Left-Handed“ etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass man der Zielgruppe auch eine Hetero-Sexszene präsentierte, weil es die Handlung des Films verlangte.

Überhaupt schien dieser Film schon sehr viel von dem zu beinhalten, was das Kino Deveaus und seiner Produktionsfirma ausmachte. Erzählt wird von einem schwulen Gras-Dealer, der einen heterosexuellen Mann zunächst verführt, sich aber von dessen Vorstellung einer monogamen Beziehung schnell eingeengt fühlt und es vorzieht, sich weiterhin vielfältigen erotischen Abenteuern mit vielen verschiedenen Partnern hinzugeben. Einerseits in seinen Sexszenen experimentell-avantgardistisch, lebt der Film andererseits auch vom realistischen Flair seiner Originalschauplätze, wobei der Kontrast zwischen den Protagonisten auch in einer Dichotomie zwischen der Großstadt New York und dem suburbanen bzw. ländlichen New Jersey seinen Ausdruck findet. So erzählt Deveau – hauptsächlich in Telefon-Gesprächen aus dem Off – die tragische kleine Geschichte einer unmöglichen Liebe, ohne dabei an vielfältigen erotischen Attraktionen zu sparen, denn, wie es eine der diversen Rezensionen im Buch formuliert: „Who says you can‘t cry and come at the same time?“

Jedoch beschränken sich die Filme keineswegs auf das tragische Register, sondern betten die Sexszenen in durchaus unterschiedliche Szenarien ein. So war der Drehbuchautor Moose 100 eher für „leichtere“ Stoffe zuständig. Sein Handwerk lernte er an der Yale-Universität und als seine Vorbilder nennt er renommierte Regisseure des klassischen Hollywood wie Hitchcock oder Billy Wilder. Mit „A Night at the Adonis“ (1978), gedreht im berühmten Adonis an New Yorks 44. Straße, das von 1975 bis 1995 bis zu 2000 Männern Platz zum Filme sehen und Cruisen bot und damit seinerzeit eines der größten Kinos der Stadt war, schrieb er für Deveau ein Script, mit dem er sich an den Ensemblefilmen Robert Altmans orientierte, die mehr um ein bestimmtes Ereignis herum aufgebaut sind als um einen zentralen Protagonisten.

Der Filmjournalist und Verleger Marco Siedelmann hat Deveau und Hand In Hand nun ein großes, großformatiges und großartiges Buch gewidmet, dessen Titel er bei einem Kompilationsfilm des Regisseurs entlehnte: „Good Hot Stuff“ (1975). Und tatsächlich bietet Letzteres, was bereits eine zeitgenössische Rezension zu Ersterem ankündigte: „A behind-the-scenes look at porno filmmaking during the Seventies“. Und was der Artikel weiter verspricht – „a compendium of the best moments from that studio‘s films, each good hot sequence being used to illustare one aspect of the craft“- hält auch das Buch mit seiner beeindruckenden Vielfalt unterschiedlicher Materialien, die einen umfänglichen Eindruck von den Abläufen und Gegebenheiten der Industrie in den Siebzigern gibt, aber auch ihre grundlegenden Veränderung im Laufe der vergangenen Dekaden mit in den Blick nimmt.

Im Zentrum des fast sechshundert Seiten starken Katalogs stehen dabei Interviews: ein kurzes historisches mit Deveau sowie neuere, die Siedelmann, der Filmemacher und -kurator Gary Vanisian und andere mit verschiedenen seiner noch lebenden Mitstreitern führte. Darunter Robert Alvarez, der als Editor, Darsteller und Sound-Mann an Deveaus Filmen mitwirkte und bis zu seinem Tod mit ihm liiert war, die Filmemacher Tom DeSimone und Peter De Rome (der „Grandfather of Gay Porn“, zu dessen exzentrischen Auftreten es gehörte, sich in Posen ablichten zu lassen, die an Edgar Alan Poe gemahnten) oder der Balett-Tänzer und Kameramann Henk van Dijk, als einer der ganz wenigen noch lebenden Darsteller. Aber auch Ken Schnetzer, der elf Jahre lang das Adonis leitete.

Abgerundet wird das Buch durch Rezensionen der Filme – sowohl zum Kinostart als auch zu späteren DVD-Editionen –, an denen sich exemplarisch das Spannungsfeld erkennen lässt, in dem sie sich bewegen: Je nach dem Medium, in dem die Texte erschienen, gehen einige der Rezensenten ausschließlich auf die sexuellen Qualitäten der Werke ein, während andere sich mit der Verbindung aus explizitem Sex, den narrativen Elementen und der filmischen Form befassen. Zudem gibt es kürzere neue Texte zur Firma, den Filmen, ihren Machern oder dem historischen Kontext sowie unzählige – für die öffentliche Auswertung mit schwarzen Balken zensierte – Fotos: Stills aus den Filmen oder Bilder von den Dreharbeiten, Abbildungen der Darsteller aus verschiedenen Magazinen, Poster, Aushangfotos und andere Werbematerialien.

Entsteht der beträchtliche Reiz des Buches auf der Textebene durch die enorme Polyphonie, die den Lesenden eine Vielzahl unterschiedlichster Perspektiven auf die Materie eröffnet, erlauben die Abbildungen es, noch mal etwas tiefer in die faszinierende Welt Jack Deveaus einzutauchen; sie laden nicht nur zum Schwelgen ein, sondern geben auch Zeugnis von – im einzelnen durchaus unterschiedlichen – männlichen Schönheits- und Körperidealen im Wandel der Zeit.

Geradezu zwangsläufig hat Siedelmann damit auch ein Buch über das Wesen menschlicher Erinnerungen kompiliert. Wo Alvarez etwa die Geschichte des Studios als Liebesgeschichte Revue passieren lässt oder Rolf Pardula, der als Tontechniker an verschiedenen der Filme mitarbeitete, darauf zurückblickt, dass es erst seine Arbeit mit Hand In Hand war, die ihm den Mut für sein Comming-out gab, wo sich Moose 100 gerne an die kollegiale Atmosphäre am Set und die freundliche und unterstützende Art Deveaus erinnert, geht es an anderen Stellen auch immer wieder um die Schattenseiten der Industrie: von der Verstrickung der Mafia in die Produktion bestimmter Filme über die schwammige Rechtslage, die es begünstigte, dass der Firma die Rechte an ihren Filmen geklaut wurden, bis zu einer Geschichte, die den Hetero-Porno-Regisseur Pierre Woodman eines Mordes bezichtigt. Es ist auch ein Buch über Fragebögen, die die Darsteller aufforderten u. a. Angaben über ihre Schwanzgröße zu machen oder ihre sexuellen Vorlieben detailliert anzugeben. Über Koks-Parties und persönliche Intrigen.

Siedelmann legt damit nicht nur den Fokus auf ein abseitiges, kaum erforschtes Kapitel amerikanischer Filmgeschichte, sondern entwirft dabei ein Panorama einer ganzen Epoche schwulen Lebens – und seiner vielfältigen Verbindungen mit der heterosexuellen „Mehrheitsgesellschaft“ und dem künstlerischen Mainstream. Wenn auch meist eher implizit geht es dabei immer wieder nicht nur um den Kampf, sein Begehren nach den eigenen Vorstellungen frei ausleben zu dürfen, sondern auch als Porno-Regisseur Anerkennung für sein künstlerisches Schaffen zu bekommen.

Zwischen den Ausschreitungen von Stonewall im Juni 1969 in Folge einer Razzia in einer Schwulenbar, bei der sich einige Homo- und Transsexuelle ihrer grundlosen Verhaftung widersetzten, und dem Einsetzen der „Aids-Krise“ in den frühen 1980ern, die die Szene regelrecht dezimierte – und damit, in den Worten Van Dijks, das sogenannte Goldene Zeitalter beendete –, tat sich eine neue Freiheit für Männer auf, ihre Sexualität jenseits heteronormativer und monogamer Zwänge zu leben. An der Entwicklung der Porno-Industrie – dem schleichenden Übergang von Filmvorführungen als lustvollem öffentlichen Happening zum „Privatvergnügen“ an einem kleinen Bildschirm, aber auch dem Schwund der künstlerischen Qualitäten – lässt sich vielleicht auch exemplarisch der Rückzug ins Private und das immer ausschließlichere Primat des Geldes im Rahmen der zunehmenden Neoliberalisierung der westlichen Welt nachvollziehen. Dort wo einst das Adonis stand, erhebt sich heute ein Bürohochhaus; die Hand In Hand-Produktion „A Night at the Adonis“ jedoch bleibt uns erhalten. „Good Hot Stuff – The Life and Times of Jack Deveau“ lädt uns, ganz ohne falsche Verklärungen, dazu ein, uns diesem besonderen Reich der erotischen Phantasien hinzugeben, einen Blick auf die pornosexuellen Utopien einer Zeit zu werfen, die heute nicht nur lange vergangen scheint, sondern regelrecht wie eine untergegangenen Welt anmutet. Es lohnt sich, denn, wie es im Nachruf auf Jack Deveau heißt: „It was a wonderful party and a wonderful life.“

Marco Siedelmann (Hrsg.): „Good Hot Stuff – The Life and Times of Jack Deveau“.
Editions Moustache, 2019. 588 Seiten. 33 Euro

Foto: © Éditions Moustache