The Dead Don’t Die

(USA/SWE 2019; Regie: Jim Jarmusch)

Bill of the Dead

Fracking an den Polen hat die Erde in ein Ungleichgewicht gestürzt; Tageszeiten spielen verrückt, Haustiere ebenso – und bald entsteigen die Toten ihren Gräbern, fressen die Lebenden und machen ansonsten, was sie schon zu Lebzeiten am liebsten gemacht haben. Drei Polizisten und allerlei Nebenfiguren versuchen im kleinen Städtchen Centerville, der Lage Herr zu werden – eine Minimal-Handlung mit allerlei Wiedererkennungswert. Wie in „Leichenhaus der lebenden Toten“ (ES, IT 1974), Jorge Graus fortschritts- und faschismuskritischen Zombieklassiker mit Öko-Aufhänger, erschafft sich der Mensch seine Zombie-Apokalypse selbst. Selena Gomez fährt in einer stilechten Nacht-der-lebenden-Toten-Karosserie durch die Gegend. Chloë Sevigny hingegen erleidet den Barbara-Tod aus Romeros Horrorklassiker von 1968, wobei ihr allerdings nicht der untote Bruder, sondern die untote Großmutter zum Verhängnis wird. Romeros satirischer „Zombie“ (USA 1978) ist wiederum mit dem Konsum-Instinkt der Untoten omnipräsent. Und ein Comic- und Film-Nerd verweist recht direkt auf die hirnfressenden Untoten aus Dan O’Bannons „Return of the Living Dead“ (USA 1985), derweil die Unglaubwürdigkeit des Wörtchens „Zombie“ an „Shaun of the Dead“ (F, GB 2004) erinnert. Solcherlei Verweise könnte man endlos anführen und etliche werden im Abspann von „Jim Jarmuschs „The Dead Don’t Die“ explizit aufgedeckt.

Lohnenswert ist aber vor allem ein Blick auf die Selbstzitate, denn „The Dead Don’t Die“ ist natürlich zuallererst ein Jarmusch-Film, der mit gewohnt lakonischem Humor auf allerlei Unheil und Unbill blickt und dem Zombiefilm trotz derber Fressorgien viel vom subgenretypischen Schrecken nimmt. Der Figurenname von Adam Driver, der einen der drei Polizisten mimt, verweist direkt auf den letzten Jarmusch-Film „Paterson“ (USA 2016), in dem der Schauspieler bereits in der Hauptrolle agierte. Und gegen Ende bringt ein metaleptischer Bruch den renommierten Filmemacher selbst als solchen in seine Schöpfung. Zwischendurch ist mit vielen typische Gesichtern geradezu eine Jarmusch-Family am Werk, wenngleich der Film immer wieder die Darsteller*innen hinter den Figuren bloßlegt: Tilda Swinton tritt etwa als schottische Zelda Winston auf, Iggy Pop – einst im „Coffee and Cigarettes“-Projekt involviert – kehrt als Coffee-Junkie-Zombie zurück, Adam Driver wird mit seiner jüngsten Star-Wars-Vergangenheit konfrontiert und Bill Murray bekommt wie in „Broken Flowers“ (USA 2005) einen sanft ironischen Namen verpasst (was daran erinnert, das ausgefallen-hintergründige Figurennamen immer schon zu Jarmusch gehörten, hier aber ganz neue Ausmaße erreichen). Noch nie hat ein Jarmusch-Film so exzessiv darauf bestanden, dass er ein Jarmusch-Film (und überhaupt erst einmal: ein Film) ist.

So aufdringlich wie diese mäßig ergiebige Selbstreflexion kommt auch die Moral des Films daher, die im Grunde auf weniger diskrete Weise an die letzten Filme des Regisseurs anknüpft. Jarmuschs Zombiefilm steht seinem Vampirfilm „Only Lovers Left Alive“ (USA 2014) somit weniger nahe als es der zwischendurch entstandene „Paterson“ getan hatte. Dort sorgten die „spukhafte Fernwirkung“, der kosmische Gong oder die Seelenverwandtschaft einerseits, die Poesie oder die konsequenten Wiederholungen von Elementen andererseits für einen latent mystischen Boden, auf welchem dann Moral, Humanismus und eine Ode an die Kultur(en) an sich entfaltet wurden. Kultur erscheint dort als Weltliteratur oder Weltmusik, welche Grenzen überwindet und die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen trotz aller oberflächlichen Unterschiede offenbart.

Diese schon zuvor bei Jarmusch spürbare Haltung geistert auch durch seinen Zombiefilm. Hier jedoch wird sie entfaltet, indem ein von solcherlei Ansichten gänzlich befreites Agieren der Lächerlichkeit preisgegeben wird: Während der Einsiedler in den Wäldern von Centerville und die (farbigen sowie Geschlechterrollen ignorierenden) inhaftierten Kinder als gesellschaftliche Außenseiter positiv besetzt sind, sind die Make-America-White-Again-Kappenträger, die (alten, weißen, männlichen) Wärter, die Fracking-Befürworter lächerliche Narren, die das ausgebrochene Chaos entweder gar nicht zur Kenntnis nehmen oder es sogar mitverschuldet haben. Hier sind die mit Smartphones umherwankenden und nach Kaffee und Chardonnay gierenden Zombies nicht bloß Ausdruck einer Stumpfheit des Menschen, der sich in Konsum und Mode versenkt, sondern das Ergebnis einer Gesellschaft, die – wie es gegen Ende heißt – ihre Seele verkauft hat und nun die Rechnung präsentiert bekommt. Jarmusch verknüpft somit Romeros Ansatz der menschenähnlichen Zombies und zombieähnlichen Menschen mit Jorge Graus Ansatz der durch menschliche Gewinnsucht und Kurzsichtigkeit ausgelösten Zombie-Katastrophe und zielt dabei auf jene Haltung, die man zumeist als Populismus fasst.

Nicht die bewundernde Beschwörung einer grundsätzlichen Gleichheit Aller wird hier angestrebt, sondern das Bashing einer Gesellschaft in der Ära Trump. Damit gibt Jarmusch aber zugleich den edelmütigen Tenor seines Schaffens weitgehend auf, um sich auf kleine Attacken zu konzentrieren, welche auf konkrete Dummheiten der letzten Jahre abzielen: auf die von der Fracking-Methode bis zum menschenverursachten Klimawandel reichenden Umweltsünden, auf die Sexismen und auf die Rassismen, welche in der aktuellen Dekade unter diversen Hashtags thematisiert worden sind. Diesen Umstand, diese zugunsten einer umfassenden Attacke nur noch reduziert durchklingende Grundhaltung der Gleichheit Aller, kann Jarmusch auch dadurch nicht ausgleichen, dass er die vitale Splatterästhetik schnell und hektisch spritzenden, sicht- und fassbare Flecken verursachenden Blutes gegen elegisch wabernde Nebelschwaden staubigen Blutes tauscht, welches aus den Wunden der Untoten strömt und sich dann gewissermaßen in der Luft auflöst. Solch eine Vernachlässigung des Hektischen, Konkreten und direkt Sicht- und Fassbaren zugunsten des Elegischen und der fließenden, aufgelösten Grenzen hätte auch diesem Jarmusch-Werk in größerem Umfang besser zu Gesicht gestanden. Hier gibt es kaum noch ein umfassendes, harmonisches Feeling, sondern einen Flickenteppich der kuriosen Ideen und bösen Spitzen. Das ist zwar kurzweilig, bleibt aber hinter den Qualitäten vieler anderer Jarmusch-Filme zurück.

The Dead Don't Die
USA, Schweden 2019 - 103 min.
Regie: Jim Jarmusch - Drehbuch: Jim Jarmusch - Produktion: Joshua Astrachan, Carter Logan - Bildgestaltung: Frederick Elmes - Montage: Affonso Gonçalves - Verleih: Universal Pictures - FSK: ohne Angaben - Besetzung: Bill Murray, Adam Driver, Steve Buscemi, Tilda Swinton, Chloë Sevigny, Caleb Landry Jones, Eszter Balint, Rosal Colon, Rosie Perez, Selena Gomez, Danny Glover, Tom Waits, Iggy Pop, RZA, Carol Kane
Kinostart (D): 13.06.2019

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt8695030/
Foto: © Universal Pictures