Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu

(COL/DEN/MEX 2018; Regie: Cristina Gallego, Ciro Guerra)

Das Gesetz der Rache

„Der Stamm ist die Familie, der Stamm ist die Familie…“, murmelt die junge Zaida (Natalia Reyes) beschwörend wie in einer endlosen Litanei. Nach einem „Jahr der Abgeschiedenheit“ soll sie als Frau in den Familienclan initiiert werden. Dieser stehe bei den Wayuu über allem, gibt ihr die Mutter (Carmiña Martínez), die zugleich das strenge Oberhaupt der Familie bildet, mit auf den Weg. Ansehen, Ehre und nicht zuletzt der Friede seien in ihr beschlossen. In der kargen Einöde der nordkolumbianischen Provinz Guajiara markiert dieser von alters her tradierte Zusammenhalt alles. Eng verknüpft ist dieses Bewusstsein mit einem magischen Denken, das die Zeichen der Natur deutet und die Träume als Ausdruck der Seele versteht. Nach einem wilden Initiationstanz mit leuchtend rotem Umhang, bei dem der mutige Rapayet (José Acosta), um die schöne Braut wirbt, träumt Zaida von einem „Weg ohne Rückkehr“.

In fünf Kapiteln einer schicksalhaften Tragödie erzählen Ciro Guerra („Der Schamane und die Schlange; CO/VE/AR 2015) und Cristina Gallego ihren zwischen mythischem Western und ethnographischem Mafia-Thriller changierenden Film „Birds of passage – Das grüne Gold der Wayuu“. Von realen Ereignissen inspiriert, verknüpfen die beiden kolumbianischen Filmemacher darin die Vorgeschichte der Drogenkartelle mit dem blutigen Konflikt zweier verfeindeter Clans. Im Zeitraum zwischen 1968 und 1980, der durch scharf markierte Ellipsen gegliedert ist, erodiert mit unglaublicher Wucht und Brutalität das tradierte Familiengefüge mit seinen Normen und Bräuchen. Deren Unhintergehbarkeit wurzelt dabei vor allem im Gesetz der Rache mit seiner zerstörerischen Zahn-um-Zahn-Logik. Mit epischer Geste, einem reduzierten, aufs sinnbildlich Wesentliche verdichteten Setting sowie in prägnanten, nie ausmalenden Bildern verfolgen Guerra und Gallego diesen Kampf bis zum bitteren Ende.

Ihr spannender Film zeigt unmissverständlich, wie das Virus des Geldes, verbunden mit der Gier nach Macht und Wohlstand, in die Ordnung der Familie eindringt, sie unterhöhlt und auslöscht. Um das hohe Brautgeld für Zaida aufzutreiben, steigt Rapayet zusammen mit seinem großspurigen Freund Moisés (Jhon Narváez) in das Drogengeschäft ein. Für junge, hedonistische US-Amerikaner des sogenannten Friedenscorps organisieren sie bei entfernten Verwandten in den Bergen eine erste Lieferung Marihuana. Der (auch symbolische) Weg führt dabei aus der trockenen Steppe ins sattgrüne, feuchte Gebirge bis zur Palmen-Kulisse mit Sandstrand vor offenem Meer.

Nach diesem euphorischen Beginn wechseln im Lauf der Zeit auch bald die Transportmittel: Von Eseln wird die illegale Drogenfracht auf Pick-ups verladen, um schließlich im Bauch von Kleinflugzeugen zu verschwinden. Mit der Professionalisierung kommt die Korruption; und die Gier nach Geld bringt schließlich Entzweiung und erbitterte Feindschaft. Als die gegenseitige Auslöschung vor keinem Wert mehr Halt macht und es nichts mehr zu retten gibt, sagt der als Einziger besonnene Rapayet schließlich: „Wie es scheint, haben wir die Seele verloren. Niemand beschützt uns mehr.“

Birds of Passage - Das grüne Gold der Wayuu
(Pájaros de verano)
Kolumbien, Dänemark, Mexiko 2018 - 125 min.
Regie: Cristina Gallego, Ciro Guerra - Drehbuch: Maria Camila Arias, Jacques Toulemonde Vidal - Produktion: Cristina Gallego, Katrin Pors - Bildgestaltung: David Gallego - Montage: Miguel Schverdfinger - Musik: Leonardo Heiblum - Verleih: MFA+ Filmdistribution - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Carmiña Martínez, Natalia Reyes, José Acosta, Jhon Narváez, José Vincentes Cotes
DVD-Starttermin (D): 26.07.2019

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt6386748/
Foto: © MFA+ Filmdistribution