Alte Meister

Auge in Auge mit Tintoretto
von Sven Jachmann

Es ist nur auf den ersten Blick ein Kontrast, wenn Nicolas Mahler – seines Zeichens Wiener Comiczeichner und Cartoonist, Meister der bildpoetischen Reduktion – Thomas Bernhards wortgewaltigen, als „Komödie“ apostrophierten Roman „Alte Meister“ als Comic adaptiert. In Bernhards Werken führen konzentriertes Abschweifen und Wiederholen zu einer Flut aus Stänkerei, Verzweiflung und Abscheu – verbunden mit der existenziellen Einsicht, dass nur die Negation des Wortes den gesellschaftlichen Zumutungen standhält.

Mahler dagegen bugsiert eine seiner komischsten Figuren, Flaschko, einfach in eine Heizdecke, lässt sie, so umhüllt, regungslos und lakonisch Strip für Strip über die Welt sinnieren und pointiert mit diesem Bild bereits die tragikomische Simplizität allen Lebens. Den gemeinsamen Bezug zur Kunst, die in den „Alten Meistern“ als Thema und Schauplatz, dem Wiener Kunsthistorischen Museum, riesigen Raum beansprucht, liefert die obsessive Fixierung auf mit Lebenssinn hochgejazzte Substitute: Ob Gemälde oder Heizdecke, an irgendetwas muss schließlich geglaubt werden, damit die Verzweiflung über die Hilflosigkeit des Menschen nicht gewinnt. Manche genießen dabei eben nur den privilegierten Luxus, die eigene Flucht vor der Desillusionierung sich selbst als höheren Anspruch verkaufen zu können. „Was denken wir und was reden wir nicht alles und glauben, wir sind kompetent und sind es doch nicht, das ist die Komödie, und wenn wir fragen, wie soll es weitergehn?, ist es die Tragödie“, sagt Reger, die Hauptfigur in Mahlers und Bernhards Werk.

Eigentlich sogar die einzige Figur, denn auch wenn Reger in seinem Freund Atzbacher einen geduldigen wie schweigsamen Zuhörer für seine Tiraden gefunden hat, dominiert er selbst in den Beobachtungen des allenfalls nominellen Icherzählers Atzbacher fast jedes Wort. Seit über dreißig Jahren verbringt Reger jeden zweiten Vormittag auf der Sitzbank des Wiener Kunsthistorischen Museums im Bordone-Saal, Auge in Auge mit Tintorettos „Weißbärtigem Mann“, und erledigt mit apodiktischem Furor die „Alten Meister“ nicht nur der Malerei: Velázquez („Staatskunst!“), Dürer („Ur- und Vor-Nazi!“), Stifter („Kitschmeister!“), Heidegger („Pantoffel- und Schlafhaubenphilosoph der Deutschen, nichts weiter!“).

In Bernhards Roman arbeitet Reger als Feuilletonist für die Times. Im Comic fehlt jede Berufsbezeichnung, was der Enttäuschung, die mit Regers ritualisierten Besuchen verbunden ist, noch grundsätzlichere Züge verleiht. Zur Inspiration für die tägliche Arbeit braucht er den Bordone-Saal, sein „Denk- und Lesezimmer“ jedenfalls nicht.

Mahler reduziert Regers über 300-seitigen, im Prinzip pausenlosen Monolog wider alle Heilsversprechen der Kultur auf 150 Seiten Comicerzählung, mit meist einem Panel pro Seite. Physiognomisch wird er zur typischen Figur des Mahler-Repertoires: ein schwarzweißes, gedrungenes Männchen ohne Augen und mit einer gewaltigen Nase. Die galanten Schmähreden über die österreichische Gesellschaft bleiben bei Mahler ausgespart. Da verfährt er gegen die Autorität der Vorlage, getreu der Maxime Regers: „Wer alles liest, hat nichts begriffen.“ Es braucht nur ein Detail, um aufs Ganze zu kommen, zumindest „wenn wir Glück haben“.

Und diese Details transferiert Mahler perfekt in die Zeichenwelt des Comics, indem er zum einen die Hybris in den Werken der „Alten Meister“ mitunter urkomisch entblättert. Über die enge Verwandtschaft von Parodie und Dekonstruktion lernt man bei Mahler bereits eine ganze Menge, wenn er nur die mimische Ausdruckslosigkeit seiner Zeichnungen auf Giottos „Anbetung der Heiligen Drei Könige“ überträgt – dann strahlt kein Fluidum mehr, sondern bleibt nichts weiter als: eben Staatskunst.

Zum anderen gleicht er den Repetitionszwang in Regers Entgleisungen dem seriellen Prinzip des Comics an. Stets identisch sitzen die kleinen Figuren den Kunstwerken gegenüber, die in geradezu absurder Größe auf sie herabblicken. Die Monotonie der Bilderserie verführt nicht zur Demut, im Gegenteil. Hinter den Schimpfkanonaden Regers verbirgt sich, so gibt er am Schluss preis, auch die Trauer über den Tod seiner Frau und die Enttäuschung, dass dieser museale Tempel der Bewunderung das Höchste verspricht, aber nichts hält. Tintorettos „Weißbärtiger Mann“ weiß sich gegen die Enttäuschung sogar perfide zu wehren: Er hält Reger stand: seinem Gefühl, seinem Verstand und seinen Ritualen.

Dieser Text erschien zuerst in der taz.

Nicolas Mahler (Text und Zeichnungen): „Alte Meister“.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 160 Seiten, 19,50 Euro

Foto: © Suhrkamp