„Castorf ist Hochleistungssport“

von Jürgen Kiontke


Lutz Pehnert, 56, leitete Anfang der 90er Jahre das Kulturressort der Tageszeitung „Junge Welt“. Seit 1995 arbeitet er als Autor und Regisseur für Film und Fernsehen. Mit Matthias Ehlert, der früher ebenfalls für die „Junge Welt“ arbeitete und heute stellvertretender Chefredakteur des Magazins „Weltkunst“ ist, präsentierte er 1997 den Film „Brand“ auf der Berlinale: Im Zentrum der eindrücklichen Reportage steht die letzte aus der DDR stammende „Trinkerbrigade“ des Stahlwerks Brandenburg an der Havel. Für seine mehrteilige Dokumentation „DDR Ahoi!“ erhielt Pehnert 2011 den Grimme-Preis.
Auch bei „Partisan“ arbeitete er wieder mit Ehlert zusammen, wie auch mit der Regisseurin Adama Ulrich.

„In einer Gesellschaft, die sich zunehmend gegenüber neuen Denkweisen und ästhetischen Grenzüberschreitungen abschottet“, sagt Frank Castorf, „ist das Theater der letzte Partisan“. Als Regisseur und Intendant hat Castorf die Berliner Volksbühne seit Anfang der 1990er Jahre zu einem Ort des Aufbruchs werden lassen. Mit radikalen Inszenierungen der gesellschaftlichen Umbrüche wurde die Volksbühne zum wichtigsten Theater Deutschlands.

Der letzte und gravierendste Umbruch dürfte allerdings die Ablösung Castorfs durch den bis dato als Galeriedirektor bekannten Chris Dercon sein. Kritiker vermuten, es entstehe eher eine Event-Agentur denn wegweisende Theaterarbeit.
Die drei Filmemacher begleiten Castorf bei seiner siebenstündigen Abschiedsinszenierung, dem „Faust“, und werfen zugleich einen Blick ins Innere des „Maschinenraums“ jenes als „Panzerkreuzer“ bekannten Baus. Mitstreiter wie Martin Wuttke, Sophie Rois und Alexander Scheer erzählen von ihren Erfahrungen mit der Volksbühne.

Jürgen Kiontke: Herr Pehnert, im Abspann Ihres Films sind neben Ihrem sehr viele Namen aufgelistet. Sind das alles Mitregisseure?
Lutz Pehnert: Nein. Da stehen alle, die an dem Film gearbeitet haben – allerdings ohne ihre jeweiligen Berufsbezeichnungen. Das hat sich so ergeben. Einer Freundin von mir, die in der DDR aufgewachsen ist, und seit Ende der 80er Jahre in Stockholm lebt, hatte nach dem Anschauen einer ersten Version des Films gesagt: „Ich habe jetzt wieder Sehnsucht nach Gruppe.“ Die Volksbühnen-Leute haben ja auch vorgeführt, wie man in einer Gruppe – oder als Band – durchkommen und älter werden kann. Diesen Gruppengedanken haben wir in den Abspann übernommen, der keine Hierarchie befolgt, sondern das Alphabet.

Wann war Ihnen klar, dass Sie über die „Gruppe“ Volksbühne drehen werden?
Als bekannt wurde, dass Chris Dercon ab 2017 neuer Intendant der Volksbühne werden soll, war das Ende der Ära Castorf besiegelt. Wir Regisseure – Matthias Ehlert, Adama Ulrich und ich – sind auf ähnliche Weise mit und in diesem Theater nach 1990 noch einmal aufgewachsen. Die Volksbühne war nicht einfach nur Theater, sondern Klub, Kneipe, Spektakel, Orientierungs- und Haltepunkt in einer Zeit des Umbruchs. Aus dieser geteilten Erfahrung hat sich eine gemeinsame Absicht und die Arbeit an diesem Film ergeben. Wir wollten diese Ära nicht einfach so verschwinden lassen, sondern festhalten, noch einmal schauen, was dieses Theater in den letzten 25 Jahren besonders gemacht hat. So schauen wir einerseits auf wichtige Inszenierungen und Etappen, anderseits in die Arbeitsweise dieser Truppe in ihrer letzten Spielzeit.

Die Mitglieder des Ensembles, Martin Wuttke etwa, sehen darin ein bisschen müde aus…
Die Schauspielerin Lilith Stangenberg sagt, niemand geht unbeschadet aus sieben Stunden „Faust“ raus. Das ist Schwerstarbeit, Hochleistungssport, aber auch ein Energierausch. Martin Wuttke sieht vielleicht etwas müde aus, weil wir ihn erst nach dem Abschlussfest interviewen konnten. Er hatte wirklich nicht viel geschlafen, aber er hat uns auch nicht sitzen gelassen.

Sie dokumentieren die Nachwendezeit und die Entwicklung Ostdeutschlands nun schon über 20 Jahre. Wie sehen Sie Ihre Arbeit?
Als Arbeit.

Ihr Vater war stellvertretender Kulturminister der DDR und in dieser Funktion auch für die Zulassung von Filmen zuständig. Beeinflusst Sie das heute?
Nein. Mein Vater war weder ein Zulasser noch ein Verhinderer. Wenn man die Arbeit eines Filmministers auf solche Begriffe verkürzt, bedient man nur wieder das Klischee eines DDR-Funktionärs. Seine Arbeit war komplexer, als den Daumen nach oben oder nach unten zu halten. So viel habe ich damals schon mitbekommen. Ich konnte mit ihm reden.

Hatten Sie selbst zu DDR-Zeiten schon Filmambitionen?
Nein. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt irgendwelche Ambitionen hatte. Ich wollte Spaß am Leben haben, dann wurde ich Schriftsetzer, weil man irgendetwas werden muss. 1982 begann ich ein Volontariat bei der Tageszeitung „Junge Welt“. So bin ich in den Journalismus hineingewachsen. Anfang der 90er Jahre begann ich neben meiner Arbeit bei der Jungen Welt für das Kulturmagazin „artour“ im MDR zu arbeiten. Und wechselte 1995 ganz auf diese Seite.

Sie nähern sich der Volksbühne aber nicht journalistisch. Der Film zeigt wenig außerhalb des Theaters.
Die Überlegung war schon, in der Geschichte der Volksbühne auch die Entwicklung Berlins nach 1990 zu spiegeln. Aber das geschieht nicht vordergründig. Es geht um diesen Klotz am Rosa-Luxemburg-Platz. Worin besteht die Kraft in diesem Haus? Was unterscheidet die Volksbühne von anderen Theatern? Und wenn man diesen Fragen nachgeht, dann landet man sehr schnell auf der Bühne, dort wo es passiert. Und hinterher natürlich in der Kantine.

Auf dem Dach der Volksbühne stand „Ost“. Was bedeutet das?
Für jeden etwas anderes. Für die Souffleuse Christiane Schober sind es die drei Buchstaben ihrer Herkunft und Identität. Für die Schauspielerin Lilith Stangenberg steht es für den Mut, ein Außenseiter zu sein. Für Martin Wuttke ist „Ost“ der andere Ort.

Wie stehen Sie zu der neuen Ausrichtung der Volksbühne?
Unter der Leitung von Frank Castorf wurde aus der verschlafenen Volksbühne am Ende der DDR ein weltberühmtes Haus – das beste Theater der Welt. Vielleicht hat dieses Theater nicht mehr in die Stadt gepasst, weil diese Stadt so wenig Gegnerschaft gegen das Glatte erträgt. Die Volksbühne war auch ein Widerstandsnest gegen das neue, geschichtsvergessene Berlin. Nun ist das neue Berlin eben auch in diesen Tempel eingezogen.

Was erhoffen Sie sich für Ihren Film?
Eine große Aufmerksamkeit und Anerkennung für ein Theater, dass es so nicht mehr geben wird.

„Partisan“ läuft seit dem 3. März 2018 im Kino.

Dieses Interview erschien zuerst in: Neues Deutschland

Foto: © solo Film/rbb