Zeit der Kannibalen

(D 2014; Regie: Johannes Naber)

So ist das nun mal!

Schöne Sache das. Dem Affen Zucker geben! Absurden Zuständen mit absurden Filmen begegnen. Wäre es nicht schön zu wissen, dass die internationalen Strippenzieher des Finanzkapitals hinter ihrer Maske aus Professionalität und Zynismus ganz und gar kümmerliche Wichtel sind? Wenn man, wie Johannes Naber, ins Presseheft zu „Zeit der Kannibalen“ so tolle Sätze schreiben kann wie: „Die Heldenreise der Protagonisten führt von ihrer apotheotischen Hybris hinab ins Schafott ihrer Kümmerlichkeit. Dort fallen die letzten Hüllen der neuen Elite. Was bleibt, ist die Hilflosigkeit der Verführten, nachdem das Verführende das Interesse an ihnen verloren hat.“ Der Neoliberalismus frisst seine mediokren Apologeten, darauf spielt der Titel des neuen Films von Johannes Naber („Der Albaner“) an.

Worum geht es? Seit sechs Jahren reisen die beiden Unternehmensberater Öllers und Niederländer gemeinsam um die Welt. Flugmeilen sammelnd. Heute hier, morgen dort oder in Lagos. Sie wissen sehr gut um ihre Stärken, aber auch um ihre Schwächen. Sie wissen einander zu schätzen – in mehrfachem Sinn. In immer denselben Konferenzräumen treffen sie auf Kunden und unterbreiten stets dieselben Vorschläge zur gewünschten Profitmaximierung: Zerschlagung intakter Strukturen und Verlagerung der Produktion in Länder, wo Arbeitskraft noch billiger zu haben ist. Indien war gestern, heute sollte man einmal vorurteilsfrei über Pakistan oder Afghanistan nachdenken. Taliban hin, Terror her.

Nach getaner Arbeit geht es zurück in die immer gleichen Hotelzimmer mit immergleicher Mini-Bar, Prostituierten, Drogen und regelmäßigen Telefonaten mit den Lieben in der Heimat, die sich allmählich frei machen vom Warten-Müssen. Nach all den Jahren globaler Fron wäre es eigentlich an der Zeit, auch einmal demonstrativ belohnt zu werden, indem man innerhalb der hier etwas undurchsichtigen Firmen-Hierarchie zum „Partner“ aufsteigt. Aktuell ist das dem Teamkollegen Hellinger gelungen, was bei den Zurückgebliebenen auf Unverständnis stößt. Das Nächste, was man von Hellinger hört, ist, dass er sich aus dem Fenster gestürzt hat. Das Nächste, was man aus der Firmenzentrale sieht, ist die junge Kollegin Bianca, die Hellinger vor Ort ersetzt. Öllers und Niederländer, beide auf ihre Art Machos und Zyniker, sind entsetzt, müssen Zeichen lesen und deuten, sich neu orientieren. Was wird gespielt? Mit welchem Auftrag ist Bianca zum Team gestoßen? Während im Hintergrund Geräusche der Außenwelt, die auf Bürgerkrieg und Terroranschläge hindeuten, allmählich lauter werden, liegen die Nerven blank, fliegen die Fetzen.

Naber hat ein Drehbuch von Stefan Weigl („Waschen Schneiden Legen“) als groteskes Kammerspiel realisiert. Der Film macht keinen Hehl aus der konsequenten Entscheidung, dass die Welt außerhalb der Nicht-Orte Hotel und Konferenzraum hier nur zeichenhaft existiert und der Blick aus dem Hotelfenster stets ein abstraktes Bild für eine Dritte-Welt-Metropole zeigt, die aufgrund der Luftverschmutzung eh nicht zu erkennen wäre. Naber zeichnet die Welt des entfesselten Kapitalismus mit den Mitteln des Absurden und der Groteske, dabei vertrauend auf die Komik, die entsteht, wenn weitreichende ökonomische Entscheidungen vor dem Hintergrund kleinkarierter Marotten und verkaterter Tagesform gefällt werden. Der Film vertraut dabei ganz auf seine famosen Darsteller Devid Striesow, Sebastian Blomberg und Katharina Schüttler, denen aller Raum gelassen wird, mit Verve ihre Konflikte und Intrigen pointenreich, böse und voller Witz auszutragen.

Der Film ist Schauspieler-Theater par excellence. Passend zu den Nicht-Orten, an denen „Zeit der Kannibalen“ spielt, agieren die Figuren auf der Basis flottierender Identitäten, die auf bestimmte Situationen nur mit Versatzstücken von Ideen, aber nicht mit einer geschlossenen Ideologie reagieren können. Die Figuren improvisieren. Öllers möchte die Welt zu einem besseren Ort machen, indem er die traditionellen Gesellschaften der Dritten Welt untergehen lässt. Niederländer überrascht mit dem Eingeständnis, in Erfurt geboren zu sein und träumt stattdessen davon, die Transiträume dieser Welt innenarchitektonisch so zu vereinheitlichen wie den Geschmack der Speisen bei McDonalds. Bianca dagegen gibt sich emanzipiert und voller Bewusstsein für political correctness, zeigt sich aber dann doch schnell korrupt und egoistisch. Staunend gestehen die neoliberalen Strippenzieher einander, welche interessanten Farben ihre politischen Biografien streiften.

Solcherart verdichtet und abstrahiert, gibt „Zeit der Kannibalen“ lange Zeit eine schwarze Komödie, die auf engem Raum unter mitteleuropäischen Bedingungen „The Wolf of Wall Street“ oder „Glengarry Glen Ross“nachspielt, bis irgendwann dann doch die Moral von der Geschicht(e) in den Film kracht. Als die Firma verkauft wird, resultiert daraus ein erstaunlicher Aufstieg, dem umgehend ein Fall ins Bodenlose folgt. Dieser Niedergang letztlich unprofessioneller Akteure, die sich leichthin opfern lassen, wird seinerseits flankiert von einem Überfall islamistischer Terroristen auf das Hotel, in dessen Verlauf die drei Helden des entfesselten Kapitalismus zu hilflos-greinenden Wichteln werden.

Die Revolution, so der etwas zu pathetische Schluss, wird die drei Protagonisten hinwegfegen und sie als Pappkameraden im „Krieg gegen den Terror“ missbrauchen. Aber: ihre Nachfolger stehen längst bereit, um ihre Arbeit fortzusetzen und es durch Ehrgeiz, Skrupellosigkeit und Erfolgsorientierung im besten Fall zum „Partner“ zu bringen. In einem Interview (film-dienst 11/2014) hat Naber zu seinem Filmemachen mit politischem Anspruch ausgeführt: „Ich glaube fest daran, dass Filme die Welt verändern können. Sie setzen Themen, eröffnen Blickwinkel, können polarisieren und aufwecken. Es ist ein machtvolles Medium! Film ist immer auch ein Kommentar über den Zustand der Gesellschaft und als solcher per se politisch, egal ob Komödie oder Drama. Wenn Filmemacher diese Verantwortung nicht erkennen oder annehmen wollen, dann sollten sie den Beruf wechseln.“ Gut gebrüllt!

Fraglich nur, ob die Strategie grotesker Überzeichnung dazu taugt. Naber/Weigl führen gut geölt vor, wie viel Lust es bereiten kann, „Verführte“ der gehoben mittleren Etage zum „Schafott ihrer Kümmerlichkeit“ zu führen. Das ist eine schöne, sadistische Abfuhr, aber auch eine kleinbürgerliche Geste der Hilflosigkeit, denn Christoph Hochhäusler hat uns in „Unter dir die Stadt“ ja bereits gezeigt, wie die Bilder der Getöteten in Frankfurt wirken.

Benotung des Films :

Ulrich Kriest
Zeit der Kannibalen
Deutschland 2014 - 93 min.
Regie: Johannes Naber - Drehbuch: Stefan Weigl - Produktion: Cornelius Conrad, Andrea Hanke, Milena Maitz, Thomas Martini, Georg Steinert - Bildgestaltung: Pascal Schmit - Montage: Ben von Grafenstein - Verleih: Farbfilm - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler, Jaymes Butler, Florence Kasumba, Carlos Lobo, Steve Ellery, Joana Adu-Gyamfi, Warsama Guled
Kinostart (D): 22.05.2014

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2723240/