To the Wonder

(USA 2012; Regie: Terrence Malick)

Herr, Deine Liebe …

Zwanzig Jahre lang, bis zu 'The Thin Red Line' ('Der schmale Grat'; 1998), galt Terrence Malick als 'runaway genius' (Peter Biskind), als ein verschollener Großmeister des US-amerikanischen Kinos, der sich nach gerade einmal zwei Filmen in den 1970er Jahren – der Gangsterballade 'Badlands' (1973) und dem Landarbeiter-Melodram 'Days of Heaven' ('In der Glut des Südens'; 1978), völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte.

In diesen zwanzig Jahren wuchs Malicks Ruf vom vielversprechenden Talent zum Kinomagier von nahezu mythischem Rang. Auch die Geschichten, die Zeitungen und Magazine über den öffentlichkeitsscheuen Regisseur und Drehbuchautor über die Jahre kolportierten, waren vor allem eines: Arbeit am Mythos. Malick halte sich in Paris auf, wo er einen Buchladen betreibe oder Philosophie an der Sorbonne lehre; er sei damit beschäftigt, Kierkegaard und Heidegger zu übersetzen; er reise seit Jahrzehnten um die Welt, um sein nächstes Projekt vorzubereiten; er lebe als Einsiedler im Wald. Überhaupt sei er verschwunden und niemand wisse, warum er sich aus Hollywood zurückgezogen habe. Dass der Regisseur sich zwischen 1978 und 1998 mitnichten vom Filmemachen verabschiedet hatte und es alles andere als ein Geheimnis war, was er zu dieser Zeit gemacht hat, kann man etwa dem kürzlich im 'Los Angeles Review of Books' erschienenen lesenswerten Essay von Michael Nordine entnehmen, der mit einigen Legenden aufräumt, auch wenn der Autor fraglos zu den Bewunderern Malicks zählt.

In Nordines Artikel erfährt man unter anderem, dass der heute 69-Jährige, der sein Geld offenbar in der Ölindustrie gemacht hat, schlicht aufgrund seines Reichtums in der Lage war, seine Filme selbst auszuwählen, und er zwar beständig neue Projekte entwickelt hat, von denen allerdings nur wenige je das Postproduktions-Stadium erreichten. Wer will, kann sich auf YouTube sogar ein Video ansehen, in dem das vermeintliche Phantom zu Countrymusik tanzt ('Terrence Dances'). Der J. D. Salinger des Kinos ist offenbar ein ganz normaler Mensch, allerdings mit einer nachvollziehbaren und stark ausgeprägten Abneigung gegen Publicity.

Nun ist es nicht so, dass Malicks Status als Ausnahmefigur des New-Hollywood-Kinos völlig unbegründet wäre. Sein Regiedebüt 'Badlands' zählt fraglos zu den Schlüsselwerken des US-Kinos der 70er Jahre. 'Days of Heaven' ist trotz aller Kitschmomente ein bis heute eindrucksvolles Porträt einer Ära und ein wuchtiges Melodram, das seinen exemplarischen Platz im Genre verdient hat. Und wer den Kriegsfilm 'The Thin Red Line' einmal auf einer ganz großen Kinoleinwand mit voll aufgedrehter Surround-Anlage sehen konnte, wird das Erlebnis kaum vergessen, auch wenn sich einige schwer erträgliche pseudophilosophische Exkurse in der vielstimmigen Voice-over-Erzählung des Dreistundenwerks finden ('Love – Where does it come from? Who lit this flame in us? No war can put it out, conquer it. I was a prisoner. You set me free.'). Auch Malicks Versuch, den Pocahontas-Mythos in 'The New World' (2005) neu zu deuten, hatte seinen Reiz. Aber spätestens The Tree of Life', unter großem Bohei 2011 auf dem Filmfestival Cannes der Weltöffentlichkeit präsentiert und dort mit der 'Goldenen Palme' ausgezeichnet, zeigte ernsthafte Verschleißerscheinungen der Methode Malicks, die sich der immer gleichen Autoren-Signaturen bedient und mit jedem neuen Film weiter in die Richtung eines christlichen, mitunter esoterischen inneren Dialoges entwickelt hat. Eine Kritiker-Kollegin wollte 'The Tree of Life' damals als 'einen Film wie ein Gedicht' umschreiben und gelangte durch eine Freud’sche Fehlleistung bezeichnenderweise zum 'Film wie ein Gebet'. Mit seinem jüngsten Werk, 'To the Wonder', ist Malick nun endgültig beim Predigen angelangt und legt dabei seinen Protagonisten einige der unerträglichsten Phrasen in den Mund, die ich abseits meines Konfirmationsunterrichts vor 22 Jahren ertragen durfte.

'To the Wonder' ist wie 'Days of Heaven' ein Melodram und erzählt von dem US-Amerikaner Neil (hölzern: Ben Affleck), der in Frankreich die Ukrainerin Marina (ätherisch: Olga Kurylenko) kennen und lieben lernt. Neil nimmt Marina und deren 10-jährige Tochter Tatiana (Tatiana Chiline) mit in seine Heimat. Doch im Alltag in Oklahoma kühlt die Beziehung bald ab. Während Marina bei einem von Javier Bardem mit versteinertem Gesicht gespielten (und freilich selbst mit dem Glauben hadernden) Pater spirituellen Beistand sucht, trifft Neil mit Jane (ebenfalls ätherisch: Rachel McAdams) eine Jugendfreundin wieder, mit der er eine Affäre beginnt. Dennoch finden Neil und Marina wieder zusammen, heiraten und entfremden sich abermals voneinander. Dabei verlässt der Film zunehmend die Begrenzungen einer herkömmlichen Narration, um sich schließlich in einer Serie von erratischen Bildkaskaden aufzulösen, die offenbar das religiöse Erwachen der beiden seit Jahren voneinander getrennten Partner behandeln.

Der Weg zur Transzendenz, den Malick seine Protagonisten beschreiten lässt, ist gepflastert mit visuellen Klischees: Immer wieder folgt die schweifende, gleitende Kamera den schönen Frauen, die wie in einem Postkartenmotiv durch Weizenfelder oder über Wiesen tanzen, rote Rosen im Schnee finden oder verzaubert über einen Strand wandeln, die verträumt zu ihren Männern oder Kindern aufblicken oder sich in der Sonne räkeln. Malicks Männer dagegen werfen ernste Blicke aus dem Fenster, brüten nach innen gekehrt über das Wunder der Natur, die Anwesenheit des Bösen in der Welt oder die Existenz an und für sich. Fast immer ist Emmanuel Lubezkis Kamera in Bewegung und spätestens, wenn sie das zehnte Mal über Wasserflächen gleitet, wird deutlich, dass sie den Blick Gottes imitieren soll, der hier ganz buchstäblich über Wasser wandelt. Die Tonspur dagegen gehört den Menschen, die zu den geschmäcklerischen Bildern meditieren und bleischwere, prätentiöse Sätze absondern – über die Bedeutung der Liebe und die Herrlichkeit Gottes, über die Liebe Gottes zu den Menschen und die Liebe der Menschen zu Gott. Wenn es hart auf hart kommt, dann blubbert Bardems Priester auf der Tonspur tiefgründige Einsichten wie diese: 'Gefühle ziehen vorüber wie Wolken. Liebe ist nicht nur ein Gefühl. (…) Du hast Angst, deine Liebe ist erloschen. Vielleicht wartet sie nur darauf, in etwas Höheres verwandelt zu werden. Erwache in der göttlichen Gegenwart, die jedem Mann, jeder Frau innewohnt. Erkenne einander in dieser Liebe, die niemals endet.' Halleluja!

Überhaupt reden die Menschen in Malicks Film niemals miteinander, sondern räsonieren über ontologische Befindlichkeiten, monologisieren über sich selbst, die Liebe oder Gott. Statt miteinander zu vögeln, 'gehen sie gemeinsam ein Stück des Weges'. Selbst wenn Afflecks Protagonist, der als für Umweltbelange zuständiger Bauaufseher arbeiten soll, im Boden einer Wohnsiedlung Blei und Kadmium findet, lässt Malick die Sonne und das göttliche Licht in die Kamera gleißen und glitzern, dass es eine Freude ist. Bald darauf schwenkt die Kamera zum Stoßseufzer 'My Hope!' in Holzhammersymbolik vom Acker zum Himmel. Die Orgel darf natürlich auf der Tonspur nicht fehlen und Stücke von Wagner, Haydn, Berlioz, Dvorák, Tschaikowski, Schostakowitsch und Bach ('Uns ist ein Kind geboren, Halleluja') erfreuen den Bildungsbürger. Irgendwann in Malicks Film sagt die Tochter Marinas aus erster Ehe: 'Irgendetwas fehlt hier!', und sogleich ist eine winzige Kinderhand zu sehen. Doch es ist nicht die Unfruchtbarkeit der Ehe zwischen Marina und Neil, sondern die Abwesenheit echten Lebens, von Gefühlen und Emotionen in diesem Film, die sich als Assoziation aufdrängt. Wenn die Voice-over von 'einer Lawine der Gefühle' stammelt, dann erscheinen all die schönen Bilder auf der Leinwand vor allem schrecklich leer und künstlich. Malicks Naturimpressionen wirken wie in Aspik eingeschlossen und seine Schauspieler wie unbeteiligte Statisten in einem drögen Kirchentagerbauungsvideo. Ohne den Gegensatz, den die irrationale Gewalt in seinen frühen Filmen darstellte, den Schmutz und den Wahn, der dort durchaus vorhanden war, wirkt all die Schönheit nur klinisch. Wenn Tatjana in einem Supermarkt auch noch bemerkt: 'Alles ist so sauber hier', dann möchte man laut auflachen darüber, dass Malick die Ironie dieses Kommentars wohl völlig abgeht. Er will die Leere des Konsumismus anklagen und überlädt seinen Film doch mit Oberflächenbildern.

So scheint es, als ob Malick ist eine Falle getappt ist, die Kubrick, mit dem er gerne verglichen wird, trotz aller Selbststilisierung vermieden hat: Er ist sein eigenes Genre geworden und kreist in seinen Filmen nur noch um sich selbst und die zum Fetisch gewordenen religiösen Erweckungs- und Erlösungsphantasien. Zwar gelingt ihm mit der endgültigen Dispensierung einer herkömmlichen Dramaturgie im letzten Akt nach fast zwei Stunden Ödnis eine zumindest visuell eindrucksvolle Koda. Das ändert aber nichts daran, dass man, wenn man nach all den klebrigen Seins-Diskursen endlich das Kino verlässt, das Bedürfnis verspürt, sich die hohle Predigt mit einem hochpotenten Antidot ganz schnell aus dem Kopf zu spülen. Etwa indem man ein wirklich schmieriges 70er-Jahre-B-Picture sieht, sich von einem hirnlosen Dolph-Lundgren-Direct-to-DVD-Actionfilm berieseln lässt oder sich dem kreativen Chaos eines amoralischen Bildersturms wie Harmony Korines Spring Breakers' aussetzt – kurz: die physisch greifbare Ambivalenz und Aufrichtigkeit eines gänzlich materialistischen Budenzaubers genießt. In diesem Sinn macht 'To the Wonder' durchaus Lust auf Kino. Nur eben nicht auf den nächsten Terrence-Malick-Film.

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Benotung des Films :

Harald Steinwender
To the Wonder
USA 2012 - 112 min.
Regie: Terrence Malick - Drehbuch: Terrence Malick - Produktion: Nicolas Gonda, Sarah Green - Bildgestaltung: Emmanuel Lubezki - Montage: A.J. Edwards, Keith Fraase, Shane Hazen, Christopher Roldan, Mark Yoshikawa - Musik: Hanan Townshend - Verleih: StudioCanal - FSK: ohne Altersbeschränkung - Besetzung: Ben Affleck, Olga Kurylenko, Javier Bardem, Rachel McAdams, Charles Baker, Romina Mondello, Darryl Cox, Cassidee Vandalia, William Riddle, Russell Vaclaw, Tatiana Chiline, Casey Williams, Tony O'Gans, Amy Christiansen, Russ Vaclaw
Kinostart (D): 30.05.2013

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1595656/