Thief – Der Einzelgänger

(USA 1981; Regie: Michael Mann)

Man(n) at Work

In der letzten Einstellung des Films geht James Caan alleine, verwundet in die großstädtische Nacht hinein, während die Kamera langsam nach oben entschwebt. Caan vergleicht „Thief“, Michael Manns ersten Kinofilm nach Arbeiten fürs Fernsehen, einem Menuett mit einer Form A-B-A, acht Takte, sechzehn Takte, acht Takte. Seine Figur Frank fängt an als ein Mann, dem nichts etwas anhaben kann, ein eiskalter Profi, der elf Jahre im Gefängnis verbracht hat. Im zweiten Teil gibt dieser Einzelgänger, wie ihn der deutsche Verleihtitel ankündigt, gleich auf mehreren Ebenen seine Unabhängigkeit auf: Er verliebt sich, zieht mit seiner Freundin Jessie (Tuesday Weld) zusammen, träumt von einer bürgerlichen Existenz. Doch, wesentlich verheerender, entscheidet sich Frank auch für den skrupellosen Chicagoer Mafiosi Leo (Robert Prosky) zu arbeiten, der dem Paar per illegaler Adoption ihren Kinderwunsch erfüllt, weil Jessie selbst keine Kinder bekommen kann und die Adoptionsagentur nicht bereit ist, einem Knacki wie Frank die Verantwortung für ein Kind zu übergeben. Im dritten und letzten Teil muss Frank wieder der werden, der er war, Frau und Kind in die Wüste schicken, die Autohandlung, die ihm als bürgerliche Fassade diente, in Flammen aufgehen lassen, einen martialischen Rachefeldzug gegen den Mob beginnen, der zwischenzeitig seinen Partner Barry (James Belushi) umgebracht hat. James Caans Figur steht im Jahr 1981 sichtlich auf der Schwelle zwischen den einsamen und introvertierten Anti-Helden des Hollywood in den Sechziger und Siebziger Jahren und den Action-Helden der späteren Achtziger.

Marcus Stiglegger schreibt über Frank, er sei „ebenso ungeschliffen wie die Diamanten, die er stiehlt und handelt.“ Diese Ungeschliffenheit produziert eine beständige Überforderung in den Dingen des „normalen“ Lebens. Nur in den beiden Einbruchsszenen, wenn er seinen väterlichen Freund Okla (Willie Nelson), ein Dieb wie er selbst, im Gefängnis besucht, nur wenn er jemanden mit einer Pistole im Gesicht rumwedeln oder schließlich im eruptiven Gewaltausbruch des Finales die Waffen sprechen lassen kann, scheint Frank ganz bei sich zu sein. Besonders deutlich wird Franks Unbeholfenheit in den Szenen mit Jessie. Zu ihrer Verabredung kommt er zwei Stunden zu spät, um die Angebetete, die heftig protestiert und ihn zum Teufel schicken will, eher in ein Diner zu entführen als zu geleiten. Wir sehen einen Mann, der es gewohnt ist, sich zu nehmen, was er haben will. Die Diner-Szene, in der Frank Jessie schließlich dazu überredet, bei ihm zu bleiben, ist eine der schönsten des Films. Der Mann, der sonst nur in seiner Arbeit aufzugehen scheint, beginnt für Momente sich zu öffnen, spricht von seinen Erfahrungen im Gefängnis und von seinem Verhältnis zu Okla. Im düsteren Chicago, in dem „Thief“ spielt, wird das Dinner zum Möglichkeitsraum, in dem ein anderes Leben fernab von der Männerwelt von Knast und Gangstertum greifbar nahe zu sein scheint.

Michael Mann drehte vor „Thief“ und dem Fernsehfilm „Jericho Mile“ einige dokumentarische Arbeiten, was für sein späteres Schaffen durchaus von Bedeutung ist. Die spezifische Ästhetik, die der Regisseur in den folgenden Dekaden immer weiter ausformulieren sollte, beruht auf einer Dialektik von Hyperrealismus und Stilisierung, Überhöhung. Nicht erst in seinen hochauflösend digital gedrehten Arbeiten der 00er Jahre „Collateral“, „Miami Vice“ und „Public Enemies“ lotet Mann die Grenze aus, an der Realismus in sein Gegenteil kippt. Dass die Kamera anders „sieht“ als das menschliche Auge und somit in der Lage ist, neue Erfahrungswelten zu eröffnen, bemerkte Walter Benjamin bereits 1924 in „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“: „Indem er [der Film] durch Großaufnahmen aus ihrem Inventar, durch Betonung versteckter Details an den uns geläufigen Requisiten, durch die Erforschung banaler Milieus unter der genialen Führung des Objektivs auf der einen Seite die Einsicht in die Zwangsläufigkeiten vermehrt, kommt er auf der anderen Seite dazu, eines ungeheuren und ungeahnten Spielraums uns zu versichern. Unsere Kneipen und Großstadtstraßen, unsere Büros und möblierten Zimmer, unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschließen. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunde gesprengt, so dass wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen.“

Neben den nächtlichen Chicagoer Straßen, auf deren stets regennassem Asphalt sich die Neonleuchtschriften mit Tausenden Verheißungen spiegeln, fällt die Stilisierung auch in den beiden langen Einbruchsszenen auf, von denen eine den Film eröffnet, während die andere kurz vor dem großen Show-Down zu sehen ist. Nüchtern, hoch konzentriert gedreht und montiert, scheinen Inhalt und Form eins, die filmischen Mittel zum genauen Spiegel der Professionalität des gezeigten verbrecherischen Akts zu werden. Und doch ist da in der Arbeit mit extremen Close-Ups von penetrierenden Bohrern und geknackten Schlössern – in der ersten Szene –, mit den durch die Schweißgeräte in einem Meer aus Funken zerstiebenden Bildern – in der zweiten – jene Differenz dessen, was die Kamera zeigt zu dem, was das bloße Auge wahrnehmen kann, wie sie Benjamin formulierte.

In ihrer Arbeit zu verschwinden, die Rolle, die sie in ihrer Arbeitswelt spielen, kaum mehr von ihrem „wahren Selbst“ unterscheiden zu können, ist das Schicksal der Mannschen Antihelden. Und das nicht erst seit „Miami Vice“, in dem einer der Gangster über die beiden Protagonisten sagt, er traue ihnen nicht, weil sie zu gut sind in dem, was sie tun. In diesem Film ist das, mehr noch vielleicht als in anderen des Regisseurs, eher Fluch als Segen. Collin Farrell muss am Ende die Frau, die er liebt, in eine Zukunft ohne ihn entlassen, weil sie auf der anderen Seite des Gesetzes steht.

Auch in „Thief“ hat die Liebe letztlich keine Chance. Hier scheitert sie jedoch nicht an äußeren Zwängen, sondern an der inneren Konstitution des Einzelgängers und Arbeitstiers. „You’re family“, sagt Leo zu dem Dieb, als dieser seine Partnerschaft aufkündigen will. Was an dieser Stelle die „Crime Family“ meint, passt doch auch sonst zum Schicksal des Loners, der sich in jeglichen familiären Bindungen eben in erster Linie gebunden fühlt, gefangen, wie im Knast. Ganz in seinem Element ist dieser Mann wieder, wenn er der Beste in etwas sein kann (was ihm als Familienvater wohl schwerlich gelingen würde). Am Schluss darin, Körper in Zeitlupe von Kugeln durch die Luft schleudern und aufreißen zu lassen. So geht er am Ende in die Nacht hinein, wo niemand auf ihn wartet. Der Einzelgänger. Der Dieb.

35 Jahre nach seinem Erscheinen und nachdem der Film in Deutschland entweder gar nicht oder nur auf einer ziemlich schmucklosen DVD zu bekommen war, hat ihn OFDb Filmworks nun in einer wahrlich monumentalen Blu-Ray/DVD-Edition neu aufgelegt. Auf insgesamt fünf Discs gibt es den Film in drei verschiedenen Versionen. Abgerundet wird das Set durch einige Dokumentationen und Interview –Features, ein Poster und einen Audio-Kommentar sowie einen Booklet-Text von dem in Genrefilm-Veröffentlichungen ziemlich allgegenwärtigen Prof. Dr. Marcus Stiglegger.

Benotung des Films :

Nicolai Bühnemann
Thief - Der Einzelgänger
(Thief)
USA 1981 - 122 min.
Regie: Michael Mann - Drehbuch: Michael Mann - Produktion: Richard Brams, Jerry Bruckheimer, Ronnie Caan, Michael Mann - Bildgestaltung: Donald E. Thorin - Montage: Dov Hoenig - Musik: Tangerine Dream - Verleih: OFDb Filmworks - FSK: ab 18 Jahren - Besetzung: James Caan, Tuesday Weld, Willie Nelson, James Belushi, Robert Prosky, Tom Signorelli, Dennis Farina
Kinostart (D): 27.08.1981

DVD-Starttermin (D): 11.03.2016

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0083190/
Link zum Verleih: http://www.ofdb.de/filmworks/dvd-blu-ray/der-einzelgaenger/
Foto: © OFDb Filmworks