The Boy

(USA 2016; Regie: William Brent Bell)

Im dämonischen Puppenhaus

Brahms hat nicht nur einen ausgefallenen Namen. Auch sonst ist der Junge reichlich seltsam. Der Achtjährige fordert permanente Aufmerksamkeit. Wenn er die nicht erhält, nu ja. Als seine Eltern, das gesetzte englische Paar Mr. und Mrs. Heelshire (Jim Norton, Diana Hardcastle), verreisen, engagierte sie für den anspruchsvollen Filius extra ein Kindermädchen. Mit einer langen To-do-Liste wird Greta akribisch genau instruiert. Was Brahms alles möchte und was nicht. Welche Geschichten er vorgelesen haben will und was er gerne isst. Doch kaum sind Daddy und Mami aus dem Haus, da macht es sich die junge Amerikanerin erst einmal mit einem Glas Wein bequem. Stundenlang tratscht sie am Telefon mit ihrer Freundin. Brahms ist ihr schnurzegal. Doch dann geschehen merkwürdige Dinge, die Greta im Handumdrehen zu einem mütterlich-fürsorglichen Vorzeige-Kindermädchen umerziehen. Was ist geschehen?

Mr. und Mrs. Heelshire wohnen in einem abgelegenen englischen Castle mit Erkern, Türmen und einem verwunschenen Garten. Ein solches „gothisches“ Spukschloss kennt man aus unzähligen Horrorfilmen. Man erwartet nichts anderes als, nun ja, Spuk. William Brent Bell hat mit Filmen wie „Wer – Das Biest in dir“ oder „Devil Inside“ nicht wirklich auf sich aufmerksam gemacht. Doch die Art und Weise, wie in diesem stilvollen Gruselschocker nach einem Buch von Stacy Menear eine unheimliche Stimmung beschwört wird, kann sich sehen lassen. Das liegt an der einfachen aber psychologisch wirkungsvollen Grundidee: Brahms verhält sich nicht wie andere Kinder seines Alters, weil er nicht aus Fleisch und Blut ist. Brahms ist eine lebensgroße Porzellanpuppe. Was den Jungen aber nicht davon abhält, sein Kindermädchen durch Zeichen, Hinweise und Beinahe-Katastrophen gefügig zu machen.

Die Frage, was es mit dieser Puppe auf sich hat, erzeugt in diesem stimmungsvoll fotografierten, an spanische Vorbilder erinnernden Film erstaunlich lange Spannung. Länger zumindest als man es erwartet. Das liegt an vielen originellen szenischen Einfällen. Erblickt die Babysitterin beispielsweise Tränen auf den Wangen des Jungen, den sie zuvor frustriert hat, dann stellt sich im nächsten Moment heraus, dass von oben Wasser durch die Decke tropft. Alle geht mit rechten Dingen zu. Trotzdem stellt sich immer wieder die Frage, ob die seltsame Puppe nicht doch ein dämonisches Eigenleben führt. Eine Hauptdarstellerin mit etwas mehr Präsenz und nuancierterem Ausdruckvermögen als Lauren Cohan, bekannt aus der Serie „The Walking Dead“, hätte das schaurige Vergnügen an diesem Psychothriller noch gesteigert.

Effektvoll zugespitzt wird die Geschichte jedenfalls, als der gelegentlich auftauchende Lieferant Malcolm (Rupert Evans) die in ihrem Schloss versauernde Nanny endlich einmal zum Ausgehen überreden will. Mit am Tisch sitzt in dieser Situation die Puppe, die zu diesem Vorschlag nichts sagt. Sie kann ja auch nicht sprechen. Auf eine bestimmte Weise kann sie sich aber dennoch so gut verständlich machen, dass Greta in vorauseilendem Gehorsam darauf verzichtet, mit dem netten Malcolm auszugehen. Sie kann doch den Jungen nicht alleine lassen. Brahms kann sehr böse werden, wenn eine väterlich konnotierte Figur seine Intimität mit der Nanny stört. Wie sieht diese Intimität aus?

Immer wieder wird die attraktive Babysitterin beobachtet, beim Duschen und beim Umziehen. Manchmal verschwinden sogar ihre Kleider. Ein erotisches Knistern entsteht. Wer ist der heimliche Spanner? Kehrt etwa Malcolm, nachdem er die Lebensmittel abgeliefert hat, zurück, um sich unbemerkt als Voyeur zu betätigen. Ist Brahms der heimliche Beobachter?

Auf recht originelle Weise variiert der Gruselfilm das Thema ödipaler Rivalität. Zunächst verzichtet Greta darauf, mit Malcolm auszugehen. Obwohl sie ihn schon ziemlich anziehend findet. Doch Brahms will es nicht. Er will seine (Ersatz-)Mutter für sich ganz alleine. Packend wird der Film, weil Malcolm letztlich doch Manns genug ist, um in diese allzu enge Mutter-Kind-Dyade einzubrechen. Aus einem Gespräch zwischen Malcolm und Greta ist zu erfahren, dass die junge Frau vor ihrem gewalttätigen Ex-Geliebten geflohen ist. Sie hat sein Kind abgetrieben, was ihr ein schlechtes Gewissen bereitet. Ist die Porzellanpuppe Brahms etwa so etwas wie eine Wiederkehr des Verdrängten?

Mit all diesen Assoziationen spielt „The Boy“ eine ganze Weile ziemlich geschickt. Die Geschichte einer Mutter, die wie die Jungfrau zum Porzellankind kommt, ist sicherlich eine Enttäuschung für Nerds, die mechanisch herunterbeten, dass man solch dämonische Puppen schon aus „Chucky“, „Conjuring“ oder „Annabelle“ kennt. Eine wichtige Referenz darf allerdings nicht unerwähnt bleiben: Wer das neuseeländische Meisterwerk „Housebound“ nicht kennt, wird mit Sicherheit mehr Spaß an diesem dämonischen Puppenhaus haben.

Benotung des Films :

Manfred Riepe
The Boy
(The Inhabitant)
USA 2016 - 97 min.
Regie: William Brent Bell - Drehbuch: Stacey Menear - Produktion: Matt Berenson, Roy Lee, Gary Lucchesi, Tom Rosenberg, Jim Wedaa - Bildgestaltung: Daniel Pearl - Montage: Brian Berdan - Musik: Bear McCreary - Verleih: Capelight Pictures - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Lauren Cohan, Rupert Evans, Ben Robson, Jim Norton, Jett Klyne, Diana Hardcastle, James Russell
Kinostart (D): 18.02.2016

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt3882082/
Foto: © Capelight Pictures