Star Trek – Der erste Kontakt

(USA 1996; Regie: Jonathan Frakes)

Wir haben es seit 30 Jahren gewusst!

In Großaufnahme die Pupille des Enterprise-Kommandanten Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) und dann 50 Meter Fahrt retour, dabei den Zoom bis zum Anschlag zurückgedreht: Trotzdem reicht die Totale nicht, alle 25 Decks des Raumschiffs zu zeigen. Immerhin ist es bekanntlich 300 Meter lang. Das Kommandanten-Auge ist nicht mehr auszumachen. Doch wir wissen (und wir haben es seit 30 Jahren gewusst), dass das Technikmonstrum eine menschliche Seele hat – die Autorität eines fürsorgenden Vaters. Dem wir vertrauen dürfen. Patrick Stewart, der große Shakespearemime, ruft jetzt, im achten Star-Trek-Film, die Jugend der Welt, nämlich alle Trekkies, zu folgendem auf: Leistet Widerstand! Nämlich denen, die euch einreden, Widerstand sei

a) zwecklos (und zwar gegen die Borg, Feinde der Menschheit, halb Mensch, halb Maschine, zum Fürchten), und

b) verboten (und das sind jetzt die eigenen Vorgesetzten des Starfleet Command, des Hauptquartiers der Sternenflotte).

Auf der Kommandobrücke der Enterprise E stimmt die Mannschaft ab und beschließt einstimmig: Gegenangriff nach draußen, Befehlsverweigerung nach innen. – Verantwortung übernehmen, wenn schon nicht zum Wohle der ganzen Menschheit, dann doch zum Wohle geplagter Minderheiten: Das ist die Botschaft, die die unterschiedlichsten US-Filme eint. Wir dürfen nicht vergessen, dass Patrick Stewart den alt-neuen Werten, die er seit zehn Jahren als Enterprise-Kommandant pflegt, fast wortgleich, aber mit dem Gewicht seiner 'Star Trek'-Autorität, in der Schwulen-Tragikomödie 'Jeffrey' (1996) zur Geltung verhilft. In einer Aids-Love-Story. Der Star-Trek-Virus ('Der erste Kontakt') steckt jetzt mittlerweile überall, wollte ich damit sagen. Und das ist gut so. Insbesondere, da nach dreißig Jahren 'Star Trek'-Serien und zehn Jahre seit Beginn der Comeback-Serie 'Star Trek: Die nächste Generation' mit den new ethics wünschenswerte Korrekturen am Feindbild vorgenommen worden sind.

Der Feind, das war die Mensch/Maschinenrasse, die nur im Kollektiv denken und handeln kann, aber neuerdings leidet sie darunter; drum hatte sie sich dankbar humane Bio-Masse inkl. Cpt. Picard einverleibt. Und der, jetzt wieder im Amt, kann dies sehr wohl nachfühlen. Ein Mindestmaß an Verständnis für die Bedauernswerten, die das brauchen: sich Individualität einzuverleiben. Neu! ambivalent! ist auch die Königin der Borg – eine attraktiv-verführerische Fantasy-Kreation (Alice Krige), deren Reizen zu erliegen nicht nur dem emotionschipgesteuerten Lieutenant Commander Data (Brent Spiner) ein Genuss ist.

Die Entscheidungen sind schwieriger geworden. Die Menschheit dürstet nach Ein-, Weit- und Aussicht – sie 'denkt so eng, so dreidimensional' (Filmdialog). Die Enterprise E, inzwischen ein energiesparendes und ein wenig verkleinertes Modell, muss eine unvermutete Zeitspalte nutzen, um unter vollem Einsatz des warp drives vom 24. zurück ins hilfebedürftige 21. Jahrhundert zu gelangen (Neu! Zeitsprung!). Am 4. April 2063 geht es für das Universum ganz entscheidend darum, dem Alki und Erfinder Zefram Cochrane (James Cromwell) zum Glauben an die Zukunft zu verhelfen. Und das bedeutet nichts anderes als zum Glauben an den technischen Fortschritt: die überlebenswichtige Raketentechnologie. Wie wird er sich entscheiden? Wagt er den Entzug? – Wir müssen in diesem hypermoralischen Zukunftsfilm mitzittern.

Den Star-Trek-Optimismus, den unerschütterlichen Glauben an die Verbesserung der Zivilisation und den Sieg der humanen Werte – dieses Weltbild haben sich mit dem Star-Trek-Universum angeblich mehr als 40 Prozent aller US-Amerikaner einverleibt, plus TV-Konsumenten in hundert Ländern. Voll Siegeszuversicht investieren die Star-Trek-Kapitalisten in unerschütterlichem Glauben an die Zukunft der Star-Trek-Botschaften in das 'Star Trek: The Experience'-Projekt in Las Vegas. Ab Frühjahr 1997 werden dort im Enterprise-Vergnügungspark Fahrten durch das Star-Trek-Universum simuliert. Von der Brücke der Enterprise, und jeder kann mitmachen. Wenn heute schon zehn Millionen Menschen pro Jahr die Star-Trek-Ausstellung im Smithsonian Air and Space Museum in Washington besuchen, dann darf man sicher sein: Spätestens am 4. April 2063 wird der Star-Trek-Borg noch die letzte menschliche Individualität assimiliert haben. Dann herrscht auf Erden endgültig das Star-Trek-Kollektiv.

Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 01/1997

Star Trek - Der erste Kontakt
(Star Trek - The First Contact)
USA 1996 - 110 min.
Regie: Jonathan Frakes - Drehbuch: Rick Berman, Brannon Braga, Ronald D. Moore - Produktion: Rick Berman - Bildgestaltung: Matthew F. Leonetti - Montage: John W. Wheeler - Musik: Jerry Goldsmith - Verleih: Paramount - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Patrick Stewart, Jonathan Frakes, LeVar Burton, Michael Dorn, Gates McFadden, Marina Sirtis, Brent Spiner, Alfred Woodard, James Cromwell
Kinostart (D): 19.12.1996

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0117731/