Man for a Day

(D 2012; Regie: Katarina Peters)

What a (Wo)Man

Es ist einer dieser skurrilen Kinomomente, die das Medium so faszinierend machen: Da tobt eine Debatte um das Ritual der Beschneidung quer durch das politische und religiöse Leben des Landes und just in diesem Moment kommt ein Dokumentarfilm über Gender-Konstruktionen in die Kinos, in dessen Prolog eine Beschneidung zu sehen ist, bevor in aller Gelassenheit der Titel des Filmes („Man for a Day“) eingeblendet wird. Ich will keine falschen Erwartungen wecken. Der hier besprochene Film kreist nicht um das Thema religiöser Beschneidung und ich werde diese Szene, wie der Film im Übrigen auch, nicht noch einmal aufgreifen. Als Auseinandersetzung mit den eigenen Kastrationsängsten, die der Film auszulösen vermag, und als Verweis auf die kuriosen Bezüge zwischen Realität und Film taugt der Exkurs aber allemal.

In „Man for a Day“ verfolgt Regisseurin Katarina Peters, die 2005 mit ihrem sehr privaten wie beeindruckenden Debütfilm „Am seidenen Faden“ für den Europäischen Filmpreis nominiert wurde, einen Workshop der Gender-Aktivistin und Performance-Künstlerin Diane Torr, die darin den Ursprüngen der Gender-Identität nachforscht. Die Teilnehmerinnen dieses Kurses, es sind zunächst einmal Archetypen wie die allein erziehende Mutter, die kesse Schönheitskönigin oder die selbstbewusste Politikberaterin, verwandeln sich unter Anleitung Torrs innerhalb einer Woche in Männer. Nicht die Mimesis oder die Annäherung steht hier im Vordergrund, sondern das Einlassen auf das Unbekannte, das Beherrschende und die damit verbundenen, eigenen Befangenheiten. Es geht um eine möglichst vollkommene Transformation mit der Absicht, männliche wie auch weibliche Verhaltensmuster sichtbar zu machen, zu verstehen und bestenfalls bewusst zu nutzen – oder um einfach „die Windstille, die Männer umgibt“ zu spüren, wie es eine der Teilnehmerinnen formuliert. Deshalb genügt es auch nicht, die langen Haare unter einer Mütze zu verstecken oder weiterhin mit lackierten Fingernägeln in Erscheinung zu treten, denn in ihrer neuen Rolle sollen die Teilnehmerinnen früher oder später auf die Straße und unter (echte) Männer treten.

Mit angenehmer Leichtigkeit hinterfragt der Film die soziokulturelle Konstruktion der Geschlechterrollen. Und es ist insbesondere dem ungeheuer genauen Blick von Diane Torr, der in der Montage durch Archivaufnahmen zu einigen ihrer Performances reflektiert wird, zu verdanken, dass der männliche Zuschauer das ein oder andere Mal angenehm irritiert im Kinosessel nach unten rutschen und über das eigene Gebaren schmunzeln muss: Der (öffentliche) Raum wird beispielsweise durch einen bestimmten Gang erobert, Augen bewegen sich prinzipiell nur mit dem Kopf und das Lächeln müssen sich die Teilnehmerinnen gleich als erstes abgewöhnen, denn Männer lächeln nicht grundlos. In seinen schönsten Momenten wird so der Gaze im Film spielend umgekehrt, ohne zum übermotivierten Zeigefingerfeminismus zu geraten.

Leider verzettelt sich der Film gegen Ende dann heftig. Solange er sich im geschützten Raum seiner Experimentieranordnung (Workshop) bewegt, funktioniert er. Problematisch wird es an den Grenzen dieses Systems. Zu sehr verlässt sich die Regisseurin auf das Ideengebäude von Diane Torr. Ohne sie und das Seminar verliert der Film seine Richtung und den Mut, sein Thema auch außerhalb des Kurses zu betrachten oder gar weiterzuentwickeln. Stattdessen wird dem Workshop teils redundantes Material nachgelagert. Inkonsequent werden Figuren noch ein Stück weiter begleitet, aber nicht zu Ende erzählt. Mit ihrer Zurückhaltung vermeidet die Regisseurin zwar, in die allzu offensichtlichen Gender-Fallen zu tappen (die archetypischen Hauptfiguren haben allesamt auch archetypische Probleme mit dem anderen Geschlecht), dadurch verfehlt der Film allerdings auch jede Abgeschlossenheit. Die Regisseurin ist so sehr auf das Zeigen aus sicherer Entfernung bedacht, dass am Ende weniger sichtbar gemacht wird als am Beginn möglich schien. Wenn Diane Torr mit ihrer Tochter in Venedig spazieren geht, ist das keine Annäherung an die charismatische Protagonistin, sondern vielmehr eine Ausrede, ihr und ihrer Motivation, sich mit Geschlechterrollen so intensiv auseinanderzusetzen, nicht näher kommen zu müssen. Vielleicht stand hier die bereits dreißig Jahre währende Freundschaft zwischen Regisseurin und Protagonistin einer objektiveren filmischen Begegnung im Weg.

Wirklich bitter ist jedoch, auch wenn es kleinlich erscheinen mag, der Kurzauftritt von Claudia Roth, die ach so überrascht ins Bild hineinperformt und vollkommen hin und weg ist, von so viel Aufmerksamkeit. Und dann steht sie für ein paar Sekunden da und darf bewundert werden – die Musterfrau der deutschen Politik. Doch weder dafür, noch als Erläuterung des beruflichen Umfelds einer der Protagonistinnen ist sie tatsächlich geeignet. Und es hilft auch nicht, dass Diane Torr im Anschluss an diese Szenen anmerkt, dass wir alle Schauspieler sind. Der Auftritt Claudia Roths ist vor allem Ausdruck für die politische Gesinnung der Regisseurin und damit unangenehm irritierend.

Am Ende bleibt das Gefühl, der Film hätte mehr aus seinem Sujet und seinen Figuren machen können. Zwar ist die Verwandlung der Kursteilnehmerinnen wunderbar amüsant anzuschauen, schafft aber beim Zuschauer zu keinem Zeitpunkt ernsthafte Verunsicherung, die bei diesem Thema durchaus reizvoll hätte sein können. Gerade über die Montage hätte der Film mit der Inszenierung der Identitäten spielen können und so auch seinen thematischen Überbau stützen und für das Publikum erfahrbarer machen können.

Vielleicht hätte ein Mann dem Schnitt gut getan, denn manchmal ist eine andere Sichtweise eben entscheidend hinsichtlich all der Verwirrungen zwischen den Geschlechtern.

Benotung des Films :

Ricardo Brunn
Man for a Day
Deutschland 2012 - 96 min.
Regie: Katarina Peters - Drehbuch: Katarina Peters - Produktion: Katarina Peters, Louise Scott - Bildgestaltung: Susanna Salonen, Yoliswa Gärtig, Katarina Peters - Montage: Friederike Anders, Jana Teuchert - Musik: Tilman Schade, Gudrun Gut, Ben Freyer - Verleih: Edition Salzgeber - FSK: ab 6 Jahre - Besetzung: Diane Torr, Susann Schönborn, Eva-Marie Torhorst, Tal Peer, Theresa Theune, Rosa Maria dos Santos
Kinostart (D): 19.07.2012

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2155337/