Mad Max: Fury Road

(AUS 2015; Regie: George Miller)

Benzin und Muttermilch

Nach etwa einer halben Stunde denkt man: Das kann so nicht weitergehen. Nichts als eine atemlose Materialschlacht, ein richtungsloses Stakkato, Unfälle, Stunts, heisere Kommandos, zerberstendes Blech und Explosionen. Doch dann schleppt sich Max (Tom Hardy), der dieses Inferno als lebende Galionsfigur an vorderster Front mit ansehen musste und nur durch ein Wunder überlebte, durch die Wüste bis zu einem gepanzerten Tankwagen. Und hier sieht er etwas, was ihn ebenso verblüfft wie den Zuschauer. Doch zunächst von Anfang an.

1979 ersann der Australier George Miller einen etwas anderen Actionhelden. Der damals noch unbekannte Mel Gibson spielte einen Gesetzeshüter, dessen Prinzipien sich in einem diffusen, postapokalyptisch anmutenden Szenario denen der Gesetzlosen mehr und mehr annähern. Manieriert und „schwuchtelig“ sich gerierende, hoch motorisierte Motorradrocker töten seinen Sohn, worauf Max zu einem Rachefeldzug ausholt, der nichts Heroisches hatte und nicht so aufgeblasen machohaft wirkte wie das humorlose Auftreten von Sylvester Stallone.

Die zwei Jahre später gedrehte Fortsetzung ist nun endgültig in einer postapokalyptischen Ära angesiedelt. Wie es zur Katastrophe kam, wird vom zurück blickenden Off-Erzähler – ein alter Mann, dessen Stimme wir erst ganz am Ende mit der jenes Kindes zusammen bringen, das Seite an Seite mit Max kämpft – nur vage erinnert. Es gibt zwei Parteien. Angeführt vom „Ayatollah aller Rock’n‘Roller“, trachten in schwarze Lederkluft gehüllte Motorradrocker, deren unbekleideter Hintern an eine homoerotische Horde erinnert, nur danach, den letzten zivilisatorischen Kräften, die sich in einer Wagenburg verschanzt haben, die Spritvorräte zu stehlen. Auf der manifesten Ebene ist es ein Kampf um die letzten Ressourcen. Sinnbildlich geht es um das entfesselte Lustprinzip, das die letzten Reste der Zivilisation – und damit das Prinzip „Triebaufschub“ absorbieren will. Es sind postmoderne Westernfilme, in denen es keine Pferde, dafür aber umso mehr Pferdestärken gibt.

Mit hochgerüsteten Motoren, Schwermetall und einem Krieg, der auf vier Rädern ausgetragen wird, überführte George Miller das Action-Genre in die Anmutung eines Rockkonzerts. Heavy-Metal-Ästhetik, die an einschlägige Plattencover erinnert, bildet auch das zentrale Motiv im nunmehr vierten Teil, in dem Miller seinen schweigsamen Antihelden, nun gespielt von Tom Hardy, nach 30-jähriger Pause in die ultimative Materialschlacht schickt. Die Kinder aus dem voran gegangenen Teil „Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel“ sind offenbar zu Teenagern herangewachsen. Sie sehen aus wie kahlköpfige, kalkweiße Zombies. Es scheint so, als wären sie alle die Söhne des perversen Warlords Immortan Joe, gespielt von Hugh Keays-Byrne, der schon im ersten Teil den Fiesling Toecutter verkörperte. Auf hohen Felsen mitten in der Wüste übt er eine archaisch anmutende Schreckensherrschaft über Menschenmassen aus, die er durch die Verknappung der Ressource Wasser unterdrückt. Seine „Söhne“ wirken so, als würden sie permanent Amphetamine schlucken. Auf stachelig-gepanzerten Vehikeln mit der Anmutung eines rollenden Jurassic Parks ziehen sie in den Wüstenkrieg: Dabei sprühen sie sich Silberlack auf die Zähne, so dass ihre irre grinsenden Gesichter aussehen wie der Kühlergrill eines Autos. Und so wie sich in „Apocalypse Now“ die fliegende Kavallerie mit Wagnerklängen aufputscht, so wird der Hochgeschwindigkeitstross hier von einer riesigen, fahrenden Konzert-Lautsprecheranlage begleitet, vor deren Membranen ein Gitarrist das Metall zum Klingen bringt: Rock & „Roll“ als wörtlich genommene Metapher, als buchstäblicher „Highway to Hell“ – passend zur gegenwärtigen Tournee der australischen Metal-Dinos von AC/DC.

Wollte man die Geschichte nur als „Plot“ im üblichen Sinn zusammenfassen, so würde ein Halbsatz genügen. Der Tanklaster, der im zweiten Teil von Max Max ins Nichts fuhr, fährt diesmal denselben Weg einfach wieder zurück. Ein Film ohne Handlung? Flops wie Kevin Costners „Waterworld“ zeigen, dass so etwas nicht funktioniert. In „Mad Max: Fury Road“ wird einem erst allmählich bewusst, dass diese gefühlte Neuverfilmung von „Speed“ allein deswegen überzeugt, weil die weiblichen Charaktere in dieser Vollgas-Actionchoreographie wie Grammatik und Satzzeichen fungieren. Damit wären wir wieder bei der eingangs geschilderten Szene angelangt …

Der Irrsinn aus comicartiger, trashiger Übertreibung und computerspielartiger Derealisierung wird plötzlich unterbrochen, als Max mitten in der Wüste auf besagten LKW trifft. Die einarmige Furiosa (Charlize Theron) hat fünf Sexsklavinnen aus den Fängen des Warlords Immortan Joe befreit, eine davon hochschwanger. Wurde im zweiten Teil noch um die Ressource Benzin gekämpft, so sind nun die Frauen selbst das Tauschobjekt. Doch die spielen nicht mehr mit. Furiosa ist gerade dabei, die Frauen von ihren martialischen Keuschheitsgürteln zu befreien: Im ersten Augenblick sieht das so aus, als wäre Max ein toter Dschihadist, der im Jenseits auf die versprochenen Jungfrauen trifft. Der einsame Wolf versucht die Kontrolle zu erlangen, bemerkt aber schnell, dass ohne Kooperation nichts läuft. Nicht ganz freiwillig schließt er sich den Frauen an, die an einem utopischen Ort namens „Green Place“ eine von der kindsköpfigen Männerherrschaft befreite Gesellschaft gründen wollen.

Bei der Zeichnung seiner Frauenfiguren hat George Miller sich von der feministischen Theaterautorin Eve Ensler, bekannt für ihre „Vagina Monologe“, beraten lassen. Das Ergebnis ist, zumindest für einen Blockbuster, verblüffend. Schon zu Beginn stürmt der Warlord in den verlassenen Harem, wo die geflüchteten Frauen die Botschaft „Women are no Things“ an die Wand gesprüht haben. In einer der schrillsten Szenen ist zu sehen, wie die Brüste der Frauen an Melkmaschinen angeschlossen sind, die ihre Muttermilch abzapfen. In dieser archaisch-perversen Gesellschaft, deren Umrisse Miller mit wenigen Pinselstrichen hintupft, hängen infantile Männer sinngemäß an den Mutterbrüsten.

Damit ist nun Schluss.

Im Verlauf einer höllischen Materialschlacht gewinnt jede der Frauen eine gewisse charakterliche Kontur zurück. Es gibt keine Szene, in der ein weiblicher Charakter mit weit aufgerissenem Mund den rollenspezifischen „markerschütternden Schrei“ ausstößt. Von Furiosa angeführt, schlagen die Frauen sich durch bis zu jenem mysteriösen Ort in der Wüste, wo ein paar ältere Geschlechtsgenossinnen mit lederartiger Haut und schweren Motorrädern eine trostlose Enklave mitten im Nichts errichtet haben. Hier gibt es nichts außer einer Handtasche voller Erinnerungen an bessere Zeiten. Das gelobte Land, eine Täuschung? Wenn Furiosa einen herzzerreißenden Schrei der Enttäuschung ausstößt, dann ist klar: Max Rockatansky ist in seinem „eigenen“ Film nur noch eine Nebenfigur und Tom Hardy eine eher blasse Erscheinung. Neben Charlize Theron, die trotz ihrer metallenen „Terminator“-Klaue ziemlich gut schießt, verkörpern die Frauen die eigentlichen Hauptfiguren und der Held ein Auslaufmodell.

Der subversive Feminismus drängt sich nie in den Vordergrund. „Mad Max: Fury Road“ ist kein Vagina Monolog, eher ein Abgesang auf die Phallokratie der Motoren. Im Gegensatz zu einem typischen Hollywood-Reißer verzichtet Miller auf grelles Pathos, reißt handlungsrelevante Details nur elliptisch an. Mit erfreulich wenig computergenerierten, dafür aber umso mehr physisch überwältigenden Tricks gelingt Miller entfesseltes Überwältigungskino, das keineswegs stupide ist. Sein Film strömt mit Hochgeschwindigkeit durch die Schaltstellen des Unbewussten wie Benzin durch den Vergaser.

Hier gibt es eine weitere Kritik zu 'Mad Max: Fury Road'.

Benotung des Films :

Manfred Riepe
Mad Max: Fury Road
Australien 2015 - 120 min.
Regie: George Miller - Drehbuch: Nick Lathouris, Brendan McCarthy, George Miller - Produktion: Bruce Berman, Graham Burke, Genevieve Hofmeyr, George Miller, Doug Mitchell, Iain Smith, P.J. Voeten - Bildgestaltung: John Seale - Montage: Jason Ballantine, Margaret Sixel - Musik: Junkie XL - Verleih: Warner Bros. GmbH - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: Tom Hardy, Nicholas Hoult, Zoe Kravitz, Charlize Theron, Rosie Huntington-Whiteley, Riley Keough, Nathan Jones, Josh Helman, Megan Gale, Richard Carter, Angus Sampson, Hugh Keays-Byrne, Courtney Eaton, Melissa Jaffer, John Howard
Kinostart (D): 14.05.2015

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1392190/