Gefühlt Mitte Zwanzig

(USA 2014; Regie: Noah Baumbach)

„Youth is wasted on the young!“

Hat George Bernard Shaw gesagt, nicht etwa Oscar Wilde, wie man vermuten könnte. Says the internet.
„74 is the new 24“ lautet der Titel eines Tracks auf dem neuen Album von Giorgio Moroder (75), der aber dann seine aktuellen Disco-Reminiszenzen doch lieber achselzuckend „Deja-vu“ überschrieben hat. „While We´re Young“ lautet der Originaltitel des neuen Films von Noah Baumbach, dessen deutschsprachiger Verleihtitel „Gefühlt Mitte Zwanzig“ die provozierende Offenheit des Originals leider nicht transportiert, sondern lieber interpretiert („gefühlt“). Man ist so jung, wie man sich fühlt? Oder: „Jetzt seid ihr dran, ihr jungen Hasen und Hüpfer!“ (Die Türen)

Erzählt wird die Geschichte von Josh und Cornelia Srebnick, einem bewusst kinderlos lebenden Mittvierziger-Paar, das mit mulmigem Gefühl erleben muss, dass alle gleichaltrigen Freunde plötzlich eine manische Lust am Nachwuchs packt, was diese fröhlich Richtung Regression treibt. Josh galt vor Jahren als Filmemacher-Talent, mittlerweile ist er Filmemacher mit einem Projekt. Cornelia ist Filmproduzentin und produziert die Arbeiten ihres berühmten Vaters. Aus Josh´ Arbeit hält sie sich heraus, aber das ist durchaus nicht als Krisenindiz zu werten. Ratlos und hilflos flieht das Paar mit dem routinierten Alltag in die Arme eines aufreizend kreativen Mitt-Zwanziger-Hipster-Paares, die irgendwie doch noch inspirierter drauf zu sein scheinen. Jamie macht was mit Medien, Darby ist unterwegs in Sachen „Bio-Eiscreme“.

Baumbach klopft diesen Clash der Generationen auf sein Komödienpotential ab und teilt dabei nach allen Seiten gleichermaßen aus: die Alten machen sich lächerlich, wenn sie mit dem Livestyle-Habitus der Jüngeren kokettieren, sich komische Hipster-Hüte kaufen oder HipHop-Choreografien draufschaffen, wo doch schon die Athritis droht. Die Jungen – Jamie und Darby – dagegen verabschieden sich aus der Gegenwart und feiern das, was die Älteren längst weggeworfen haben: Schreibmaschine, Schallplatten, VHS-Cassetten, Tape-Decks. Wenn Jamie allerdings von Survivors´ „Eye of the Tiger“ schwärmt, kann Josh ziemlich cool replizieren: „Ich kannte den Song schon, als er noch schlecht war.“ Das coole Pop-Wissen scheint den Hipstern abzugehen. Einmal bringt Josh es gegenüber Cornelia auf den Punkt, warum der Kontakt zu dem jüngeren Paar trotzdem befriedigend ist. Erstens: es sei doch gar nicht so lange her, dass sie selbst Mittzwanziger gewesen seien. Und, viel wichtiger, zweitens: „Zum ersten Mal fühle ich mich nicht wie ein Kind, das Erwachsene imitiert.“ Doch damit gibt sich Baumbach nicht zufrieden; er lädt seinen Film ideologisch auf, indem er die Ethik ins Spiel bringt. Josh ist nämlich Dokumentarist, der vor Jahren einen großen Erfolg hatte, jetzt aber schon viel zu lange an einem überambitionierten Nachfolgeprojekt arbeitet. Materialistisch, intellektuell und vor allem sehr lang soll der Film werden. „Ein Sechseinhalb-Stunden-Film, der sieben Stunden zu lang ist“, spottet Joshs Schwieger- und Übervater Leslie Breitbart, eine Art Frederick Wiseman-Figur. Auch Jamie möchte als Dokumentarfilmer arbeiten. Deshalb begegnet er Josh zunächst als erklärter Fan, wird dann zu einer Art Assistent, bevor er dessen „old school“-Ethik mit geschmeidig manipuliertem Material den Rang abläuft. Jamie hat die Zeichen der Zeit erkannt und lernt schnell. Seine Moral ist so indifferent wie sein Musikgeschmack.

Wie schon im Vorgängerfilm „Frances Ha“ spart Noah Baumbach nicht mit Verbeugungen vor Woody Allen. „Gefühlt Mitte Zwanzig“ spielt sehr erkennbar in Brooklyn. Neben dem „Stadtneurotiker“ und „Manhattan“ kommt diesmal über die Dokumentaristen-Schiene dessen Film „Liebe und andere Kleinigkeiten“ ins Spiel. Vielleicht sollte man es tatsächlich vermeiden, innerhalb einer Familie die gleichen Berufsfelder zu bekleiden. Doch der eigentliche Besetzungscoup von „Gefühlt Mitte Zwanzig“ ist die Besetzung der Rolle des Josh, Filmemacher mit politischem Selbstverständnis und Godard zitierender Lehrbeauftragter, mit Ben Stiller, denn diese Entscheidung setzt nicht nur eine Lawine an reizvollen intertextuellen Verweisen in Gang, sondern erlaubt einen neuen Blick auf die eigenwillige wie vielschichtige Karriere Stillers, die tatsächlich in einer Vielzahl von Genres und Genre-Hybriden um Fragen der Identität, der Männlichkeit, der Körperlichkeit und des Alterns zu kreisen scheint.

Stiller, der im November 50 Jahre alt wird, ist der Sohn der sehr, sehr bekannten Komiker Jerry Stiller und Anne Meara und schaffte sehr früh selbst den Einstieg ins Showbusiness. Nach den Stationen „Saturday Night Live“ und „MTV“ arbeitete Stiller als Schauspieler, Regisseur, Produzent, Drehbuchautor und Musiker und schaffte dabei nicht nur einen erstaunlichen Spagat zwischen derben Klamauk („Cable Guy – Die Nervensäge“) und ernsthaften Charakterrollen („Greenberg“ unter der Regie von Baumbach), sondern es gelang ihm überdies diese Spanne mit allerlei Abschattierungen und originellen Mischungsverhältnissen zu füllen. In Filmen wie „Verrückt nach Mary“, „Meine Braut, ihr Vater und ich“ oder auch „Nach 7 Tagen – Ausgeflittert“ stolpert Stiller als relativer Durchschnittstyp von einem Schlamassel ins nächste und kämpft unverdrossen und mit viel Körperkomik gegen sadistische Drehbucheinfälle. Einerseits dreht Stiller mit exzentrischen Filmemachern wie James Toback („Black and White), Wes Anderson („The Royal Tenenbaums“), andererseits ist er ganz selbstverständlich Teil der kindischen Blockbuster-Popcorn-Industrie („Madagascar“, „Nachts im Museum“) und natürlich auch im Fernsehen einschlägig präsent („Die Simpsons“, „Lass es, Larry!“, „King of the Hill“, „Family Guy“). Seine Unberechenbarkeit, sein Mut zur Selbstironie, ein unverhohlener Hang zur Geschmacklosigkeit und seine Nähe zur Pop-Kultur machen Ben Stiller zur Idealbesetzung gleichermaßen von Filmen wie „Starsky & Hutch“, „Zoolander“ oder eben auch „Gefühlt Mitte Zwanzig“.

Beschäftigt man sich etwas intensiver mit Ben Stiller, seinen Rollen und seinen Filmprojekten, dann fällt schon eine gewisse Befasstheit mit Fragen der Identität und den rites de passage auf. In seiner ersten Regiearbeit, dem „Generation X“-Porträt „Reality Bites – Voll das Leben“ (1994) spielt Stiller den ehrlichen Yuppie-TV-Produzenten, der das Dokumentarmaterial der mit dem Erwachsenwerden hadernden Jugendlichen ohne böse Absicht, aber auch ohne größere Bedenken an einen Musiksender weitergibt, der die autobiografischen Notizen in ein knalliges kulturindustrielles Produkt verwandelt. Unter den Bedingungen von 1994 ist die von Stiller gespielte Figur des Michael Grates ein Handlanger des Kapitals. Mit etwas mehr Abstand könnte er auch einfach etwas professioneller als die etwas narzisstischen jugendlichen Quertreiber gewesen sein. An Michael Grates und den selbstgefälligen Außenseiter Troy Dyer sollte man sich jedenfalls erinnern, wenn man jetzt „Gefühlt Mitte Zwanzig“ sieht – und wissen will, was mit der Jugendkultur in den vergangenen 20 Jahren geschehen ist.

„Gefühlt Mitte Zwanzig“ erzählt vom Altern der „Generation X“. Einer Generation, die noch ohne Internet und Social Media aufwuchs, aber gegen den Neoliberalismus der Reagan-Ära eine gewisse moralische Selbstverpflichtung in Anschlag brachte. Dass das heutzutage hinderlich geworden ist, belegt das »ewige« Filmprojekt von Josh, dessen komplexe Analyse des Kapitalismus vielleicht nur hilflos dessen Hybris dokumentiert. In Interviews hat Baumbach wiederholt ausgeführt, dass er sich nicht in der Figur von Josh wiederfinde, sondern eher im pragmatischen und manipulativen Jamie. Andererseits habe ihn an der Figur des scheiternden Dokumentaristen gereizt zu zeigen, wie es sich anfühlen mag, wenn man in einem gewissen Alter erfahren muss, dass der biografische Selbstentwurf nicht länger trägt. Eine Frage bleibt: Welche Rolle in diesem etwas unübersichtlichen Spiel spielt der berühmte Doyen des Dokumentarfilms Leslie Breitbart, dem die alten Ideale mittlerweile etwas am Arsch vorbei zu gehen scheinen? Oder täuscht das? Charles Grodin, der Breitbart spielt, ist Jahrgang 1935. Vielleicht hilft das weiter.

Hier gibt es eine weitere Kritik zu 'Gefühlt Mitte Zwanzig'.

Benotung des Films :

Ulrich Kriest
Gefühlt Mitte Zwanzig
(While We're Young)
USA 2014 - 97 min.
Regie: Noah Baumbach - Drehbuch: Noah Baumbach - Produktion: Noah Baumbach, Eli Bush, Scott Rudin, Lila Yacoub - Bildgestaltung: Sam Levy - Montage: Jennifer Lame - Musik: James Murphy - Verleih: Universum / SquareOne - FSK: ohne Altersbeschränkung - Besetzung: Naomi Watts, Amanda Seyfried, Ben Stiller, Adam Driver, Maria Dizzia, Dree Hemingway, Charles Grodin, Brady Corbet, Adam Horovitz, Greta Lee, Adam Senn, James Saito, Jessica Treubig, Ryan Serhant, Chloe Elaine Scharf
Kinostart (D): 30.07.2015

DVD-Starttermin (D): 04.12.2015

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1791682/