Der junge Karl Marx

(FR, DE, BE 2016; Regie: Raoul Peck)

Marx mag´s brav (und ist doch Projektprankster)

Am Ende steht ein Schwarzweiß-Archivbild, dem abrupt Bob Dylans ‚Like a Rolling Stone‘ folgt. Will diese Filmbiografie etwa Hommage sein an ‚I’m Not There‘, Todd Haynes‘ Dylan-Geschichtsvexierfilm, der vor zehn Jahren ähnlich pointiert endete? Bevor am Ende von ‚Der junge Karl Marx‘ der Stein los- und ein Historyclip von ’68 über Finanzkrise bis Occupy und Podemos abrollt, schreiben der lockige Titelstar und Friedrich Engels in aufgewühlten Nachtstunden ihren Superhit, das Kommunistische Manifest mit dem Gespenst, das in Europa umgeht. Gilt also ‚I’m Not There‘? Geht es da um Anrufung zeitferner Geister in heutigen Zeiten verschärfter Ausbeutung und Herrschaft, in denen Marx wie selten zuvor vermisst und in Bildungsmilieus eh gerade wieder hip wird? Kommt das deutsch-französische Biopic also gerade zurecht?

Es kommt tatsächlich irgendwie zurecht – damit nämlich, Marx und Engels Pop-Appeal und Rebel-Chic aufzuprägen: Zwischen Schach und Schnaps, Streit und Schrift, Landesverweis und Fabrikantenvaterzoff, Volksrede und Sternstunde (Weltveränderungs-Feuerbach-Thesen-Einfall nach Sauf- und Kotz-Exzess) entspinnt sich ein stationenläufiges Buddymovie: zwei freche Freigeister in einer engen Welt. Sie werden (Gegenwartsbezug!) zu Prankstern im Medienstartup-Projektarbeitsstress stilisiert, sprich: Eine Geschichte linker Kämpfe wird hier in liberalem Ton erzählt. Könnte schlimmer sein (siehe die RAF-Filme der Nullerjahre).

Der haitianische Regisseur und Polit-Aktivist Raoul Peck, versiert in dekolonialen Historienfilmen (‚Lumumba‘, I Am Not Your Negro‚), inszeniert das sauber. Auch die beiden Ehefrauen bekommen Dialog; das ist noch nicht als feministisch zu qualifizieren (eher höflich). Go, Karli: August Diehl – vor zehn Jahren in ‚Die Fälscher‘ als Kommunist, in Wer wenn nicht wir‚ 2011 studentisch links und nächstes Jahr für Terrence Malick als austrokatholischer Nazikriegsdienstverweigerer Jägerstätter im Einsatz – spielt die Titelfigur gehetzt, Olivier Gourmet den Proudhon ruhig; Bakunin tritt auf, auch Courbet und andere Promis. Die Ausstattung ist normal. Zum Auftakt gibt’s Action mit berittener Polizei gegen Holz sammelnde Arme; die Säbelaction reicht für einen späteren Alptraum-Flash, der Marx aus dem Schlaf schreckt. Die lange Londoner Debattenszene, bei der aus dem Bund der Gerechten jener der Kommunisten wird, hat Charme und etwas von Ken Loach.

Das ergibt in Summe ein Gegenteil von ‚I´m Not There‘-Gespensterpolitik: Hier ist alles da, mit Titeln beschriftet, im Dialog Wikipedia-Vorspanns-haft vermittelt, angetreten zur Erbauung und Didaktik. Mit Marxens Achtzehntem Brumaire gesagt: Die Versammlung, die dieser Film leistet, erfolgt nicht mit Klasse, sondern unkomplex, nicht als Klasse, sondern ohne Kampfgeist, durch bloße Addition (von Namen, Orten, allerlei Wissenswertem), ‚wie etwa ein Sack von Kartoffeln einen Kartoffelsack bildet‘. (Östliche Ösis nennen so etwas mit einem Fachausdruck ‚einen Batzen Karl‘.)


Hier und hier finden sich weitere Kritiken zu ‚Der junge Karl Marx‘.

Der junge Karl Marx
Frankreich, Deutschland, Belgien 2016 - 118 min.
Regie: Raoul Peck - Drehbuch: Pascal Bonitzer, Raoul Peck - Produktion: Nicolas Blanc, Rémi Grellety, Robert Guédiguian, Benny Drechsel - Bildgestaltung: Kolja Brandt - Montage: Frédérique Broos - Musik: Alexei Aigui - Verleih: Neue Visionen Filmverleih - FSK: ab 6 Jahren - Besetzung: August Diehl, Stefan Konarske, Vicky Krieps, Alexander Scheer, Olivier Gourmet, Michael Brandner, Hannah Steele, Marie Meinzenbach
Kinostart (D): 02.03.2017

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1699518/
Link zum Verleih: http://www.der-junge-karl-marx.de/
Foto: © Neue Visionen Filmverleih