Das Schmuckstück

(F 2010; Regie: François Ozon)

Wenn sich der Nippes wehrt und aufbegehrt ...

Ein Vögelchen zwitschert, ein Reh huscht durch den Wald, ein Eichhörnchen putzt sich das Schnäuzelchen. Fabrikantengattin Suzanne Pujol, für kurze Momente der provinzstädtischen Haute-Volée entkommen, befindet sich auf dem idyllischen Trimm-Dich-Pfad rund um das eigene Anwesen. Da setzt schnulzige Musik ein, Weichzeichner umflort die Konturen, die Credits springen im allerschönstem Siebziger-Jahre-Font von Bild zu Bild im segmentierten Split-Screen-Arrangement. Wo wir sind, das sind die Siebziger – und deren Probleme.

Der patriarchalische Gatte Robert regiert mit eiserner Hand seit Jahren schon die Regenschirmmanufaktur. Auch zu Hause ist er ein Despot, der die Gattin zum Schmuckstück degradiert, zur Porzellanvase auf dem Beistelltisch – zu einer „Potiche“ (so der französische Originaltitel). Doch plötzlich streiken die Arbeiter in der Fabrik: die Revolte ist da. Robert hat es übertrieben, die Geduld der Arbeiter überreizt. So kommt der Herzinfarkt zum Choleriker, der ihn für kurze Zeit zum Pflegefall macht. Robert hat freilich immer noch genug Energie zum Granteln. Nun muss, schon um Frieden zwischen den Parteien zu stiften, die Gattin ran. Und die, zwar unsicher zunächst, doch ausreichend frustriert von ihrem sinnentleerten Tagesablauf auf dem Abstellgleis, begehrt nun ebenso auf gegen die strikten Reglements ihrer Ehe – und nimmt den Posten der Direktorin an. Wie sich zeigt, gewinnt sie die Herzen der Angestellten mit Sympathie und Diplomatie im Handumdrehen. Es gelingt Suzanne sogar, den unwilligen Sohn und die verwöhnte Tochter in die Betriebsführung mit einzubinden. Das Geschäft also floriert, man macht Gewinn. So beginnt die Geschichte der Emanzipation der Suzanne Pujol und ihres Erfolgs.

Boulevardkomödie, Familiendrama und Emanzipationsburleske: François Ozon gelingt es souverän ein Potpourri der Genres in Szene zu setzen, die dank ihrer überzeugenden Hauptdarsteller (Catherine Deneuve als Suzanne Pujol, Gérard Depardieu als sozialistischer Bürgermeister Babin, Fabrice Luchini als Robert Pujol) enorm zu unterhalten weiß. Hier jagt ein Plotpoint den nächsten, ein Lacher, durchaus auch subtil gesetzt, den voran gegangenen. Dass die Figuren, ganz wie es sich für eine klassische Komödie gehört, keine Individuen („Hamlet“) sondern Typen („Der Menschenfeind“) sind, die eine Rolle ausfüllen, nimmt ihnen kaum etwas von ihrem Charme.

Jedoch, die Beschränkung der eindimensionalen Figuren macht aus Sohn und Tochter Pujol bemitleidenswerte Karikaturen, die ganz in ihren beengten Charaktereigenschaften gefangen sind. Und wenn sich dann doch ein Umschwung im Charakterhaushalt andeutet, dann ist er nur einen Tanzschritt weit entfernt: so ist es kein Wunder, dass der hübsche Sohn ein begnadeter Designer ist und nur noch seine Homosexualität zu entdecken hat. Die Tragödie, die sich etwa in der grausamen Hierarchie der Ehe der Tochter manifestiert, scheint nur in kurzen Momenten durch. Die Trauer über das familiäre Schicksal gleicht einem Tränchen, das mit einem exklusiven Taschentüchlein weggewischt werden kann. Die Akzeptanz der zugewiesenen familiären Rolle verspricht der Tochter eben auch eine Sicherheit, die selbst im Unglück noch verführerisch lockt, da sie Ordnung und Stabilität verspricht.

Es ist nicht wirklich einsichtig, weshalb Ozon dieses wunderbare Stück in den 70ern verortet hat und es nicht auf heutige Verhältnisse hin aktualisiert. Die Konflikte, nun, die könnten mit etwas Gesellschaftspessimismus ohne weiteres auch auf zeitgenössische Zustände hin adaptiert werden. Aber so ist der Lacher eine sichere Sache: die Diskrepanzen zwischen den Geschlechtern erscheinen im Rückblick gravierend. Über die Rückdatierung des Filmes in historische Ferne, die ja nichts anderes als eine Distanzierung auch von den thematisierten Problemen bedeutet, macht sich Ozon unangreifbar und flirtet zudem mit dem Zuschauer, der gewillt ist, mit (alters-)mildem Blick und aus seiner heutigen, abgesicherten Position heraus in die Vergangenheit zurück zu schauen und schmunzelnd über diese Zustände den Kopf zu schütteln.

Im performativen Finale, in dem sich die Verbindlichkeiten schließlich vollends auflösen, steigert sich der Film in die Groteske, die in der Ansprache der Protagonistin auf dem Podium ihren Höhepunkt findet. Suzanne regrediert zu einer skandalös konservativen Mutterphantasie, dass einem angst und bange werden kann. Sie breitet die Arme aus und beginnt gestisch ihre „Kinder“, also die Anwesenden, zu umarmen und, wie sie sagt, zu „beschützen“. Suzanne, das Muttertier. Wie der cholerische Robert mit seinem patriarchalen Führungsstil die Grenzen verletzte, so übertritt nun auch Suzanne mit ihrer Mutterliebe die Schwelle des Erträglichen. Der Chanson „Das Leben ist schön!“ wird anschließend von ihr mit einer solch strahlenden Euphorie vorgetragen, dass nirgends auch nur ein Hauch von Zynismus zu erkennen wäre. So ist es François Ozon tatsächlich gelungen, seinen harmlosen Charmeur von Unterhaltungsfilm in den allerletzten Minuten nicht gerade „Unter den Sand“, aber doch in denselben zu setzen.

Benotung des Films :

Michael Schleeh
Das Schmuckstück
(Potiche)
Frankreich 2010 - 103 min.
Regie: François Ozon - Drehbuch: François Ozon - Produktion: Eric Altmeyer, Nicolas Altmeyer - Bildgestaltung: Yorick Le Saux - Montage: Laure Gardette - Musik: Philippe Rombi - Verleih: Concorde - FSK: ab 6 Jahre - Besetzung: Catherine Deneuve, Gérard Depardieu, Fabrice Luchini, Karin Viard, Jérémie Rénier, Sergi Lopez
Kinostart (D): 24.03.2011

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1521848/