Beautiful Thing – Die erste Liebe

(GB 1996; Regie: Hettie MacDonald)

Everything's pukka!

Voll schwul? Nein, Hettie MacDonalds Filmdebüt „Beautiful Thing“ gehört ganz den Schlampen, den slags und slappers und old bags. Das fängt mit der ersten Szene an, in der uns eigentlich der Protagonist und Außenseiter Jamie beim Sportunterricht vorgestellt werden soll. Was hängen bleibt, ist aber vor allem die herrlich taktlose Sportlehrerin, tatsächlich leider nur eine kleine Nebenrolle. Aber gut, es dauert nicht lange und wir treffen auf Leah, Jamies schwarze Nachbarin. Sie ist vulgär, kriegt ihr Leben selbstbewusst nicht auf die Reihe und hört 'The Mamas and the Papas', so dass es die ganze Nachbarschaft mitkriegt. Zur Nachbarschaft gehört natürlich auch Jamies resolute Mutter Sandra, Alleinerziehende und Kellnerin mit jüngerem Hippiefreund an der Backe. Die anderen Damen aus der Nachbarschaft scheinen auch nicht ohne zu sein, der Umgangston ist rau, aber nicht herzlos. Der filmische Mikrokosmos ist in der tristen Londoner Vorortsiedlung Thamesmead angesiedelt und sein Herz sind eindeutig Leah und Sandra, die immer wieder aneinander geraten – auch wegen 'The Mamas and the Papas', deren Lieder fast den gesamten Soundtrack ausmachen. Aber was ist eigentlich mit den beiden Schwulen, um deren wunderschöne Sache es hier doch wohl gehen sollte?

Jamie und Nachbarsjunge Ste entdecken gemeinsam ihre Homosexualität, hadern ein wenig mit ihrem Schicksal, nähern sich vorsichtig an und werden schließlich zum Paar. Hier schwächelt der Film, weil er nicht überzeugend vermitteln kann, was ein Coming-Out bedeutet. Das zaghafte Annähern in Jamies Bett ist niedlich anzuschauen, aber alles in allem zu zahm und unproblematisch in Szene gesetzt. Passenderweise verzichtet der ansonsten starke Soundtrack nun auf Mama Cass und widmet den beiden Jungs ein etwas beliebiges und leicht kitschiges Thema von Komponist John Altman.

In einer Szene stellt Sandra ihren Sohn zur Rede, weil sie mitbekommen hat, dass er in einem schwulen Pub war. Er versucht, sich herauszureden, und fragt, wie sie überhaupt darauf komme, dass es ein Ort für Schwule sei. Sandra entgegnet ihm trocken: „Because it’s got a bloody great pink neon arse outside of it.” Und genau dieser leuchtende Neon-Hintern fehlt dem Film bezüglich der Inszenierung der Homosexualität. Klar, da leuchtet zu Beginn des Films ein Regenbogen über dem grauen Thamesmead, Jamie trägt ein T-Shirt mit Keith Harings Hunden, sogar eine Drag Queen hat einen kurzen Auftritt. Und dennoch bleibt das alles viel zu vage und austauschbar. Wo die anderen Charaktere sich mit Lust beschimpfen und aneinander reiben, bleiben Ste und Jamie immer eine Spur zu nett und naiv für zwei Teenager, frot kennen sie nicht einmal vom Hörensagen. Die Schwulen sind Jungs von nebenan, zufällig gay und größtenteils happy. Natürlich ist es löblich, die homosexuelle Liebe auf humorvolle Weise als beautiful thing darzustellen und nicht noch einen weiteren Problemfilm inklusive Suizidversuch zu machen. Doch wirkt das alles eindimensional und kraftlos im direkten Vergleich zu den komplexen Charakteren Sandra und Leah und ihrer Beziehung zueinander. Ihre Auseinandersetzungen bedeuten immer auch, sich mit der anderen auseinanderzusetzen, hinter den Kraftausdrücken verbirgt sich immer auch Zuneigung, die um die Uneigentlichkeiten der Sprache weiß. Der Reiz dieser Vieldeutigkeiten bleibt den schwulen Protagonisten verwehrt, Jamie versucht einmal verzweifelt teilzuhaben und beschimpft sich: „Coz I’m a queer! A bender! A poufter! A nobshiner! Brown hatter! Shirtflaplifter!“ So richtig hören will das aber niemand und es bleibt auch bloße Behauptung. Die nötige Portion Queerness, die der Film zu bieten hat, verdankt er Leah und ihrem Spiel mit Identitäten zwischen Mama Cass, Whiteface und vermeintlicher Lesbe. Jamie hingegen ist ein langweiliger Rücken-mit-Fußlotion-Einreiber, sein Charakter weitgehend uninteressant und nicht immer glaubwürdig. Der Film ist zu verständnisvoll und unterschlägt dabei die Problematik des Schwulseins, wo er es doch sonst immer wieder schafft, Abgründe wie Teenagerschwangerschaft, Drogenprobleme und Gewalt anzusprechen.

Vor diesem Hintergrund wirkt das umstrittene Finale auch ein wenig unmotiviert. Einige Kritiker bemängelten, dass der abschließende Tanz von Jamie und Ste auf einem Platz inmitten der Sozialbauten und vor gaffendem Publikum zu dick aufgetragen sei. In der Tat fürchtet man fast schon, es folgt ein gay pride samt Sponsorenbannern und – Gott bewahre! – anschließender Eheschließung. Man kann es diesen Kritikern nicht verübeln, dass sie die Szene nicht als Utopie erkannt haben. Wozu bedarf es noch eines Zukunftstraums, wenn doch eigentlich alles in Ordnung ist, immerhin gibt es im Kiosk sogar die Gay Times. Everything’s pukka!

Erkennt man die Utopie, wirkt die Szene eher einfach. Ein simples Tänzchen in der Öffentlichkeit kann so viel Subversion enthalten, wenn man weiß, wie schwer es ist, als Schwuler in der Öffentlichkeit auch nur Händchen zu halten und Pöbeleien ausgesetzt zu sein. Richtig ergreifend wird die Szene aber erst, als Sandra und Leah einsteigen und anfangen zu tanzen. „Dream A Little Dream Of Me“ von 'The Mamas and the Papas' verrät es schon, das ist ihre Szene und ihnen gehören auch die letzten Dialogzeilen, ein letzter liebevoller Schlagabtausch. Ohne die Schlampen wäre es halt langweilig.

Benotung des Films :

Carsten Moll
Beautiful Thing - Die erste Liebe
(Beautiful Thing)
Großbritannien 1996 - 90 min.
Regie: Hettie MacDonald - Drehbuch: Jonathan Harvey - Produktion: Tony Garnett - Bildgestaltung: Chris Seager - Montage: Don Fairservice - Musik: John Altman - Verleih: Salzgeber - Besetzung: Meera Syal, Linda Henry, Martin Walsh, Glen Berry, Scott Neal, Steven M. Martin, Andrew Fraser, Tameka Empson, Ben Daniels, John Savage, Julie Smith, Jeillo Edwards
Kinostart (D): 30.11.-0001

DVD-Starttermin (D): 29.03.2011

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0115640/
Link zum Verleih: http://gayclassics.tv/index.php?aktion=artikel&id=405