Ein Film als ethnographische Reise: In ihrem Dokumentarfilm portraitiert Eva Wolf vier AustauschschülerInnen, die zwölf Monate bei Gastfamilien in Deutschland verbringen. Was sie zunächst eint, sind die teilweise verheerenden Sprachbarrieren, welche auch zuvörderst dafür verantwortlich sind, die sich schnell abzeichnenden Konflikte und Missverständnisse als Ausdruck kultureller Differenzen zu deuten. Als vorher nicht abzusehender dramaturgischer Kniff tritt später hinzu, dass alle Vier ihre Gastfamilien wechseln werden, die einen mehr, die anderen weniger freiwillig.
Die individuellen Charaktere sind schnell skizziert: Kwasi kommt aus einer Millionenstadt Ghanas und landet im 2000-Seelen-Kaff Rastenberg in Thüringen. Schon aus überbordender Langeweile scheint es ihm ein geheimes Vergnügen zu bereiten, das strenge Regelwerk des neunköpfigen, streng gläubigen Familienkreises konfrontativ auf Flexibilität zu prüfen. Constanza aus Chile trifft es noch ärger: In ihrer Familie eines 200-Einwohner-Dorfes in Sachsen-Anhalt spricht niemand Englisch und Constanzas Vorstellung vom geselligen familiären Zusammenleben weicht schnell einem tristen Alltag, der von PC und TV diktiert wird. Bei Eduardo aus Venezuela hingegen hält sich die Enttäuschung in Grenzen: Schüchtern und recht phlegmatisch gewöhnt er sich schnell ans Hamburger Stadtleben, verbleibt im kleinen Kreis weiterer Austauschschüler, nutzt den neuen Wohnraum als Rebellionsakt gegen seinen konservativen Vater und lässt sich die Haare wachsen – zum Leidwesen seiner sicher grünsympathisierenden Gastfamilie. Dort liest man den Spiegel, grinst stets aufgeschlossen, erwartet hohe Integrationsmotivationen und hält große Stücke auf Literatur. Eduardos Lustlosigkeit, seine Zeit mit der Lektüre eines deutschsprachigen Buches zu verbringen, gleicht da schon einem doppelten Affront. Die Amerikanerin Nairika zu guter Letzt verschlägt es nach Berlin Neukölln zu einer alleinerziehenden, in ihrem Alltagsverhalten dezent pathologisch anmutenden Mutter, die sich mit den Abnabelungsprozessen ihres 18jährigen Sohnes gut stellt. Auch hier wird die mangelnde Geselligkeit später zu Problemen führen.
Genau besehen portraitiert Wolf die vier ProtagonistInnen eher beiläufig. Der Film setzt an mit ihrer Ankunft in Deutschland und arrangiert sie eher als roten Faden, der durch die familiären Lebenswelten geleitet. Wenigen Interviewsequenzen stehen Bilder einer teilnehmenden Beobachtung gegenüber. Wolf tritt nicht als Akteurin, sondern höchstens als Fragestellende hinter der Kamera auf. Im Zentrum steht deutlich die Konfrontation mit dem Fremden, die die innere Dynamik der Mikroeinheit Familie auf den Prüfstand stellt. Selten jedenfalls sieht man in einem Film so viel hektisches Gesichtsgefummel und Kommunikationen, in denen sich die Gesprächspartner nicht in die Augen schauen. Um besagte Dynamiken scheint es jedenfalls tendenziell schlecht bestellt. Da werden starre Regeln aufgestellt, die gelten, „weil es eben so ist“, Brotscheiben sollten nicht zu dick vom Laib abgeschnitten werden oder zur situationsgebundenen Sprachbarriere gesellt sich direkt die habitualisierte Ratlosigkeit wie bei Constanza, die frustriert beobachtet – einer der tragikomischen Höhepunkte und ein wirklich glänzender Glücksfall einer Szene zudem -, wie sich der kollektive Stoizismus im Familienleben kultiviert: Wenn der Vater den Computerspiel zockenden Sohn zu Tisch bittet, sich schweigend gemächlich zum PC-Tisch bewegt, dem Sohn das Spielpad abnimmt und sodann selber weiterspielt, während die junge Tochter am Wohnzimmertisch zum Handheld greift, dann hätte kein Interview dieses Sinnbild kommunikativen Leerlaufs besser einfangen können.
So entspinnt sich im weiteren Verlauf ein Panorama lebensweltlicher Gemeinschaften. Ein Bruch zeichnet sich stets an jenen Stellen ab, wo sich die unterschiedlichen Vorstellungen von Familie entfernen und sich anhand der frustrierenden Erlebnisse aller vier AustauschschülerInnen zeigt, wie unverrückbar diese Modelle auf Neues reagieren. Es ist schon ein recht trister, wenn auch vergnüglicher Blick in bundesrepublikanische Realitäten, dessen Verlauf zumindest noch eine beruhigende Wendung findet: In Gestalt der getauschten Gastfamilien wartet tatsächlich auf alle Vier noch ein happy end. Woher sollten sie auch wissen, dass bereits 12 Monate Deutschland zu viel sein können, um die Bestrafung als Erfahrung schönzureden?