Rechte Körper in Bewegung

Warum der deutsche Film für rechte Gewalt kaum adäquate Bilder findet
von Ulrich Kriest

Kurz vor Weihnachten 2011 schickte die ARD ihren beim Publikum unbeliebtesten „Tatort“-Ermittler auf den „Weg ins Paradies“. Der durchaus spannende Film begann mit einem Selbstmord-Anschlag in Marokko und kulminierte in einem buchstäblich in letzter Sekunde abgewendeten Terroranschlag in Hamburg. Als Undercover-Agent infiltrierte der Ermittler Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) eine islamistische Terrorzelle, die ausgerechnet von einem deutschen Konvertiten namens Christian Marschall (Ken Dukem) geleitet wird. Ausführlich zeigt der Film, wie sich der mit einer falschen Identität ausgestattete Ermittler und der Konvertit belauern, wie sich die Terrorzelle gegen die Gefahr einer Infiltration abschottet. Es geht darum, möglichst kein potentielles Ziel für die Ermittlungsbehörden abzugeben, im Alltag konsequent klandestin zu agieren. Am Schluss kann der Terroranschlag auch deshalb verhindert werden, weil auch der vorgebliche Verbindungsmann zu Al Quaida seinerseits ein Agent des syrischen Geheimdienstes ist. Double Penetration: bei aller Qualität als ungewöhnlicher „Tatort“ ist „Der Weg ins Paradies“ auch ein feucht-fiktionaler Traum von der letztlich erfolgreichen Arbeit der Geheimdienste. Allerdings: der Film zeigte auch die fast zum Topos des Fernsehkrimis gewordene Rivalität zwischen den ermittelnden Behörden, das Kompetenzgerangel und das herrschende Misstrauen untereinander, das für aktive V-Leute lebensgefährlich werden kann.

Ein paar Wochen zuvor wurde die Republik von der Existenz einer anderen Terrorzelle erschüttert: die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennende Gruppe soll zwischen 2000 und 2007 zehn Morde, zahlreiche Banküberfälle und einige Bomben- und Brandanschläge verübt haben. Besonders prekär ist in diesem Zusammenhang die Rolle, die der Thüringer Verfassungsschutz und konkurrierende Polizeibehörden bei der Überwachung und/oder Verfolgung der terroristischen Vereinigung gespielt haben.

Wenn jetzt das Spielfilmdebüt „Kriegerin“ von David Wnendt in den Kinos anläuft, könnte es als der Film zur „Zwickauer Zelle“ wahrgenommen werden. Schließlich ist spätestens jetzt die Emanzipation der Frauen als Akteure innerhalb der rechten Szene virulent geworden. Leider ist „Kriegerin“ kein gelungener Film, aber immerhin auf interessante, weil aussagekräftige Weise, gescheitert.

„Kriegerin“ blickt in die ostdeutsche Provinz, auf eine jugendliche Clique von aggressiven Rechtsradikalen. Im Mittelpunkt steht die junge 20jährige Marisa (Alina Levshin), die scheinbar über ein geschlossen rechtes Weltbild verfügt. Man sieht sie mit ihrer Clique durch einen Nahverkehrszug ziehend, beinahe wahllos Reisende traktieren. Später wird Marisa mit ihrem Auto zwei junge Asylbewerber von der Straße drängen, weil diese sich gegen Provokationen der Clique gewehrt haben. Marisa bekommt Gewissensbisse, freundet sich mit dem Jüngeren der Asylbewerber (Sayed Ahmed Wasil Mrowat) an und sucht nach Möglichkeiten, sich von der rechten Szene zu distanzieren.

So weit, so trivial. Erweitert wird diese Geschichte einer Absetzung nun durch die Geschichte einer Inklusion: die 15jährige Svenja (Jella Haase) hat Probleme mit ihren Eltern; sie schlittert hinein in die rechte Szene. Beide Biografien kreuzen sich – und das ist natürlich schon das Resultat einer pädagogisierenden Dramaturgie. Im Presseheft zum Film schreibt der Filmemacher Wnendt: „Der Film gibt keine abschließenden, einfachen Antworten. Er beleuchtet aber die für den Rechtsextremismus ursächlichen Faktoren und macht klar, dass es nicht um ein Jugendphänomen geht, sondern dass rechte Tendenzen ein Problem sind, das weit in alle Gesellschafts- und Altersschichten vorgedrungen ist.“

Nun ja, angesichts der Aktivitäten der Zwickauer Zelle darf man solche Aussagen wohl als Understatement werten. Wnendt hat nach eigenen Angaben viel Zeit auf Recherchen in der rechten Szene verwandt. Die Ergebnisse dieser Recherchen sind direkt in seinen Film geflossen: wir werden Zeugen von extremer Gewaltbereitschaft, sehen toll gestylte rechte Körper in Bewegung und erfreuen uns allerlei sprechender Tattoos wie „88“ oder „14 Words“. Die Figuren, die wir sehen, sind zornig, weil sie konkret erleben müssen, wie wenige Perspektiven es in ihrem Leben gibt. Die Eltern sind schwach oder auch überstreng, vielleicht, weil sie sich ohnmächtig in ihr Schicksal ergeben haben. Im Falle Marisas kommt ihr Großvater ins Spiel, der sie zur „Kriegerin“ gemacht hat. Man könnte jetzt nachrechnen, ob dieses eigenwillige Generationenmodell vom Alt-Nazis zur Neo-Nazi-Enkelin trägt, aber das ist nicht der Punkt: jede Szene in „Kriegerin“ geht mit ihrer Authentizität hausieren. Wenn Neonazis sich in Gruppen treffen, dann singen sie Nazi-Lieder und gucken Nazi-Propaganda-Filme wie „Der ewige Jude“ – und fahren anschließend im BMW bewaffnet durch die Gegend, um Ausländer zu klatschen.

Irgendwann wird ein junger Neo-Nazi sagen, er wolle jetzt Taten statt Worte sehen und sich eine Waffe beschaffen. Und wenn Marisa ihren Freund Sandro abweist, wird er sagen: „Warum erwiderst du meine Liebe nicht? Fotze!“ Unfreiwillig zeigt sich an dieser Stelle, dass die Darstellung rechter Gewalttäter in der deutschen Pop-Kultur stets unter dem Gebot potentieller Lächerlichkeit steht. Wie sangen einst Die Ärzte? „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe / Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit / Du hast nie gelernt dich zu artizikulieren / Und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit.“

Dass die rechte Szene als eine Art Ersatzfamilie attraktiv ist, davon erzählte bereits der Film „Die Erben“, den Walter Bannert 1982 drehte. Dieser Film war eine Art filmischer Reflex auf den Anschlag auf das Münchener Oktoberfest 1980 und spürte nach, was Jugendliche in Wehrsportgruppen treibt. Auch hier gibt es bereits alte Wochenschaubilder zu sehen und sentimentale Erinnerungen alter Kameraden zu hören. Zum Skandal wurde „Die Erben“ allerdings durch ein paar Szenen, in denen etwas zu frei mit der Darstellung jugendlicher Sexualität umgegangen wurde.

Interessanterweise hat sich die deutsche Öffentlichkeit selten ein Bild der rechten Szene zu machen versucht. Meist blieb es beim Topos des dumpf-alkoholisierten Skinhead mit Springerstiefel, Bomberjacke und Baseball-Schläger. Erst nach 1989/90 und als Reaktion auf die Zunahme rechter Gewalt in der ehemaligen DDR wurde das Thema wieder interessant für deutsche Filmemacher. Dokumentaristen wie Thomas Heise („Stau – Jetzt geht´s los“, 1992; „Neustadt Stau – Der Stand der Dinge“, 1999/2000) oder Andreas Voigt („Glaube Liebe Hoffnung“, 1994) recherchierten mit großer Geduld in der Szene und brachte Rechte unkommentiert vor die Kamera: als Entwurzelte, Frustrierte und Suchende. Als Winfried Bonengel schließlich 1993 mit „Beruf: Neonazi“ versuchte, die Selbstinszenierung Ewald Althans‘ als smartem Neonazi zu dokumentieren, hagelte es Kritik, dass der Filmemacher dem Neonazi naiv eine Plattform zur Selbstinszenierung verschafft habe. So genau wollte man es dann doch nicht wissen, was in den Köpfen der Täter vorgeht. Oder was sie denken, was wir darüber wissen sollten.

Anfang der 1990er Jahre widmeten sich ein paar Fernsehspiele wie „Die Bombe tickt“ (1993), „Hass im Kopf“ (1994) oder „Der Verräter“ (1995) mit ostentativ ausgestellten aufklärerischen Intentionen der Thematik, während Filme wie „Romper Stomper“ (1992) oder auch „American History X“ (1998) auch von der Faszination der Körperlichkeit von Skinheads, Hooligans und Neonazis zu erzählen wussten. Filme über rechte Gewalt haben häufig etwas Reißerisches, was gerade unter dem Deckmantel von Authentizität in die Filme gerät. Gerade, weil man den Akteuren bestreitet, intellektuell satisfaktionsfähige politische Vorstellungen und Konzepte zu entwickeln oder zu hegen, setzt man auf „Action“ und Adrenalin. Da kann man mit Handkamera und Montage ganz nah ran, allerdings immer mit der Gefahr, die Faszination, die von der Gewalt und den Körpern ausgeht, zu verdoppeln.

Wnendt hat, wie gesagt, für sein Spielfilmdebüt in der rechten Szene recherchiert, längst bevor der Name Beate Zschäpe kursierte. Doch zu welchem Behuf? Bedeutungsvoll raunend verkommen seine Beobachtungen zu Motivations-Signalen einer schlichten Problemfilm-Dramaturgie. Von der kriminellen Rationalität des Nationalsozialistischen Untergrunds sind diese wütenden Provinz-Skinheads meilenweit entfernt. Und die ganze Nazi-Ideologie, das macht Marisas Läuterung deutlich, ist hier immer noch so etwas wie ein grippaler Infekt. Man ist mal kurz befallen, macht Lärm und Ärger, aber dann ist es auch schon wieder vorbei damit. Politisch ernstnehmen, so die untergründige Botschaft des Films, braucht man das ganze nicht. So ähnlich mögen auch die mit der „Zwickauer Zelle“ befassten Behörden gedacht haben.

Dieser Text erschien zuerst in: Pony #70

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