Magische Momente 36

Taxi Driver
von Klaus Kreimeier

Klassik – diesen gediegenen, wenn auch etwas goldstaubübersprühten Begriff haben uns die Literatur- und Kunstwissenschaftler geschenkt. Geht es um Dichtung oder Malerei, stiftet er Ordnung: „Hochklassik“, „moderne Klassik“; in diesen Gefilden ist Orientierung möglich, man kennt sich aus. Wie viel schwerer macht es uns da die Kinematografie! Einerseits ist sie als Kulturgut im bildungsbeflissenen Bürgertum noch immer nicht ganz angekommen; sonst müssten wir nicht darum kämpfen, dass uns die Filme des letzten Jahrhunderts erhalten bleiben und nicht in den Archiven an chemischer Zersetzung zugrunde gehen. Andererseits hat die Filmindustrie den Klassik-Begriff hemmungslos usurpiert und ihren Marketing-Kampagnen einverleibt. In den USA verläuft die Karriere eines Films vom opening weekend über die ersten box office-Zahlen zum „Klassiker“ oft rasant. Als Cinéast fasst man das Hudelwort nur noch mit spitzen Fingern an, sucht nach Synonymen; und schreibt am Ende, mit Bauchgrimmen und doch aus voller Überzeugung: „Taxi Driver“ von Martin Scorsese (USA 1976) ist ein Klassiker unserer Filmgeschichte. Und ein Juwel dazu. Punkt.

Wie kommt das? Nach vier Jahrzehnten hat der Film die Patina einer romantischen Ballade angesetzt, die uns, hochmoralisch, die alte Geschichte vom Kampf des Individuums gegen die Gesellschaft erzählt. Vom einsamen Wolf, der durch die Nächte der verruchten Großstadt streift und Körper und Seele gegen das Böse stählt: gegen Kriminalität und Sittenlosigkeit, gegen „die Nutten, den Dreck, die Straße“. Ein raues Märchen, das den Taxifahrer Travis (Robert De Niro) beinahe zum Mordanschlag auf einen Präsidentschaftskandidaten treibt, ihn als Amokläufer im Bordell ein schauriges Gemetzel veranstalten lässt und am Ende zum Helden nobilitiert. Zu einem Ritter sonder Furcht und Tadel, der eine zarte Kindfrau (Jodie Foster) dem Sumpf der Bronx und den Klauen ihres Zuhälters entreißt. Die alten Geschichten, die alten (Kino-)Mythen sind da, doch Scorsese zerlegt sie, geht nicht ihren Klischees in die Falle. Er ertränkt alle Romantik, alles Märchenhafte in Blut und kruder Gewalt, und er macht seinen Helden zur komischen Nummer, wenn er zeigt, wie Travis vor dem Spiegel mit nacktem Oberkörper, Lederholster und vier großkalibrigen Schießeisen seine Selbstoptimierung zur bewaffneten Ordnungsmacht betreibt.

Und dann ist da ein Dialog, der könnte von Beckett sein. Nach einer harten Taxifahrernacht spricht Travis seinen Kollegen Wizard (Peter Boyle) an. Auf der Straße das normale Chaos, keifende Prostituierte und miese Typen. „Du kennst dich doch aus“, sagt Travis, „es ist nur, ich habe…“ – „Hängst ein bisschen durch?“, fragt Wizard. „So was kann jedem passieren“. Aber Travis hat’s ziemlich erwischt: Er würde gern was Vernünftiges tun. Prüfender Blick des andern. „Kein Taxifahren?“; „Nein, es ist… ich weiß nicht. Ich würde gern…“ Jetzt gucken sich beide fragend an. Wizard sagt: „Ich sehe das so: Ein Mann nimmt einen Job an, der Job wird Teil seines Lebens. Du bist, was du tust.“ Travis druckst herum, schweigt. „Du kriegst einen Job, und dann wirst du wie der Job. Dem einen geht’s dreckig, dem anderen gut. Wichtig ist, dass man lebt. Beschissen werden wir so oder so.“ Travis grinst und findet, das sei das Dämlichste, was er je gehört habe. „Ich bin nicht Bertrand Russell“, sagt Wizard. „Ich weiß immer noch nicht, was du willst.“; „Das weiß ich selber nicht.“; „Schalt mal ab und mach Pause“, sagt Wizard. „Ich weiß Bescheid. Das wird schon.“ Er geht zu seinem Wagen, steigt ein, fährt los. Travis ragt verloren in den dunklen Morgen, ein einsamer Sinnsucher, ratlos ins Dasein geworfen, um ihn flackern die Lichtgewitter der Stadt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin

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Foto: © Sony Pictures