The Social Network

(USA 2010; Regie: David Fincher)

Citizen Nerd

David Fincher ist erwachsen geworden. Bislang war der Filmemacher, der in den 1980er Jahren bezeichnenderweise als Videoclipregisseur und Trickfilmzeichner für Blockbuster wie „Rückkehr der Jedi-Ritter“ und „Die unendliche Geschichte“ angefangen hatte, vornehmlich als höchst begabter Ästhet aufgefallen; als jemand, der einen guten Effekt, sei es dramaturgischer oder visueller Art, so sehr zu schätzen wusste, dass seine Filme zwar äußerlich perfekt, doch inhaltlich mitunter etwas gehaltlos wirkten. „Seven“ (1995) und „Fight Club“ (1999), beide auf ihre Weise hervorragende Filme, ergingen sich in Schock- und Zerfallsbildern – wir erinnern uns: in dem einen Film regnet es 6/7 der Laufzeit, der andere ist vornehmlich in grün-gelben Verwesungsfarben gehalten und beginnt mit einer langen Kamerafahrt durch das Gehirn des Protagonisten, rasant an Neuronen und Synapsen entlang, bis die entfesselte Kamera aus einer Schweißpore herausschießt und wir mitten im Film angekommen sind (genauer: am Endpunkt der Handlung, von der aus der Film in Rückblenden erzählt wird). „The Game“ (1997) und „Panic Room“ (2002) waren Konzeptfilme, exzellent inszenierte Fingerübungen, die jeweils auf einer konsequent durchgespielten Idee basierten. Einige der technischen Kabinettstücke, die Fincher in diesen Filmen unterbrachte, etwa die Plansequenz in „Panic Room“, die eine ‚unmögliche’ Kamerafahrt durch den Henkel einer Kaffeekanne beinhaltete, sind auch heute noch eindrucksvolle set pieces. Und „The Curious Case of Benjamin Button“ (2008), der Film über ein als Greis geborenes Kind, das über den Lauf des Films in seinem sich stetig verjüngenden Körper zum alten Mann regrediert, war schließlich ein einziger Spezialeffekt, in dem Brad Pitt in der Titelrolle lediglich für ein paar Sequenzen ohne seinen digital nachbearbeiteten Körper zu sehen war. In dem Retro-Thriller „Zodiac“ (2007) standen dann erstmals die Figuren im Zentrum. Aber erst in „The Social Network“ verkneift sich der Regisseur all die technischen Sperenzchen, die seine bisherigen Filme auszeichneten, stellt sein virtuoses technisches Talent in den Hintergrund, ganz in den Dienst des Plots und der Figuren. Da wirkt es fast wie ein Hohn, dass der hier von Jesse Eisenberg verkörperte Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg ähnlich wie Charles Foster Kane in Orson Welles’ „Citizen Kane“ eine Art leeres Zentrum ist.

Eisenbergs Mark Zuckerberg ist ein Nerd; ein sozial inkompetenter, völlig egozentrierter Computerfreak, der ein massives Problem mit Frauen und Autoritäten hat. Ganz zu Beginn des Films macht seine Freundin Erica (Rooney Mara) mit dem schlaksigen Harvardstudenten Schluss, sie kann Eisenbergs Ignoranz nicht mehr ertragen. Und da Mark ein begnadeter Hacker ist, rächt er sich gleich an der ganzen weiblichen Studentenschaft und konstruiert eine Website, auf der er wild die aus dem Netz gestohlenen Bilder von Kommilitoninnen einstellt und sie von der Webgemeinde auf Attraktivität hin bewerten lässt. Während er dafür in Sekundenschnelle die Computernetze verschiedener Universitäten kapert, füttert er parallel sein Blog und unterhält sich mit seinen Mitbewohnern. Bald darauf hat das Wunderkind wegen des enormen Erfolgs seiner sexistischen Spaßguerillaaktion nicht nur Ärger mit der Universitätsverwaltung, sondern auch einen neuen Job: für zwei reiche Schnösel ein Online-Studentennetzwerk zu konstruieren. Daraus wird bald „The Facebook“, später einfach nur „Facebook“ getauft, und Zuckerberg zum heute jüngsten lebenden Milliardär (geschätztes Privatvermögen derzeit: 6,9 Mrd. US-Dollar).

Doch was diesen widersprüchlichen Charakter, den die US-Filmplakate mit dem illustren Dreiklang „Punk – Genius – Billionaire“ vorstellten, im Innersten antreibt, das bleibt offen. Dass er seine ersten Finanziers, die Winklevoss-Brüder (2 x Arnie Hammer), mit dem Facebook-Projekt über den Tisch zieht, um stellvertretend zwei privilegierte Oberschichtschnösel zu demütigen (wie deren Anwälte suggerieren), ist gewissermaßen die Klassenkampf-Lesart von Zuckerbergs Aufstieg. Vielleicht handelt er aber auch aus reiner Ignoranz, ist ganz das seiner Idee verfallene Genie, das seine Umwelt nicht mehr wahrnimmt, in Badeschlappen durch den Schnee stapft und im Wesentlichen von Pizza und Cola lebt und seine Studentenbude kaum mehr verlässt. Oder vielleicht ist er einfach nur geldgierig, erkennt das Potential der Idee, bootet schließlich sogar seinen besten Freund Eduardo Saverin (Andrew Garfield) aus, den er fallen lässt, um statt Millionen Milliarden zu verdienen. Oder aber das alles, die ganze Handlung des Films, ist Resultat einer Ersatzhandlung, mit der der junge Mann auf die Zurückweisung durch seine Freundin reagiert – die „Citizen Kane“-Variante, wenn man so will, mit Erica als Zuckerbergs Rosebud. Eine eindeutige Antwort bietet Fincher nicht. Letztlich bleibt es den Zuschauern überlassen, sich einen Reim auf die Motivation des Protagonisten zu machen. Nur sonderlich sympathisch ist er nicht. Schon über den Trailer hat Fincher einen Frauenchor legen lassen, der eine Version von Radioheads „Creep“ singt. Der echte Zuckerberg jedenfalls nahm Finchers Film sehr ernst und hat eine 100-Millionen-Spende für Bildungsinstitutionen angekündigt. Auch eine Möglichkeit, der negativen Publicity zu begegnen, die ihm „The Social Network“ verschafft hat, ähnlich wie „Citizen Kane“ 70 Jahre zuvor dem Pressezaren William Randolph Hearst.

Wie „Citizen Kane“, der verdeckt eine reale Biografie thematisierte und eine Ära mit ihren Umbrüchen in der Medienlandschaft porträtierte, changiert der in Rückblenden erzählte „The Social Network“ zwischen den Genres, mischt Courtroom-Drama und Biopic, bringt ein wenig Melo und Thriller ein, hat manchmal etwas von einer Teenagerkomödie, dann wieder von einer Gesellschaftsparabel. Obendrein ist er wie alle Fincherfilme bislang natürlich wunderschön fotografiert (Kamera: Jeff Cronenweth), eröffnet mit einer stilvollen Titelsequenz (mit Anklängen an diejenige aus „Panic Room“) und kommt in seinen gedämpften braun-orange Farbtönen so edel wie ein Tropenholztisch in einer mehrere hundert Jahre alten Universitätsbücherei daher. Der Schnitt ist meisterlich, die Filmmusik von Trent Reznor (Nine Inch Nails) und Atticus Ross gleichsam brillant. Kurz: technisch ist der Film ausgezeichnet, so gut wie nur wenige dieses Jahr. Aber diesmal drängt sich diese Brillanz nicht so sehr in den Vordergrund wie in den früheren Filmen Finchers, ein durchschnittlicher Kinogänger mag sie vielleicht einfach übersehen. Es ist ein wenig, also ob der Regisseur verstanden hat, dass er nicht mehr protzen muss, sich nicht mehr durch Kraftmeierei einen Ruf schaffen muss. Und das ist gut so: „The Social Network“ ist einer von Finchers besten Filmen geworden. Es ist allerdings fast ein wenig paradox, dass er dazu den Film mit seinem bislang unreifsten Protagonisten inszenieren musste.

Benotung des Films :

Harald Steinwender
The Social Network
(The Social Network)
USA 2010 - 121 min.
Regie: David Fincher - Drehbuch: Aaron Sorkin, nach einer Vorlage von Ben Mezrich (“The Accidental Billionaires”) - Produktion: Dana Brunetti, Ceán Chaffin, Michael De Luca, Scott Rudin, Aaron Sorkin (Executive Producer), Kevin Spacey (Executive Producer) - Bildgestaltung: Jeff Cronenweth - Montage: Kirk Baxter, Angus Wall - Musik: Trent Reznor, Atticus Ross - Verleih: Sony Pictures - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Jesse Eisenberg, Rooney Mara, Bryan Barter, Dustin Fitzsimons, Justin Timberlake, Armie Hammer, Joseph Mazzello, Patrick Mapel, Max Minghella, Andrew Garfield, Josh Pence u.a.
Kinostart (D): 07.10.2010

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1285016/
Foto: © Sony Pictures