Rammbock

(D / A 2010; Regie: Marvin Kren)

Krisen der Hauptstadt

Geistreich, ansehnlich, unheimlich oder gar subversiv sind deutsche Zombiefilme ganz sicher nicht. Das Zepter liegt in den Händen von Andreas Schnaas, Andreas Bethmann oder Olaf Ittenbach, die dem Exzess das Primat einräumen und mit fetischistischer Inbrunst völlig ideenbefreit den italienischen Vorbildern der 80er Jahre zu huldigen versuchen, Laienschauspieler und mit Edding auf Notizzetteln vermerkte Dramaturgiesimulationen, weil schließlich irgendwas zwischen den seriell montierten Splatterausbrüchen passieren muss, inklusive.

„Rammbock“ ist in diesem Umfeld wie auch im Lichte des deutschen Gegenwartskinos ein echtes Kuriosum. Gefördert mit 200 000 Euro der Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“ des ZDFs adaptieren Regisseur Marvin Kren und Drehbuchautor Benjamin Hessler ganz einfach die besten Ideen des zeitgenössischen Zombiefilms, versehen sie mit ein paar höchst effektiven Modifikationen, situieren das Ganze in einen Berliner Innenhof, und schon ist ein echtes Kleinod geboren.

Der etwas einfältige Michael (Michael Fuith) kommt aus Österreich nach Berlin, um seine Ex-Freundin Gabi (Anka Graczyk) zu besuchen. In ihrer Wohnung trifft er allerdings nicht sie, sondern zwei Handwerker, von denen ihn einer nach wenigen Sekunden aggressiv anfällt und zu beißen versucht. Zusammen mit dem 15jährigen Lehrling Harper (Theo Trebs) kann Michael den Rasenden überwältigen. Man verbarrikadiert sich in der Wohnung und verfolgt über die medialen Kanäle den Ausbruch des Infernos. Durch ein unbekanntes Virus werden Menschen zu tobenden Bestien. Die Krankheitsmerkmale werden jedoch erst durch einen erhöhten Adrenalinspiegel virulent. Die einzige Chance besteht für die Gebissenen also darin, während des weltweiten Zusammenbruchs der Ordnungen Ruhe zu bewahren.

Das ist nur eine der schwarzhumorigen Finten. „Rammbock“ wagt gar nicht erst den Versuch, dem momentan allgegenwärtigen Subgenre krampfhaft neue Elemente anzudichten, sondern setzt auf die Interpretation zeitgenössischer Genreproduktionen und verlässt sich ansonsten ganz und gar auf das bedrohliche Setting. Die Infizierten sind flink, die Links zur Außenwelt – Radio und Fernsehen – brechen peu à peu zusammen, das Verhältnis der eingesperrten Nachbarn, die durch die Fenster zum Innenhof kommunizieren müssen, oszilliert zwischen Solidarität und Pragmatismus, und irgendwann drängt die äußere Bedrohung zur Hetzjagd durch die Stockwerke. Der titelgebende Rammbock zerstört endgültig die getrennten Sphären der Besitzenden, nachdem Gabis Wohnung von Zombies überrannt wird. Michael und Harper fliehen durch die eingerissene Wand in die Nachbarswohnung und werden getrennt. Im letztlich doch noch gesicherten Innenhof finden sich die überlebenden Bewohner zusammen und schmieden vergeblich Ausbruchspläne.

Die in „28 Days Later“ etablierte neue Geschwindigkeit der Zombies, die klaustrophobische Situation der Eingeschlossenen, wie man sie bereits seit Romeros Initialklassiker „Night of the Living Dead“ und auch ganz ähnlich aus dem spanischen Film „[Rec]“ kennt, der Witz der begriffsstutzigen Michael-Figur, der dann und wann etwas an Aki Kaurismäki erinnert, aber nicht solch großen Raum wie in „Shaun of the Dead“ beansprucht und die intensive und glaubwürdige apokalyptische Stimmung des minimalistischen Settings machen aus diesem Zombieextrakt einen höchst ambitionierten Beitrag, an dessen Ende sogar, Pathos hin oder her, die versöhnliche Geste eines recht unorthodoxen Neuanfangs steht. Romero betrachtete bereits in „Day of the Dead“ die Zombiegestalt als identitätsfähiges Individuum; in der amerikanischen Comicbook-Serie „The Walking Dead“ wird immer wieder die Frage nach der Neuformierung von Gesellschaft verhandelt: Sind die Lebenden nicht bloß eine lächerliche, anachronistische Minderheit? In „Rammbock“ hält nun die Zuneigung unter den Zombiefizierten Einzug. Während Michael nach einem Biss allein, resigniert und angespannt mit Tabletten den Ausbruch der Krankheit verhindern will, erblickt er die nunmehr infizierte Gabi, lässt die Medikamente fallen, umarmt sie fest und lässt dem Adrenalinausstoß freien Lauf. Unbeholfen stolpern beide dem Abspann entgegen – ein kitschiges, ironisches, aber eben auch ziemlich schauriges Schlussbild, und Ambivalenz stand dem Genre schließlich schon immer ganz gut zu Gesicht.

Link zum Interview mit Regisseur Marvin Kren

Benotung des Films :

Sven Jachmann
Rammbock
(Rammbock)
Deutschland / Österreich 2010 - 63 min.
Regie: Marvin Kren - Drehbuch: Benjamin Hessler - Produktion: Melanie Berke, Sigrid Hoerner - Bildgestaltung: Moritz Schultheiß - Montage: Silke Olthoff - Musik: Marco Dreckkötter, Stefan Will - Verleih: Filmgalerie 451 - Besetzung: Michael Fuith, Theo Trebs, Anka Graczyk, Emily Cox, Andreas Schröders, Kathelijne Philips-Lebon, Steffen Münster, Andreas Schröders, Brigitte Kren
Kinostart (D): 09.09.2010

DVD-Starttermin (D): 03.12.2010

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1583356/
Link zum Verleih: http://www.filmgalerie451.de/film/rammbock/