Perrak

(BRD 1970; Regie: Alfred Vohrer)

Hamburg Violenta

Perrak. Derrick. Tappert. Zwei Namen wie ein Peitschenhieb, einer wie das Klappern des Kochtopfdeckels, wenn das Sauerkraut endlich heiß geworden ist. „Perrak“, so heißt sowohl ein Kommissar des Hamburger Sittendezernats – gespielt von Horst Tappert – als auch ein deutscher „Sittenreißer“, der 1970 unter der Regie Alfred Vohrers entstand. Und der Film, den der mit Edgar-Wallace-, Karl-May- und Simmel-Verfilmungen bekannt gewordene Regisseur da vorlegt, mutet inmitten der überwiegend betulichen deutschen Filmlandschaft jener Zeit an wie das Ergebnis einer heißen Liaison zwischen dem noch mit dem Mief der Fünfzigerjahre behafteten deutschen Lustspiel und dem klassenkämpferischen italienischen Polizeifilm jener Zeit.

Kommissar Perrak ermittelt im Mordfall an dem jungen Transvestiten Tony, der in einem Nachtclub als Striptease-Tänzer arbeitete. Offensichtlich erpresste er einen Geschäftsmann mithilfe kompromittierender Fotos aus dem Bordell von Emma Kastelbauer (Judy Winter) und musste dafür mit dem Leben bezahlen. Die Lösung des Falls wird dadurch verkompliziert, dass sich auch der Gangster Kaminski (Hubert Suschka) einmischt: Er hofft nämlich, ins Erpressungsgeschäft einsteigen zu können …

In der Rolle des Kriminaloberinspektors Derrick wurde Horst Tappert zum Inbegriff deutscher Krimiunterhaltung: Die Serie „Derrick“ wurde von 1974 bis 1998 produziert, in rund 100 Länder verkauft und gilt damit immer noch als erfolgreichste deutsche Serienproduktion aller Zeiten, aber eben auch als Beispiel für bundesdeutsche Bräsig- und Spießigkeit. Mit dem blechernen Bellen seiner Stimme, dem humorlosen altväterlich-autoritären Auftreten und dem bieder-verlässlichen Outfit aus beigem Trenchcoat, braunem Anzug und getönter Sonnenbrille verkörperte Derrick einen Kriminalbeamten, dem der Sexappeal und Humor, mit dem seine Kollegen aus Übersee ihren Dienst verrichteten, vollkommen abging, der dafür aber eine unangenehme moralische Überlegenheit in die Waagschale warf. Der Hamburger Kommissar Perrak hat zwar einen ähnlich knallenden Namen wie sein Münchener Kollege, unterscheidet sich aber dennoch erheblich von diesem: Die Strenge, die er im Berufsleben an den Tag legt, weicht in den Auseinandersetzungen mit seinem gerade volljährigen Sohn Joschi der liebevollen Nachsicht, die Nachtschattengewächse, mit denen er bei seiner Arbeit konfrontiert wird, können sich seiner Hilfe gewiss sein, wenn sie sich kooperativ verhalten. Während Derrick also an einen übermenschlichen und unnachgiebigen Richter denken lässt, ist Perrak der Street Worker, der weiß, dass er Kompromisse eingehen muss, um ans Ziel zu gelangen. Die Nutten und Obdachlosen, die kleinen Kiezgangster und Gauner, die er Tag für Tag einfängt, können sich seiner grundsätzlichen Empathie sicher sein, anders als die Strippenzieher im Hintergrund, die sich in Gutsherrenart über Gesetze hinwegsetzen und glauben, dass alles und jeder käuflich ist.

Die Welt, die Alfred Vohrer uns in „Perrak“ zeigt, ist schmuddelig und hässlich. Wortwörtlich mit schmutziggrauen deutschen Nachkriegssettings wie Hafenviertel, Müllhalde, zwielichtigen Etablissements, maroden Pfandleihgeschäften und zugemüllten Kellerräumen, aber auch im übertragenen Sinn. Jeder ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht und tut, was möglich ist, um irgendwie vorwärts zu kommen. Eigentlich müsste man alle in einen Käfig sperren, aber das geht nicht und so hat Perrak die undankbare Aufgabe, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ein durchaus ungewöhnlicher Ansatz für einen deutschen Krimi, die doch sonst so sehr darauf bedacht sind, einen reibungslos funktionierenden Staatsapparat vorzuführen und zu belegen, dass Verbrechen sich nicht lohnt. „Perrak“ ist von Vohrer ganz aus dem Bauch heraus gefilmt worden und er unterzieht den Zuschauer einer wahren Affektkur: Das erste gesprochene Wort des Films ist ein mit Inbrunst ausgestoßenes „Scheiße“, unmittelbar danach zerstört ein Bonze mit seinem Mercedes mutwillig die bunt bemalte Ente von Perraks Sohn Joschi. Der Blankoscheck, mit dem sich der Bonze von seiner Schuld zu befreien sucht, wird von Joschi auf Geheiß des Papas zerrissen, der Bonze schließlich mit einem Tritt in den Hintern unsanft aufs Kopfsteinpflaster befördert. In diesem Tempo geht es weiter: Ein Penner findet auf einer dampfenden Müllhalde eine Leiche, interessiert sich aber nur für deren Habseligkeiten, die er sofort einsteckt, ein Schwarzer wird von seinem Chef als „Bimbo“ gedemütigt und dann mit den Farben schwarz, rot und gelb besudelt. Und wenn Perrak schließlich in einem als Kloster getarnten Nobelbordell die unscheinbaren Türen zu den einzelnen Zimmern öffnet, um dahinter mit allen möglichen sexuellen Praktiken konfrontiert zu werden, so attackiert Vohrer damit auch die in Deutschland vorherrschende verlogene Sexualmoral. Die Szene, in der der Striptease eines Transvestiten mit aufdringlich nah heranrückender Kamera abgefilmt wird – nebenbei die einzige erotische Szene des Films –, kann man in diesem Kontext kaum anders denn als gezielte Provokation des Publikums begreifen.

„Perrak“ ist aber längst nicht nur als reines Zeitdokument sehenswert. Mit Unterstützung des fantastischen treibend-hysterischen Beat-Scores von Rolf Kühn und zahlreicher damals schon oder erst heute bekannter Gesichter – neben den bereits Genannten u. a. Werner Peters, Erika Pluhar, Arthur Brauss, Walter Richter und Jochen Busse – ist es Vohrer tatsächlich gelungen, inmitten bundesdeutscher Piefigkeit einen packenden Reißer anzusiedeln, der die vorherrschenden Zustände brillant in seine Geschichte integriert und zeigt, dass „Genrekino“ und „Deutschland“ keine unvereinbaren Gegensätze sein müssen. Dass das Finale in einem verschneiten Fußballstadion gar Don Siegels unsterblichen „Dirty Harry“ zu antizipieren scheint, kann gar nicht oft genug erwähnt werden.

Benotung des Films :

Oliver Nöding
Perrak
(Perrak)
Deutschland 1970 - 88 min.
Regie: Alfred Vohrer - Drehbuch: Manfred Purzer - Produktion: Luggi Waldleitner - Bildgestaltung: Ernst W. Kalinke - Montage: Jutta Hering, Susanne Paschen - Musik: Rolf Kühn - Verleih: Kinowelt / AL!VE / Pidax - Besetzung: Horst Tappert, Erika Pluhar, Judy Winter, Werner Peters, Hubert Suschka, Walter Richter, Wolf Roth, Berno von Cramm, Carl Lange, Eva Ebner, Arthur Brauss, Jochen Busse
Kinostart (D): 17.04.1970

DVD-Starttermin (D): 05.08.2011

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0065892/
Link zum Verleih: http://www.pidax-film.de/product_info.php?info=p101_Perrak--Inspektor-Perrak-greift-ein-.html