M – Eine Stadt sucht einen Mörder

(D 1931; Regie: Fritz Lang)

Lang wie neu

Fritz Langs „Metropolis“, im Mai in der wiedererstellten Originallänge in die Kinos gekommen und demnächst auf DVD veröffentlicht, ist ein Film, den man gesehen haben muss – nicht, weil der Film perfekt wäre, sondern gerade wegen der Unvollkommenheiten, was etwa die sozialmelodramatische Story angeht. Fritz Langs Meisterwerk ist „Metropolis“ nicht – das Meisterwerk ist „M“, ein Thriller, der nichts an Aktualität eingebüßt hat – und der auch ausgesprochen modern inszeniert ist, den man sich wieder und wieder ansehen kann.
Vor allem jetzt ist das ein großes Vergnügen, denn zum 80. Jahrestag liegt der Film nun in einer hervorragend restaurierten Fassung auf DVD und Blu-ray vor, selbstverständlich im originalen, fast quadratischen frühen Tonfilmformat. Bild für Bild wurde das Material digital gesäubert, gerichtet, rekonstruiert – und der Ton im Übrigen auch. Selbst gegenüber der Criterion-Fassung des Films (die es für Regionen außerhalb der USA offiziell gar nicht zu kaufen gibt) stellt diese DVD noch einmal eine Verbesserung dar.

Und wer den Film noch nicht kennt, hat nun die Gelegenheit, einen der besten deutschen Filme – einen der besten deutschen Kriminalfilme zumal – zu entdecken, die Geschichte eines Kindermörders im Berlin der frühen 1930er Jahre. Peter Lorre spielt in „M“ seine erste Hauptrolle, die Rolle seines Lebens, denn immer wieder wurde er künftig in die Rolle des Bösewichtes gezwängt. In „M“ gibt Lorre alles, eine beeindruckende Darstellung – die ihre Wirkung vor allem daraus zieht, dass der Kindermörder Beckert über weite Strecken nur als Phantom im Hintergrund seinen Schatten wirft und der Film die Reaktionen im Volk darstellt: Panik, Paranoia und Denunziationen bei den Bürgern, Aktionismus bei der Polizei – und eine eigene Agenda der organisierten Verbrecher, die auf eigene Faust den Mörder suchen, der ihnen das Geschäft verdirbt. Beckert sitzt unentdeckt in seiner Wohnung, schreibt Briefe an die Presse, und wenn ihn die zwanghafte Lust überkommt, verfolgt er ein kleines Mädchen, lockt es mit sich, und dann …

Lang zieht alle Register, Emotion und Spannung zu verknüpfen, jede Szene hat ihren Zweck, nichts ist überflüssig: Es geht um die Psyche des Mörders ebenso wie um eine fast dokumentarische Schilderung der Polizeiarbeit, um Obrigkeit und Verbrechen, um ein Porträt der Gesellschaft der Weimarer Republik wie auch um das Erproben und Ausstellen der Möglichkeiten filmischen Erzählens in Zeiten des frühen Tonfilms. Denn Lang geht meisterhaft mit dieser neuen Dimension des Films um, belässt ganze Passagen stumm (was ja effektiv im stets musikbegleiteten Stummfilm nie der Fall war), um mit ein paar akzentuierten Geräuschen Ausrufezeichen zu setzen, und charakterisiert den Mörder durch sein Pfeifen: Nach diesem Film wird man Edvard Griegs „Peer Gynt“-Melodie anders hören (wenn man zum Beispiel in einem Seifen-Werbespot auf sie trifft …).

Im sehr guten Audiokommentar moderiert Torsten Kaiser, verantwortlich für die gesamte Restaurierungsarbeit, ein Gespräch mit Prof. Elisabeth Klenk und Dr. Regina Stürickow. Erstere ist Expertin in Sachen Peter Kürten, den vielfachen Mörder mit dem Spitznamen „Vampir von Düsseldorf“, letztere ist Fachfrau für die Situation in der Metropole Berlin zu Zeiten der Weimarer Republik. Beide gleichen klug und kenntnisreich den Film mit der Wirklichkeit ab, und es wird deutlich, wie genau Lang und seine Drehbuchautorin Thea von Harbou für ihren Film recherchiert haben: Alltag und Leben der kleinen Leute in ihren Hinterhofwohnungen sind ebenso genau dargestellt wie die modernen Methoden der Kriminalistik, die in Richtung des heutigen Profilings gehen, oder die Berliner Unterwelt mit ihren Kellerkneipen, Razzien und Ringvereinen, die als „Gewerbeverbände“ das Verbrechen ordneten. Und man bekommt Einblicke in die Ursprünge des Films, die wohl in der Persönlichkeit von und in der Berichterstattung über Peter Kürten lagen. Der hatte 1929 in einer Mordserie acht Menschen (nicht nur Kinder) umgebracht und ein ungeheures Medienecho erzeugt – denn auf diesen Biedermann war niemals ein Verdacht gefallen.

Kürten steht auch im Mittelpunkt von Torsten Kaisers 96-Minuten-Dokumentation „The Hunt for M“ von 2003, einer englischsprachigen Annäherung an diesen Serienmörder in Hinblick auf den Film, die etwas an der allzu dramatisch-pathetischen Sprechweise von Barry Morse leidet, der seinen Kommentar abgibt wie ein Voice-Over-Erzähler in altertümlichen Horrorfilmen. Ein zweiter Teil der Doku geht der weltweiten Suche nach Filmmaterial zu „M“ nach, der Restaurierung und der inszenatorischen Meisterschaft von Fritz Lang – unter anderem in Interviews mit Peter Bogdanovich und Martin Koerber, der für die 2001er-Restauration des Films verantwortlich war.

Mit Koerber zusammen bestreitet Kaiser auch die Kommentierung einer 50minütigen Kompilation verschiedener Fassungen von „M“ – sowohl späterer geschnittener Fassungen als auch der englischen und französischen Sprachversionen von 1932. In diesen wurde nicht nur synchronisiert, es wurden teilweise auch Darsteller durch englische bzw. französische Muttersprachler ersetzt, Sequenzen umgeschnitten und Einstellungen nachgedreht – Lorre musste seinen ganzen ergreifenden Schlussmonolog in anderen Sprachen noch einmal spielen. Dieser Umgang mit Filmen in den Händen ausländischer Verleiher ist hochinteressant; es gab damals verschiedene Verfahren, Auslandsfassungen herzustellen, von (technisch noch unausgereifter) Synchronisation bis zum kompletten Nachdreh eines Films, und verschiedene dieser Techniken wurden auf „M“ angewandt. Leider können im Kommentar die beiden Restauratoren keine Auskunft geben, wann, wo, unter welchen Umständen und unter wessen Regie etwa Nachdrehs zu „M“ entstanden sind, oder auch, wie es zu einigen sehr merkwürdigen, völlig sinnlos hineingeschnittenen Einstellungen kam, in denen einige der Nebendarsteller vor monochrom grauem Hintergrund zu sehen sind. Hier hätte man sich etwas mehr Recherchearbeit gewünscht oder zumindest Hinweise darauf, warum keine Hinweise gegeben werden können.

Ein schönes Fundstück ist das Interview „Zum Beispiel Fritz Lang“ von Erwin Leiser von 1968. In statisch gestellten Fragen und Antworten rekapituliert Lang seine deutschen Filme vor 1933 – und taut mehr und mehr auf, wenn er aufsteht und anekdotische Situationen nachspielt. Hier findet sich etwa seine legendäre Schilderung einer Begegnung mit Goebbels, der ihm die Führerschaft des deutschen Films antrug, worauf Lang noch in derselben Nacht Deutschland verlassen habe – was historisch nicht stimmt, in der verdichtet-verklärenden Version Langs aber ohne Zweifel Unterhaltungswert hat.

Benotung des Films :

Harald Mühlbeyer
M - Eine Stadt sucht einen Mörder
(M)
Deutschland 1931 - 106 min.
Regie: Fritz Lang - Drehbuch: Thea von Harbou, Fritz Lang - Produktion: Seymour Nebenzahl - Bildgestaltung: Fritz Arno Wagner - Montage: Paul Falkenberg - Verleih: Universum - Besetzung: Peter Lorre, Gustav Gründgens, Otto Wernicke, Paul Kemp, Theo Lingen, Ellen Widmann, Theodor Loos, Gerhart Bienert, Rosa Valetti
Kinostart (D): 30.11.-0001

DVD-Starttermin (D): 20.05.2011

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0022100/