Kriegerin

(D 2011; Regie: David Wnendt)

Nazis gießen keine Blumen

Voll auf Krieg gestriegelt zieht Marisa (Alina Levshin) als Teil einer rechtsextremen Clique durch die ostdeutsche Provinz. Mit geflügeltem Hakenkreuz auf der Brust werden Schlitzaugen im Regionalexpress ruckzuck auf DIN-A-4 gefaltet und Kanaken an der Kasse einfach nicht bedient. Der Freund (Gerdy Zint) wird, da Deutsch-Nationale hart wie Krupp-Stahl sind, entsprechend hart gevögelt. Und weil der Hass so tief sitzt, wird das Feindbild auch schon mal mit dem Auto umgefahren. Zu Hause dann wird mit Mutti heftig gestritten und die Zimmerpflanze liebevoll gegossen. Weil Neonazis aber keine Blumen gießen, sondern saufen, pöbeln, Juden hassen und in Nostalgie schwelgend überteuerte Waffen aus alten Reichsbeständen kaufen, wird bald klar, dass Marisa die Sache mit dem Überfahren und Pöbeln noch leid tun wird. Das ist dann auch die Quintessenz der Geschichte: Die Ablösung von der ehemals identitätsstiftenden Neonazi-Szene als Abschluss eines Prozesses jugendlicher Selbstfindung. Oder vereinfacht ausgedrückt: Wenn es nicht länger als 90 Minuten anhält, darf man ruhig mal Nazi sein. Und als Marisa es tatsächlich nicht mehr aushält, schminkt sie sich die Ideologie wortwörtlich ab und zieht ein hübsches Kleidchen an. Am Ende ist das Mädel ein Sinnbild für den Widerstand und befreit somit auch den Zuschauer von seiner symbolischen Schuld. Nur die Schwingen des Reichsadlers werden auf ewig Marisas (und unsere) Brust schmücken.

Bei aller Polemik in der Beschreibung, David Wnendts Debütfilm „Kriegerin“ ist an und für sich ordentlich recherchiert: Die Hinwendung Jugendlicher zum Rechtsradikalismus als „Gelegenheitsstruktur“ (Christine Wiezorek), in der, aufgrund fehlender familialer Integration und geeigneter Bezugspersonen, nach Halt und Orientierung gesucht wird, ist in der Biografieforschung zum Thema nachhaltig belegt. Mit Teenager Svenja (Jella Haase), deren Weg in die rechte Szene, quasi als jüngere Version Marisas, aufgezeigt wird, erzählt der Film ein mögliches Szenario in der Bewältigung der eigenen, brüchigen Biografie. Dass Marisa sich mit ihrem beschädigten Leben der Großelterngeneration zuwendet, ist für weibliche Neonazis in ihrem Versuch der Selbstverortung ebenfalls von nicht zu unterschätzender Bedeutung und von Wnendt gut beobachtet.

Im Gegensatz zur soziologischen Feldforschung sieht der Film sich nun jedoch dazu gezwungen das Nebeneinander der unterschiedlichsten Handlungs- und Orientierungsmuster zum Exemplarischen zu verdichten und zu psychologisieren. Und David Wnendt leistet in diesem Punkt ganze Arbeit. Hier wird reduziert, zugespitzt und auf den kleinsten brutalen Nenner gebracht, bis kein Platz mehr für Reibungspunkte oder Widersprüche ist. Jeder ostdeutsche Neonazi ist in „Kriegerin“ durch und durch das, was der Zuschauer spätestens seit den Rostocker Pogromen immer wieder medial vermittelt bekommt. In einem Interview zum Film betont der Regisseur, dass er ein „aktualisiertes Bild der Rechten“ zeigen wolle, das mit unseren Vorstellungen vielleicht nicht übereinstimmt. Das ist ihm gründlich misslungen. Ein anderes Bild wäre gerade eines gewesen, in dem der Neonazi, wie beispielsweise in Winfried Bonengels Dokumentarfilm „Beruf Neonazi“ (1993) eloquent und freundlich den Holocaust leugnet und den Nachwuchs mit der Sprache eines Versicherungsvertreters und einigen Dias aus Auschwitz davon zu überzeugen sucht. Ein Neonazi, der auch zu den Eltern ein gesundes Verhältnis pflegt. Einer aus der Mitte der Gesellschaft.

Wnendt begnügt sich hingegen mit groben Figuren (Gerdy Zint scheint als festes HFF-Inventar mittlerweile ausschließlich auf Rollen dieser Art festgelegt zu sein), um diese in seine schablonenhafte Dramaturgie einer Läuterung hinein zu zwängen. Die Erzählung läuft nicht nur darauf hinaus, dass es, trotz vorliegender lebenslanger Sozialisation Marisas, scheinbar ganz einfach ist, den Neonazi in sich loszuwerden, sondern dass Opa seiner „Kriegerin“ den Virus des Bösen regelrecht eingepflanzt hat: „Der Jude war’s“, sagt Opa, „Hitler ist schuld“, wissen wir. Indem der Großelterngeneration die Schuld zugeschrieben wird, die Rahmung des Filmes durch Rückblenden lässt genau diesen Schluss zu, da darin die ganze Spannung des Filmes verborgen liegt, projiziert der Film das Problem Marisas in die Vergangenheit.

In dieser klaren historischen Abgrenzung und der Ausgrenzung der Rechten in ihrer zugespitzten Darstellung als ewig Gestrige mit niedrigem IQ werden die Verbindungen zum Alltag des Zuschauers vollständig gekappt. Er kann eine beruhigende Außenposition einnehmen, in der Rechtsradikalismus (oder der Ausschnitt den Wnendt uns in seinem Film präsentiert) zwar als Gefahr durchaus begriffen und geächtet, aber nicht als soziale Bewegung mit netzwerkartigen Strukturen verstanden werden muss. In „Kriegerin“ geht es nach wie vor um eine gesellschaftliche Randerscheinung, die nicht auf eine Neugestaltung der Gesellschaft, sondern ausschließlich auf einen möglichst hohen Bodycount zielt. Nur so bleibt es dem Zuschauer zum Einen weiterhin möglich, einen 70%igen „Ausländeranteil“ an Schulen für problematisch zu halten, ohne nach den pädagogischen Strukturen zu schauen, und gleichzeitig nach einem NPD-Verbot zu schreien. Zum Anderen kann er sich, und das ist schlichtweg eine falsche Absicht des Regisseurs in Bezug auf sein Thema, unterhalten fühlen.

Der Unwille, sich des tatsächlichen Diskurses, abseits aller gut gemeinter Ressentiments und Unterhaltungswerte, anzunehmen, offenbart, dass das ganze Gefilme gegen Nazis und Neo-Nazis nichts weiter als eine Geste der Ohnmacht ist – eine Lichterkette des Kinos. Man könnte folglich für den deutschen Spielfilm nach 1945 konstatieren, dass aus der mangelhaften filmischen Vergangenheitsbewältigung – von „Große Haie, kleine Fische“ (1957) bis „Der Untergang“ (2004) – eine dürftige Auseinandersetzung mit aktuellen Phänomenen des Rechtsradikalismus resultiert. „Schlimm ist unser Klischee von dummen Skins und hasserfüllten Visagen, denn die Realität ist schlimmer“, schreibt Dietrich Kuhlbrodt in „Deutsches Filmwunder. Nazis immer besser“. Die Terrorzelle von Zwickau samt ihren Verstrickungen in deutsche Geheimdienstkreise und die Rocker-Szene gibt ihm Recht und „Kriegerin“ ist ambitioniertes Gutmenschenkino. Ich gehe jetzt Blumen gießen!

Benotung des Films :

Ricardo Brunn
Kriegerin
(Combat Girls)
Deutschland 2011 - 103 min.
Regie: David Wnendt - Drehbuch: David Wnendt - Produktion: René Frotscher, Eva-Marie Martens - Bildgestaltung: Jonas Schmager - Montage: Andreas Wodraschke - Musik: Johannes Repka - Verleih: Ascot Elite - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Alina Levshin, Jella Haase, Sayed Ahmad Wasil Mrowat, Gerdy Zint, Lukas Steltner, Uwe Preuss, Winnie Böwe
Kinostart (D): 19.01.2012

DVD-Starttermin (D): 09.10.2012

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1890373/