Geheime Staatsaffären

(F / D 2005; Regie: Claude Chabrol)

Ja, ich bin Isabelle Huppert

Der deutsche Titel ist bescheuert. Das Original (L’ivresse du pouvoir) ließe sich mit Machtrausch übersetzen. Und: Chabrols Film ist ein Spiel über Macht-haben oder nicht-haben. Bäumchen, Bäumchen wechsle dich. „Die meiste Macht in Frankreich hat der Untersuchungsrichter', sagt die Untersuchungsrichterin Jeanne Charmant-Killman. Ein perfid-ambivalenter Name. In ihm schnurrt das bissige Plot zusammen. Isabelle Huppert nutzt die Macht aus, um die großen Industriekapitäne in ihr Winzbüro zu zitieren und sie kleinzukriegen. Untreue, Subventionsbetrug, Bestechung, Steuerhinterziehung und weiter durch die Wirtschaftsschwerkriminalität. Wer steckt da noch drin? Raus mit den Namen!

Wer will, kann sich an den Elf Aquitaine-Wirtschafts-/Politskandal von 2003 erinnern. Muss er aber nicht. Der Film ist kein Wirtschaftskrimi, und es geht ihm nicht darum, neue Details hervorzukratzen. Was wir sehen, ist ein Prozess machtvoller Strafverfolgung, der quasi gesetzmäßig in Ohnmacht und Begünstigung umschlägt – alles auf einer höheren Ebene erzwungenen, aber luxuriösen Einvernehmens. Wer zum Schluss lacht, ist wütend. Aber er hat sie kapiert, die alte neue Dialektik.

Chabrol hält sich vom Kommentieren und Moralisieren fern. Er beobachtet. Originalmotiv ist der Justizpalast in Paris. Dort sitzen die Strafverfolger in tristen Nebenzimmern; ins Gebäude kommen sie durch Nebeneingänge. Sie können die Deklassierung kompensieren, indem sie die sozialen Codes der Wirtschaftsbosse (und der verbündeten Parteipolitiker) knacken. Deshalb immer wieder die in diesem Film sich noch einmal übertreffende Isabelle Huppert, kalt, respektlos, den Vorstandsvorsitzenden vor sich sitzen sehen und ihm ihr Spiel aufzwingen. Klar, das ist ein Spiel, Theater. Rote Handschuhe, das Kostüm ist sorgsam ausgewählt, die Lippenfarbe, der entschlossene Ausdruck. Auch ich fand es immer Theater, wenn der Staatsanwalt, der bei uns als Strafverfolger Macht hat, das weiße Hemd anzieht, den weißen Schlips, die schwarze Robe. Ich war ja in Hamburg selbst einer, und ich sag es gleich jetzt, dass ich befangen bin, wenn ich der Huppert Spiel grandios und hyperrealistisch finde. Ja, ich bin Isabelle Huppert.

Zurück in meine Funktion als Filmkritiker. Schizophren mutet es an, wie sie von der Strafverfolgung zu ihren privaten Beziehungen switcht und umgekehrt. Im Film ist dies ein Hin- und-hergeschalte vom Justizpalast zur Privatsphäre. Je mehr sie sich an ihrer Macht berauscht, so ernüchternd und machtlos geht es mit ihrem Mann auseinander. Sehr schön anzusehen, wie sie versucht, sich an den jungen Félix, den Glücklichen (Thomas Chabrol), zu halten, der unbekümmert von Verfolgungswahn und -rausch ganz der Gegenwart vertraut, dem glücklichen Moment. Klar, dass er beim Pokern gewinnt. Und: no sex please. Gibts bei Engeln nicht. Frau Charmant-Killman aber kann nicht aus ihrer Haut. Geht nicht, weil das größtmögliche Maß von Macht ja gesetzesnotwendiger Weise in die lindernde und entspannende Qualität der Ohnmacht kippt. Und das geht so:

Im Laufe des Films tritt immer mehr das kriminelle Wirtschafts- und Politsyndikat auf – als Gruppe, als Chor sozusagen, auf die altgriechische Weise kommentierend und voraussagend, wie weit die Verfolgerin ist. Sie weiß noch nicht alles. Die anderen wissen es. Sie haben Geduld, machen ihre Späße, und lassen sie an langer Leine zappeln. Gut, ein Bauernopfer ist nicht schlecht. Einer von ihnen, ohnehin deklassiert, weil nicht von gleicher Eliteschule, lässt sich von der Untersuchungsrichterin weichkochen – und in die Notaufnahme schicken. Die Strafverfolgerin will noch mehr? Mal kontrollieren, was läuft. Ein merkwürdiger Verkehrsunfall. Body Guards werden ihr aufgedrängt. Eine Beförderung wird in Aussicht gestellt, allerdings ist sie dann für ihre große Sache nicht mehr allein zuständig. Grandiose Diensträume bekommt sie – und eine Kollegin, die zicken wird und sie kontrolliert. All das verschafft ihr der eigene Vorgesetzte, gütig lächelnd. Auch er im Bunde.

Und nun? „Macht Euren Mist allein', sagt die Huppert. Und dem Gerichtspräsidenten rät sie: „Kaufen Sie sich doch ein Paar Eier.' Paar großgeschrieben. – Die Erkenntnis? Dass die Macht, über die sie frei zu verfügen meinte, ihr nur auf Zeit gewährt ist – von einer Klasse, die ihr unzugänglicher wird, je mehr sie auf sie zugeht. Sie allein gegen das Einverständnis von Wirtschaft, Politik und Justiz, das geht nicht. Einmal kurz gelacht über Machtrausch und Verfolgungswahn und dann bitte schön doch nicht mit dem Kopf durch die Wand. Die Wand, das sind die sozialen Codes und dahinter sind „die Ausbeuter, von denen man nur hoffen kann, dass eines Tages ihre Nase von den Ausgebeuteten gepackt und ausgepresst wird, um zu sehen ob Milch oder Blut rauskommt', so Chabrol in einem Interview, bei dem man wiederum nicht weiß, ob er mit dem einen Auge pliert: „Ich glaube immer noch an den Klassenkampf.'

Passt. Auch wenns zum Macht-Theater gehört. Ich fand es jedenfalls gar nicht komisch, dass ich in den siebziger Jahren gegen die Wand lief. Als Naziverbrechenverfolger in Hamburg. Der sehr hohe Beamte, angeklagt wegen tausendfachen Mordes an Hamburgern. „Wir haben Ihre Karriere immer im Auge gehabt, und das soll doch so bleiben', bedeutete mir der Verteidiger, der eben noch stellvertretender Bürgermeister gewesen war. – „Wissen Sie, was Sie dem Beamten, einem SPD-Mitglied, antun?', so der stellvertretende Chefredakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung. Ich erinnere noch ungefähr den Titel der Reportage: „Schwurgerichtsanklage: Schweres Schicksal -', nächste Zeile, „- für verdienten hamburger Beamten'. Das Gericht folgte sodann dem Gutachten, das dem Angeklagten bescheinigte, sich nicht verteidigen zu können. Die Anklageschrift sei zu lang. Er könne sich nicht konzentrieren. – Erst später erfuhr ich, dass der Sachverständige, Direktor eines Allgemeinen Krankenhauses, zur Tatzeit Hausarzt des Angeklagten gewesen war.

Kurzum, ich war gegen die Wand gelaufen, erfreute mich aber der Ernennung zum Abteilungsleiter und damit zum Oberstaatsanwalt. Bezeugen kann ich somit besten Gewissens, dass Chabrols Machtrausch- resp. Ohnmachtstheater die Wahrheit ist und nichts als die Wahrheit.

Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 07/2006

Geheime Staatsaffären
(L'ivresse du Pouvoir)
Frankreich / Deutschland 2005 - 110 min.
Regie: Claude Chabrol - Drehbuch: Odile Barski, Claude Chabrol - Produktion: Patrick Godeau - Bildgestaltung: Eduardo Serra - Montage: Monique Fardoulis - Musik: Matthieu Chabrol - Verleih: Concorde - FSK: ohne Altersbeschränkung - Besetzung: Isabelle Huppert, François Berléand, Patrick Bruel
Kinostart (D): 20.07.2006

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0463486/