Einer nach dem anderen

(NOR 2014; Regie: Hans Petter Moland)

Schneepflug Driver, eine Wiedervorlage

Norwegen kann sehr kalt sein. Wenn man zum Beispiel Selbstmord machen will und sich das Jagdgewehr bereits in den Mund geschoben hat – und dann von etwas überrascht wird, was den Dingen ein anderes Ansehen gibt, dann heißt es vorsichtig sein beim Entfernen des Gewehrlaufes aus dem Mund. Es könnte nämlich sein, dass die Lippe am Metall hängen bleibt. Wegen der Kälte! Hahaha.

Eine Tautologie? Es ist nicht die letzte dieses etwas ranzig schmeckenden Zweit- und Drittaufgußes von Coen- und Tarantino-Mischungen. Doch wir wollen nicht vorgreifen! Gerade ist der stille Nils, Schneepflugbeauftragter seines norwegischen Provinzdorfes, für seine Zuverlässigkeit zum „Bürger des Jahres“ gewählt worden: der Schwede, so wird gesagt, sei geradezu ein Muster an Integration. Da erreicht ihn aus Oslo die Nachricht, dass sein Sohn an einer Überdosis Drogen gestorben ist. Gefunden wurde der Leichnam auf einem eiskalten Bahnsteig. Norwegen kann sehr kalt sein.

Nils mag das mit den Drogen nicht glauben – und der Zuschauer, der Zeuge des brutalen Mordes durch die Drogenmafia geworden ist, schätzt Nils, dessen Welt ab sofort aus den Fugen ist, für seinen untrüglichen Vaterinstinkt. Selbstmord scheint nur kurz eine Option, dann bekommt er unverhofft einen Namen, der seinem Rachefeldzug ein Ziel gibt. Aus dem Integrierten wird in der Welt der Outcasts ein Außenseiter, der sich nicht an die ungeschriebenen Gesetze und Rituale der Subkultur hält, weil er sie nicht kennt. Nils‘ Wunsch nach Rache für seinen Sohn bringt Unordnung in die wohl geordnete Welt des kriminellen Milieus, das um eine intakte Betriebskultur bemüht ist. „Wenn norwegische Kinder verschwinden, gibt es immer lästige Eltern, die nach ihnen suchen“, weiß das Milieu. Aber wie lästig ist erst ein Vater, der sich in »Dirty Harry« verwandelt und stoisch seinen Rachefeldzug exekutiert, obwohl er keine Ahnung davon hat, mit wem er sich anlegt? Es darf gelacht werden!

Hans Petter Moland („Ein Mann von Welt“) setzt auf die bewährte Mischung aus lakonischer Gewaltdarstellung und kauzigen Charakteren, die das skandinavische Kino seit der Jahrtausendwende, seit Filmen wie „Flickering Lights“ oder „In China essen sie Hunde“ pflegt und sich dabei mehr oder weniger offen auf das Kino der Coen-Brüder und Tarantinos bezieht. Frage: Braucht das noch irgendjemand?

Während Nils sich also die Hierarchie der Drogenmafia entlang mordet, werden uns Gangster vorgestellt, denen bereits die Arbeit, Gangster darzustellen, Mühe bereitet und die deshalb allerlei Macken ausgebildet haben. Wie zum Beispiel der bezopfte Gangsterboss „Der Graf“, der vegan lebt und täglich vergeblich versucht, seine Gang von diesem Ernährungsstil zu überzeugen. Der Graf versorgt seine Jungs mit frisch gepresstem Karottensaft und verabscheut künstlich gezuckerte Frühstücksflocken. Das heißt aber nicht, dass er seine Ehefrau, die sich von ihm getrennt hat, nicht verprügelt oder die konkurrierenden Serben stets als „Albaner“ bezeichnet. Hahaha. Die Serben, mit denen sich die Bande des Grafen den Drogenmarkt ordentlich aufgeteilt hat, kommen ins Spiel, weil niemand damit rechnet, dass hier ein Nicht-Gangster seine Blutspur zieht. Man geht von einer Kriegserklärung unter Gangstern aus und statuiert schnell ein Exempel, das allerdings so unglücklich gewählt ist, dass der Streit nicht mehr durch eine freundliche Geste geschlichtet werden, sondern mit alttestamentlicher Strenge exekutiert werden wird.

Der Film leistet sich das Vergnügen, seinen alternativen Titel „In Order Of Disappearence“ durch eine Folge von Inserts, die jedem Toten eine ordentliche Todesanzeige mit bürgerlichem Namen und Gangsternamen („Der Chinese“, „Wingman“) verpasst, zu exekutieren. In der Reihenfolge ihres Abtretens. Kurz vor Schluss wendet sich die Gewalt kurz gegen Nils, aber beim Grande Finale ist er nur eine Nebenfigur. Aber da hat der Zuschauer längst das Interesse an der öden Routine verloren und grübelt stattdessen über eine ungleich interessantere, weil wirklich rätselhafte Frage nach: Welches dunkle Geheimnis trägt eigentlich Bruno Ganz mit sich herum, dass er in den letzten Jahren durch die Auswahl seiner Rollen zu einer Karikatur seiner Selbst geworden ist? Als serbischer Gangsterpatriarch ist er jedenfalls fast so schlecht wie in „Der Untergang“ oder „Der Vorleser“ oder „Nachtzug nach Lissabon“. Spielschulden? Immobiliengeschäfte? Oder gar Schlimmeres? Können wir helfen?

Benotung des Films :

Ulrich Kriest
Einer nach dem anderen
(Kraftidioten / In Order of Disappearance)
Norwegen 2014 - 115 min.
Regie: Hans Petter Moland - Drehbuch: Kim Fupz Aakeson - Produktion: Roy Andersson, Jessica Ask, Jessica Balac, Per Henry Borch, Geir Henning Eikeland, Madeleine Ekman, Peter Garde, Finn Gjerdrum, Stig Hjerkinn Haug, Peter Aalbæk Jensen, Sisse Graum Jørgensen, Stein B. Kvae, Hans Petter Moland, Stellan Skarsgård - Bildgestaltung: Philip Øgaard - Montage: Jens Christian Fodstad - Musik: Brian Batz, Kaspar Kaae, Kåre Vestrheim - Verleih: Neue Visionen - FSK: ab 16 Jahre - Besetzung: Stellan Skarsgård, Birgitte Hjort Sørensen, Bruno Ganz, Kristofer Hivju, Jakob Oftebro, Pål Sverre Hagen, Sergej Trifunovic, Tobias Santelmann, Anders Baasmo Christiansen, Stig Henrik Hoff, Atle Antonsen, Jon Øigarden, Arthur Berning, Goran Navojec, David Sakurai
Kinostart (D): 20.11.2014

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2675914/