Drei

(D 2010; Regie: Tom Tykwer)

Unterwegs nach Utopia

Es gibt eine Opposition in Tom Tykwers neuem Film „Drei“, in der sich die fatalistische Linearität gedachter Lebenswege mit ihren überschaubaren Wechselfällen und das weltanschauliche Modell konzentrischen Wachsens im Sinne stetiger Verwandlung und Erneuerung gegenüberstehen. Übersetzt in die filmsprachliche Stilistik seines Films, treffen Parallelmontage und Multiperspektivität (etwa mittels split screen) aufeinander: Das Erzählen zufällig erscheinender Verknüpfungen überschneidet sich mit den Möglichkeitsformen der handelnden Figuren, die sich aus ihren jeweiligen Standpunkten ergeben. Daraus resultiert eine untergründige, sehr kalkulierte Spannung, die letztlich ungreifbar bleibt.

Zu dieser sehr kunstvollen Konstruktion gehört auch, dass „Drei“ als Ideenfilm funktioniert und insofern ein ganzes Arsenal von Zitaten aus Literatur, bildender Kunst, Theater, Film und Musik beinhaltet. Werke von Jeff Koons, David Bowie, Robert Wilson, Erich Fromm, Hermann Hesse, Ingeborg Bachmann, Herman Melville, Sasha Waltz und Vittorio De Sica vernetzen sich zeichenhaft zu einer Oberflächenstruktur; aber auch Orte in Berlin, die das Porträt einer Generation von Mitvierzigern in kreativen Berufen auf natürliche Weise rahmen, gliedern sich ein. Tom Tykwers filmische Organisation des Materials, zu dem auch Räume und Figuren gehören, folgt neben weltanschaulichen vor allem ästhetischen Gesichtspunkten. Damit knüpft der Regisseur nahtlos an seine früheren Filme an.

Die facettenreichste und deshalb faszinierend geheimnisvolle Figur seines aktuellen Films „Drei“ ist Adam Born (Devid Striesow), ein Stammzellenforscher mit vielen Hobbys und flirrender sexueller Identität. Sein Name ist quasi Programm einer radikalen Erneuerung; und sein Ausdruck von Stärke und souveräner Unabhängigkeit wirkt integrierend, vor allem aber katalysierend – was entfernt an den fremden Gast in Pasolinis „Teorema“ erinnert. Denn als sich die Kulturjournalistin (Sophie Rois) und der „Kunstbauer“ Simon (Sebastian Schipper), die seit zwanzig Jahren ein Paar sind, unabhängig voneinander in ihn verlieben, löst sich eine Starre, entsteht etwas Neues. Die sexuelle Grenzüberschreitung, im Film als „Abschied vom deterministischen Biologieverständnis“ apostrophiert, verdichtet Tykwer auch visuell zu einer Utopie, die den eingangs formulierten Fatalismus dann doch noch abmildert.

Link zum Interview mit Regisseur Tom Tykwer
Link zu einer weiteren Filmkritik

Benotung des Films :

Wolfgang Nierlin
Drei
(Drei)
Deutschland 2010 - 119 min.
Regie: Tom Tykwer - Drehbuch: Tom Tykwer - Produktion: Stefan Arndt - Bildgestaltung: Frank Griebe - Montage: Mathilde Bonnefoy - Musik: Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil, Gabriel Mounsey - Verleih: X Verleih - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Sophie Rois, Sebastian Schipper, Devid Striesow, Annedore Kleist, Angela Winkler, Alexander Hörbe, Winnie Böwe, Hans-Uwe Bauer, Peter Benedict, Edgar M. Böhlke
Kinostart (D): 23.12.2010

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1517177/