Querschläger

(Walter Hill & Jef Matz)

Volltreffer
von Johannes Binotto

Querschläger“ – der Titel ist wohl auch als selbstreflexiver Kommentar über die Genese dieses Comics zu lesen, wobei das französische Orginal „Bulles perdues“ sogar noch etwas treffender ist: Verlorene Kugeln, die etwas anderes treffen als das anvisierte Ziel. Tatsächlich basiert Querschläger auf einem nicht-realisierten, verlorenen Drehbuch des amerikanischen Regisseurs Walter Hill, das nun nicht als Film, sondern als Bildergeschichte auf Papier verwirklicht wurde. Hill hatte für seinem letzten Film „Bullet to the Head“ die dreiteilige französische Comicreihe „Du plomb dans la tête“ adaptiert und war in dem Zusammenhang mit deren Autor Matz (eigentlich Alexis Nolent) zusammengetroffen. Dieser hatte die Regie-Legende gefragt, ob er über nicht realisierte Stoffe verfüge, die sich für eine Comic-Adaption eignen würden. Hill, selber seit Jahren ein Comic-Enthusiast, bot ihm aus seiner Sammlung die Geschichte um den Gangster Roy Nash und dessen blutige Jagd nach der Hoffnung. Das Resultat, ist nun auch auf 120 Seiten zu genießen. Beispiel für eine schöne Verkehrung: wo sich sonst das zeitgenössische amerikanische Kino beim Comic bedient, macht hier der Comic, was Hollywood sich nicht mehr zutraut.

Ob es dieses Wissen um die Entstehungsgeschichte ist, dass man glaubt, dem Comic seine filmische Herkunft zu erkennen? Immer wieder rücken einzelne Panels Details ins Bild, so wie in den Großaufnahmen eines Film: eine Hand, die zur Waffe greift, die Grammophonnadel auf der Platte. Und dann immer wieder jene Panels auf, welche sich über die ganze Breite der Seite ziehen: Cinemascope-Bilder. Sie zeigen den einsame Held in den dunklen Strassen der Großstadt, den Hut ins Gesicht gezogen oder ein verlassenes Westernstädtchen im Staub der Prärie. So entsteht das große Pathos dieser Gangstermoritat. In manchen Aussichten sieht es aus, als würden die Figuren vor Fotografien stehen, ein Eindruck wie man ihn von den Rückprojektionen aus den Filmen der 1940er kennt. Wenn zum Schluss Nashs Gegenspieler mit seinen vier Revolvermännern auf den Salon zuschreitet, in dem der finale Showdown stattfinden wird, zitieren die Bilder nicht zuletzt Walter Hills eigenen Western „The Long Riders“.

Koloriert hat der Zeichner Jef (eigentlich Jean-François Martinez) seine Bilder in dunstigen Farben, grad so, als läge über allen Räumen ein leichter Schleier: Nebel, Staub, Zigarettenrauch und Pulverdampf. Es sind Klischees, ohne Zweifel. Aber gerade über sie zapft der Comic das visuelle Gedächtnis seiner Leser an. Unweigerlich hat man als Leser und Betrachter das vage Gefühl, diese Geschichte bereits zu kennen. Der neue Comic wirkt bereits wie ein alter Klassiker, dessen Handlungsmuster uns vertraut sind: Der knallharte Gangster Roy Nash lässt sich aus dem Knast holen, um den Preis, dass er für die Bosse einige alte Rechnungen begleicht. Daneben aber verfolgt der Killer seine eigene Mission. Das leichte Mädchen Lena, die einzige Frau, die ihm je etwas bedeutete, will er finden und aus dem Sumpf der Unterwelt retten. Wir ahnen schon bald, wie übel dies alles herauskommen wird.

Virtuos ist „Querschläger“ denn auch weniger, weil er seine Geschichte besonders originell, als vielmehr weil er sie so konsequent erzählt. So wie Hills Filme sich nicht am aktuellen Zeitgeist, sondern an der Tradition der maverick directors von Raoul Walsh bis Sam Fuller orientieren, ist auch sein Comic im Stile alter hard boiled Romane verfasst: brutal und lakonisch. Großartige Figuren, wie etwa der schweigsame Ex-Boxer Panama Kid, den man Roy Nash als Fahrer mitgibt, werden in nur wenigen kurzen Bildern vollends plastisch. Gerne hätte man mehr über jene auffälligen Narben um seine Augen gewusst und was hinter seinem stoischen Gesicht wohl vor sich geht. Umso bitterer sein Ende. Statt eines großen Abgangs nur ein Tableau vom Grund des Hafenbeckens: Panama Kid mit Beton an den Füssen, zwischen anderen verrottenden Leichen. So macht der Comic kurzen Prozess und zelebriert zugleich Atmosphäre. Der schnell und heftig explodierenden Gewalt werden nicht mehr Bilder gewidmet, als dem langen Warten darauf, dass sie sich ereignen möge. Die Stimmung hüllt uns ein.

Irritierend ist allenfalls die Art und Weise, wie der Protagonist gezeichnet ist, mit einer auffällig femininen Physiognomie, die Augen immer schwarz umrandet, wie mit Mascara. Eher Transvestit als harter Kerl. Und doch passt dieser queere Touch nicht schlecht zu dem Killer, der eigentlich die sentimentalste aller Figuren ist. An Sex hingegen scheint Nash nicht interessiert, selbst dann, wenn sich die Frauen ihm anbieten. Und auch seine Retterfantasie gegenüber Lena scheint nicht erotisch motiviert, sondern ist eher der Versuch, einen letzten Rest Unschuld zu retten in dieser verkommenen Welt, vergeblich. So ist Nashs Haltung die, welche aus dem ganzen Comic spricht: melancholische Nostalgie. Das Leben gleitet ihm durch die Finger und dazu passt denn auch, dass man Nash aus dem Gefängnis schmuggelte, indem man ihn als angebliche Leiche in einen Sarg nagelte. Als lebender Toter ist er fortan dazu verdammt, weiterzumachen, auch wenn er all das verloren hat, wofür zu leben sich überhaupt lohnt. Am Ende sitzt er in seinem Hotelzimmer, wie anfangs in der Zelle. Mit nichts in der Tasche, außer Erinnerungen.

Uns freilich ist das nicht genug. Wir warten auf den nächsten Band. Walter Hills Kino geht weiter, als Comic vielleicht noch gelungener als auf der Leinwand. Der ins fremde Medium abgelenkte Querschläger hat ins Schwarze getroffen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Filmbulletin

Walter Hill, Matz, Jef: „Querschläger“
Aus dem Französischen von Tanja Krämling, Splitter Verlag, Bielefeld 2015, 128 Seiten, 24,80 Euro