Marcus Stiglegger – Terrorkino. Angst/Lust und Körperhorror

Die unerträgliche Leichtigkeit des Leids
von Sven Jachmann

Es ist schon eine Crux mit dem Horrorfilm: Als somatisches Kino der Extreme stimuliert er seit jeher konservative Stimmen, die in seiner dunklen Ästhetik den Verfall aller Sittlichkeit und jedweden Anstands vorangekündigt sehen. Entsprechend laut ist bei ihnen das Gebrülle nach rigiden Maßnahmen der Zensur. Ebenso stimuliert der Horrorfilm Dekade für Dekade Heerscharen von Kinogängern, denen er dank seines sehr genrespezifischen Hangs zur Revitalisierung und Transformation offensichtlich immer noch Schock und Schauder abzuringen weiß. Woraus sich dieses anhaltende Faszinosum speist, ist jenen kulturpessimistischen Stimmen egal. Ihnen genügt die Serialität der graphischen Gewalt, um sie als pornografischen Rhythmus und somit als primitives Delektieren der Körperdestruktion zu identifizieren. Die in diesem Sinne befürchtete, aber von der Medienwirkungsforschung nur schwer zu verifizierende Folge: emotionale Verrohung. So erhält sich bereits seit der Frühzeit des Kinos ein Diskurs, der unter dem Deckmantel des Jugendschutzes zum Sturm gegen die schmutzige Ästhetik aufruft und letztlich unverhohlen um die Deutungshoheit dessen kämpft, was die bewegten Bilder zeigen und leisten dürfen und was nicht.

Auch die internationalen Diskussionen um die so genannten torture porns, denen sich der Siegener Filmwissenschafter und durch zahlreiche Bücher und Aufsätze ausgewiesene Genrekenner Marcus Stiglegger in seiner leider äußerst knapp geratenen Exkursion widmet (und die zugleich den Auftakt der neuen Kultur & Kritik-Reihe des Bertz + Fischer-Verlags im Pocketformat bildet), folgen dieser Dramaturgie. Deswegen beschreibt der Begriff auch weniger ein Subgenre des Horrorfilms, sondern fungiert viel mehr als ideologischer Kampfbegriff, dessen Semantik die vermeintliche Verrohung bereits ausbuchstabiert, so dass sich suggestiv die Frage, ob es sich bei den inkriminierten Filmen überhaupt um Kunstwerke handelt, von selbst erledigt. Im Fahrwasser der Erfolge von Filmreihen wie „Hostel“ oder „Saw“ hat sich insbesondere im europäischen Raum ein gewalttätiges Kino etabliert, das auf den ersten Blick streng vereinnahmt ist von sich stark ähnelnden erzählerischen Mustern. In einem Satz zusammengefasst: In den backwoods und suburbs lauert der mal mehr mal weniger bürgerliche Mensch und setzt mit rabiater Aggression dem Körper seiner Opfer zu. Streng genommen, ließe sich bereits fragen, ob es sich bei diesen Werken überhaupt um Horrorfilme handelt, denn in ihnen ist jede Ahnung einer metaphysischen Existenz getilgt (einer der Gründe, weswegen Stiglegger auf den Terrorfilmbegriff ausweicht). Die augenscheinlichste Verbindung besteht darin, dass sich beide reichlich beim Splatter als Methode bedienen, und dies ist weit mehr als eine kleinkrämerische Frage nach der korrekten Zuordnung im filmwissenschaftlichen Jargon. Denn die Konzentration auf die Destruktion des menschlichen Körpers ist für Stiglegger das Fundament für seine genrehistorischen und kulturanalytischen Überlegungen.

Um den Ritt durch die Filmgeschichte nicht völlig ausufern zu lassen und die Spezifika des oftmals auf Drastik und dem Arrangement von set pieces setzenden gegenwärtigen Körperhorros zu akzentuieren, greift Stiglegger auf Batailles ästhetisch-philosophisches Konzept der Souveränität zurück. Dadurch erhebt er den Zuschauer in die Rolle eines ethisch in eine Schieflage geratenden Subjekts, und diese Schieflage ist nur mit den Modi der Inszenierung zu denken: Die Erhabenheit des sich real gerierenden Grauens ist entweder gekoppelt an eine Distanzeinbuße oder an eine Distanzzunahme, beides drängt den Zuschauer zu einer Positionierung gegenüber den präsentierten Gewaltakten. Die können exploitativ (wie etwa im Großteil der italienischen Kannibalenfilme der 70er Jahre) und ebenso auf sadomasochistische Weise empathisch daherkommen. Für Letzteres würde die (stets pornographisch konnotierte, also mechanisierten Lustgewinn unterstellende) Kritik des Selbstzweckhaften gegenstandslos, weil sie eine Komplizenschaft des Zuschauers mit dem dargebotenen Grauen attestiert, die allenfalls ambivalent, jedenfalls ganz und gar nicht eindeutig ist: Das Switchen zwischen Täter- und Opferperspektive ist dann ebenfalls lesbar als psychologisches Rollenspiel des Souveräns, der seiner tyrannischen Impulse überführt wird, beispielsweise wenn in „Hostel 2“ der Körper zur letztgültigen Ressource degradiert ist, seine Warenhaftigkeit sich buchstäblich in der Verfügungsgewalt über seine Folter und Zerstörung verdichtet und aus der Schlachtplatte eine radikalisierte Kapitalismusparabel wird.

Gerne hätte man noch mehr von diesen politischen Implikationen gelesen. Stiglegger belässt es bei einigen Andeutungen, etwa wenn er die Gewalttätigkeiten als Reaktion auf eine viel gewalttätigere Realität versteht, deren offiziösen Bildproduktionen nicht zuletzt anhand der Folgen des 11.9. einem Paradigma der gleichzeitigen Teilnahme und Distanz gehorchen. Dies wäre auch der einzige Kritikpunkt: An Material erreicht das Büchlein den Umfang einer länger geratenen Hausarbeit. Eine solche Kritik kollidiert jedoch mit dem (von mir mal unterstelltem) Selbstverständnis der Kultur & Kritik-Reihe, nämlich schnell und pointiert auf zeitgenössische Diskurse zu reagieren. Und in diesem Sinne präsentiert Stiglegger nicht nur einen lückenlosen Überblick, sondern auch den ersten Baustein für eine Theorie des zeitgenössischen Terrorkinos.

Marcus Stiglegger: „Terrorkino. Angst/Lust und Körperhorror“
Bertz+Fischer Verlag, Berlin 2010, 108 Seiten, 45 Fotos, 9,90 Euro