„Ich habe entschieden, das Sprechen nicht zu zeigen“

von Wolfgang Nierlin


Sophie Heldman im Gespräch über ihren Film „Satte Farben vor Schwarz“.

Wolfgang Nierlin: Warum haben Sie Ihren Film „Satte Farben vor Schwarz“ im Milieu des gehobenen Wohlstandsbürgertums angesiedelt?
Sophie Heldman: Ich habe das Drehbuch geschrieben aufgrund einer wahren Begebenheit. Das Paar, das mich zu dieser Geschichte inspiriert hat und das heute Mitte achtzig wäre, ist zehn Jahre früher aus dem Leben gegangen. Diese beiden Menschen hatten bei null angefangen und sich zu Wohlstand hochgearbeitet. Sie waren keine Künstler oder Außenseiter, sondern kamen aus der Mitte der Gesellschaft meines Schweizer Heimatortes Zug. Das hat mich interessiert. In der weiteren Recherche zum Stoff habe ich dann gemerkt, dass es mir dabei um die Wirtschaftswundergeneration beziehungsweise die Generation der Babyboomer geht, die wieder zu Wohlstand gekommen ist, für den sie aber auch viel gearbeitet hat. Die Repräsentanten dieser Generation haben zugleich das Leben bewusst genossen. Ein solches Paar steht im Mittelpunkt meines Films.

Meine Frage zielte auf den Eindruck, dass die Bilder, die diesen Wohlstand beschreiben, auch eine Form materieller Gefangenschaft oder Einengung vermitteln.
Auf die Frage, was ist bürgerlich und was interessiert mich an den Problemen reicher Menschen, die sich mir in der ersten Phase des Drehbuchschreibens stellte, hatte ich zunächst keine Antwort. Doch dann habe ich entdeckt, dass es darauf ankommt, wie man diesen Stoff erzählen möchte. Ich hatte plötzlich Lust, ganz genau hinzusehen mit einer Art soziologischem Blick, der auch etwas Ambivalentes hat.

Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen in der Analyse dieses Milieus, das in der filmischen Beschreibung für mich auch eine Art von Gefangenschaft ausdrückt, die bis zur Sprachlosigkeit geht. So wird beispielsweise die Krankheit des männlichen Protagonisten kaum kommuniziert. Was ist der Grund dafür?
Mir geht es nicht so. Ich habe mich in dem Film für Ellipsen entschieden, weil es um existentielle Fragen geht. Ich wollte keinen bevormundenden Film machen, sondern dem Zuschauer die Möglichkeit geben, seinen eigenen Blick zu entwickeln. Mir gefällt gerade, dass jeder das darin sehen kann, was für ihn stimmt. Für mich ist das kein sprachloses Paar; ich habe lediglich entschieden, dieses Sprechen nicht zu zeigen, weil ich den Zuschauern den Reichtum an eigener Interpretation nicht wegnehmen wollte. Mein Instinkt sagte mir, dass man es schon versteht und dass es vielleicht auch nicht schlecht ist, wenn man es nicht versteht. Denn vielleicht kommt das ja später. Der Eindruck der Sprachlosigkeit hat vielleicht mit der Wahrnehmung zu tun, dass sonst immer alles ausgesprochen wird. Aber bei diesem Thema wollte ich dem Zuschauer nichts wegnehmen.

Spiegelt sich dieses von mir empfundene Kommunikationsdefizit nicht auch im Verhältnis des Protagonisten zu seinen Kindern beziehungsweise zu seiner Enkelin? Ich hatte den Eindruck, dass der von Bruno Ganz dargestellte Fred oft abwesend, fast nicht erreichbar wirkt.
Erwachsene sind nicht immer verfügbar. Niemand hat den Anspruch auf jemand anderen. Manchmal erreicht man sich und manchmal erreicht man sich nicht. Insofern haben meine Figuren auch keine Kommunikationsprobleme. Ich glaube vielmehr, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlich miteinander kommunizieren; und es gibt nicht nur eine Form von Wärme oder eine Form von Kälte, genauso wie es auch nicht eine Form von Emotionen gibt. Ich wollte eine Nähe zeigen, die aus der Distanz entspringt. Was der Zuschauer da rein interpretiert, bleibt ihm freigestellt.

Erzählt für Sie der Film auch eine Liebesgeschichte?
Nicht nur, aber es ist sicher eine Geschichte, die von einem Paar erzählt, das ein Leben lang durch ein starkes Band miteinander verbunden ist. Ich stütze mich dabei auf Beobachtungen, die ich an solchen Paaren gemacht habe. Dazu kommt vieles, was die Schauspieler aus ihrer Lebenserfahrung eingebracht haben, wobei ich vor allem deren Ambivalenz spannend finde. Ich wollte insofern eine echte Beziehung zeigen.

Wie war eigentlich die Zusammenarbeit mit Senta Berger und Bruno Ganz und wie kam es dazu?
Ich kann nicht für die beiden sprechen und weiß insofern auch nichts über ihre Motivation, an diesem Film mitzuarbeiten. Was mich betrifft, habe ich fünf Jahre lang intensiv am Drehbuch gearbeitet und dadurch ein intimes Verhältnis zu den Figuren entwickelt. Und aus dieser Intimität heraus habe ich die Schauspieler gefunden, die das Potenzial hatten, zu diesen Figuren zu werden. Das hat also ganz eng mit dem Stoff zu tun. Senta Berger und Bruno Ganz waren meine Wunschbesetzung. Ohne sie hätte ich den Film nicht gemacht. Und ohne sie hätte auch die Sprachlosigkeit der Figuren nicht so funktioniert. Diese ist von mir insofern gewünscht, als man durch sie ein Gefühl für die Sprache innerhalb von Beziehungen bekommt. Das ist so, als würde man mit der Lupe an etwas herangehen, was sich dann vergrößert und das man deshalb auch nicht erklären muss. Dies war nur mit diesen beiden Schauspielern und der Spannung, die sie zueinander entwickeln, möglich. Und ich bin sehr froh, dass das geklappt hat.

Am Schluss des Films bringen sich die Ehepartner um. Warum blenden Sie die Reflexion über diese Entscheidung, die gerade in der Perspektive der Frau andere Voraussetzungen hat, in Ihrem Film aus?
Damit es im Zuschauer reflektiert wird. Ich habe auf Erklärungen verzichtet, damit man selbst eine Haltung dazu entwickeln kann. Meine Absicht war es, die aktuelle gesellschaftliche Debatte darüber, wie man sterben möchte, aufzugreifen. Zum anderen wollte ich aber auch dem Nachdenken und den Vorstellungen über das Älterwerden eine Facette hinzufügen. Wenn der Film diesbezüglich Fragen aufwirft, ist das gut.

Sie haben an der dffb studiert. Fühlen Sie sich der sogenannten Berliner Schule zugehörig? Mir scheint es stilistische Verwandtschaften in Ihrem elliptischen, unkommentierten Erzählen zu geben.
Ich glaube es existieren Verwandtschaften über Filmgenerationen und Länder hinweg. So gibt es beispielsweise eine Nähe zwischen Fassbinder, Ozon und Almodóvar. Ich fühle mich dem taiwanesischen, bereits verstorbenen Regisseur Edward Yang verbunden. Seine zurückhaltende Art, von Gefühlen zu erzählen, liebe ich besonders. Young wiederum war in den siebziger Jahren ein großer Fan des Neuen deutschen Films. Was die Vertreter der Berliner Schule betrifft, die es ja in dieser Form nicht gibt, interessiert mich vor allem der Versuch, Geschichten auf andere, ungewöhnliche Weise zu erzählen und damit auch andere Gedanken und Gefühle auszulösen. In Bezug auf meine Arbeit war die wahre Geschichte emotional und gedanklich so stark und vielschichtig, dass ich dies in einem Film erzählen wollte. Die Perspektive, die ich mit meiner Art des Erzählens schließlich darauf entwickelt habe, ist nur eine mögliche unter anderen. Jeder nimmt von diesem Film, der große existentielle Fragen verhandelt, das für ihn Passende mit. Dabei mache ich mich nicht zum Sprachrohr der beschriebenen Generation. Mein Film ist insofern kein Plädoyer für den Freitod im Alter, auch wenn ich die Entscheidung meiner Protagonisten nachvollziehbar und mutig finde.

Link zur Filmkritik zu „Satte Farben vor Schwarz„.

Foto: © Farbfilm