„Die Perspektive will nicht bloß ein weiteres Schaufenster sein!“

von Ricardo Brunn


Ein Gespräch mit Linda Söffker, der Leiterin der „Perspektive Deutsches Kino“ über die Berlinale 2012 und Veränderungen innerhalb der Sektion, Aussichten auf 2013 sowie den steten Kampf um Aufmerksamkeit.

Ricardo Brunn: Das Programm für die kommende Berlinale steht fest. Sechs Spiel-, drei Dokumentar- und zwei Kurzfilme haben es in die Auswahl geschafft. Wie entsteht ein Programm der Perspektive?
Linda Söffker: Erst mal heißt es Filme sichten, dann abwarten und setzen lassen. Oft ist es einfach auch Glückssache. Am Anfang habe ich höchstens das Gefühl vom letzten Jahr, was da gut war. Und dann ist es so, dass das Erste, was einen begeistert – vielleicht etwas total Trashiges – das bestimmt natürlich ein wenig das Gefühl für ein mögliches Programm. Dann schaue ich weiter und sehe, dass das nur ein Eckpunkt des Programms sein kann. Jetzt müsste es eigentlich so etwas wie einen kunstvollen Dokumentarfilm als Gegenpol geben. Nach drei oder vier ausgewählten Filmen stelle ich vielleicht fest, dass ich noch einen Film von einer Frau brauche. Da mach ich mir nichts vor, natürlich spielen solche Sachen eine Rolle. Es gibt da kein Rezept, sondern es kommt häufig auch darauf an, wie man drauf ist.

Schauen Sie bei der Auswahl mit einem Auge auch darauf, wie das Programm von der Öffentlichkeit angenommen werden könnte?
Natürlich behaupte ich, ich habe die besten Filme ausgewählt. Nur, das ist eben eine sehr persönliche Kategorie. Ich achte selbstverständlich darauf, ob sich Themen heraus kristallisieren. Vor allem muss man immer darauf achten, Abstand zu wahren und was mir sehr dabei hilft, ist, dass ich die Filme auch anderen Leuten zeige, also beispielsweise meinem Freund oder einem unserer Auszubildenden. Am Ende muss ich zwar auf meinen Bauch hören und das machen, was ich für richtig halte, aber ich hole da schon gern mehrere Meinungen ein.

Bei der vergangenen Berlinale haben Sie eine Veränderung bei der Auswahl der Filme vorgenommen. Es liefen deutlich weniger Studentenfilme in der Perspektive als in den Jahren zuvor. Bei den Langfilmen war es gerade einer, bei den mittellangen Filmen und den Kurzfilmen etwa 50%. Wie kam es zu dieser Veränderung?
Ich habe mir im letzten Jahr viel Zeit genommen, auch die Filme genau zu sichten, die keinen Hochschulhintergrund hatten, um zu sehen, was es da Interessantes gibt, um dem auch Raum zu geben. Das sind oftmals Filme, die mit wesentlich weniger Unterstützung, also Beihilfen von einer Hochschule in Form von Equipment, einer Ausbildung und so weiter entstehen. Die Filmemacher sind sehr auf sich gestellt. Das allein macht natürlich keinen guten Film aus, aber ich wollte einfach schauen, was es da gibt. Mir ist zudem in den letzten Jahren aufgefallen, dass die Kurzfilme und die mittellangen Filme immer Hochschulfilme waren. Es gibt aber auch Filme von Nichthochschülern, die dieses Format bedienen. Und das war schon mein Ehrgeiz zu zeigen, dass da interessante Filme sind. Ich habe einfach ein Herz für unabhängige Filmemacher.

Ging es mit der Umgestaltung des Programms also auch darum, eine Lücke für die Perspektive im Festivaldschungel zu finden?
Ich will gar nicht den Vergleich zu anderen Festivals aufmachen. Auf der Berlinale laufen deutsche Nachwuchsfilme ja auch im Wettbewerb und in den anderen Sektionen. Maren Ade zum Beispiel oder Burhan Qurbani. Da muss die Perspektive auch ihr Feld finden und ihre Berechtigung haben. Man muss ja immer sein Alleinstellungsmerkmal herausarbeiten, wie es so schön heißt. Die Perspektive will nicht nur ein weiteres Schaufenster für den Nachwuchs sein!

Das heißt, es gibt ein Darstellungs- oder Wahrnehmungsproblem?
Ja, klar. Ich selbst nehme das natürlich nicht so wahr, ich bin ja der Mittelpunkt der Perspektive (lacht). Deswegen muss man immer ein wenig an den Rand gehen, um das mitzubekommen. Aber natürlich, wenn die Berlinale der große Laster ist, ist die Perspektive nur eines von vielen Rädern. Wir sind Teil der Berlinale und die Berlinale wird als Ganzes wahrgenommen. Und sich da, auch gegenüber anderen deutschen Festivals, als Reihe inhaltlich abzusetzen, das ist eine Arbeit, die ich betreibe und von der ich hoffe, dass sie zumindest wahrgenommen wird und auf einem guten Weg ist. Mir geht es wirklich darum mich zu öffnen.

Kommt es manchmal vor, dass Sie auf anderen Festivals sind und dort Filme sehen, bei denen Sie denken: „Verdammt, warum lief der jetzt nicht bei mir?“
Ja (geflüstert). „Oh Boy“ wäre ein Film gewesen, der so was von nach Berlin gepasst hätte. Da war ich richtig neidisch, als ich den in München gesehen habe, weil ich im Februar schon so ein Gefühl hatte, dass der gut werden würde. Aber da war er eben noch nicht fertig.

Ist es frustrierend, wenn Filmemacher auch ganz bewusst nicht in die Perspektive wollen?
Ich hoffe immer, dass jeder Film sein Festival findet. Natürlich bin ich davon überzeugt, dass die Perspektive und das, was wir für den Nachwuchs unternehmen, gut ist. Aber jeder hat natürlich andere Ansprüche. Und vielleicht sagen die Produzenten und Filmemacher: ‚Nein, in die Perspektive will ich nicht’, warum auch immer. Manchmal ist das im Nachwuchsbereich auch Unerfahrenheit. Ich kämpfe dann um die Filme und versuche zu überzeugen. Das ist auch ein großer Teil meiner Arbeit. Es gibt aber bestimmte Sachen, die kann ich nicht sprengen. Wenn jemand eine internationale Karriere machen möchte und sein Film in die Quinzaine des Réalisateurs eingeladen wird, dann kann ich nichts machen. Dort bekommt er vielleicht mehr internationale Aufmerksamkeit. Ich wäre auch blöd, wenn ich mich da quer stellen würde. Am Ende muss das jeder für sich entscheiden.

Ist die Tatsache, dass es in der Perspektive keinen Preis für den besten Film zu gewinnen gibt, vielleicht ein Problem für die Wahrnehmung der Sektion?
Das stimmt ja so nicht. Wir haben den Preis des Deutsch-Französischen Jugendwerks DFJW Dialogue en Perspective, der in diesem Jahr auch zum ersten mal mit 5.000 € dotiert ist. Das ist eine deutsch-französische Jury bestehend aus jungen Leuten zwischen 18 und 29 Jahren. Ich finde das auch einzigartig, dass keine Experten den Preis vergeben. Das ergibt eine besondere Sichtweise auf Film. Außerdem habe ich im letzten Jahr den Made in Germany – Förderpreis Perspektive etabliert, der von Glashütte Original gestiftet wird und mit 15.000 Euro dotiert ist.

Und der ohne Frage Aufmerksamkeit generieren wird und zudem ein sehr gutes Instrument ist junge Filmemacher zu binden, weil sie bei kommenden Projekten unterstützt werden können. Trotzdem ist es ein Unterschied, ob man eine Jury bestehend aus namhaften Produzenten, Regisseuren und Schauspielern hat, gerade im Vergleich mit anderen Festivals, meinen Sie nicht?
Sie müssen auch sehen, es gibt viele Preise innerhalb der Berlinale. Das ist ein bestehendes Konstrukt, aus dem nicht jeder ausbrechen kann wie er will. Wir müssen auch andere Werte schaffen, warum ein Film in der Perspektive laufen sollte. Es geht darum, wie die Filmemacher wahrgenommen werden, wir schaffen eine besondere Aufmerksamkeit, indem wir viele Treffen und Empfänge organisieren. Im vergangenen Jahr hatte ich zum Beispiel viele Filmemacher, die schon über vierzig waren, und trotzdem sind die das erste Mal über den roten Teppich gelaufen und haben sich auf internationalem Parkett bewegt.

Die Veränderung der Programmstruktur und der Förderpreis waren im vergangenen Jahr Mittel, Aufmerksamkeit auf die Perspektive zu lenken und die Wahrnehmung zu verbessern. Wird es in diesem Jahr weitere Veränderungen geben?
Was wir im letzten Jahr beispielsweise zum ersten Mal gemacht haben, war Reden über Film, eine Gesprächsreihe über die Filme der Perspektive. Das möchte ich gern weiterführen, weil mir immer ein Ort gefehlt hat, an dem wir in Ruhe mit den FilmemacherInnen reden konnten. In diesem Rahmen ist es möglich, die Filme thematisch zu verbinden und mit mehreren FilmemacherInnen über ein Thema zu reden, also beispielsweise „Über Umwege zum ersten Film“ oder „Produzieren ohne Fernsehen“. Außerdem wird, wie schon erwähnt, der Dialogue en Perspective mit 5.000 Euro dotiert sein. Und ich konnte Emily Atef für den Juryvorsitz gewinnen.

Wo würden Sie die Perspektive nach etwas mehr als 10 Jahren des Bestehens und nach zwei Jahren als Leiterin der Sektion in Zukunft gern sehen?
Ich schaue nicht so gern zurück. Für mich spielt im Blick auf die zukünftige Perspektive eine Rolle, Regisseurinnen und Regisseure zu finden, die nicht immer die Hauptstraße benutzen. Bei mir geht es um die Vorstellung, dass, wie es Lars Henrik Gass (Festivalleiter der Kurzfilmtage Oberhausen, Anm. d. Red.) gesagt hat, wenn man auf ein Festival geht, es genauso ist, wie wenn man in eine gute Buchhandlung geht und dort beim Stöbern etwas findet, wonach man vorher nicht gesucht hat. Man schaut eben nicht einfach nach den Bestsellern. Und so stell ich mir das für die Perspektive auch vor.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Glück für die kommende Berlinale.

Foto: © Internationale Filmfestspiele Berlin