Destroy All Movies!!!: The Complete Guide to Punks on Film

Überfällige Geschichtsrevision
von Oliver Nöding

Was haben so unterschiedliche Filme wie Penelope Spheeris‘ „Suburbia“, Uli Edels „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”, der Troma-Film „Atomic Hero“, Mark L. Lesters „Die Klasse von 1984“, Howard Deutchs Teenieromanze „Pretty in Pink“, die Achtzigerjahre-Hitkomödie „Crocodile Dundee“, Verhoevens „RoboCop“, Dennis Hoppers „Out of the Blue“, Scorseses „Die Zeit nach Mitternacht“, Julian Schnabels Biopic „Basquiat“ oder die G.G.-Allin-Doku „Hated“ miteinander gemein? Die Antwort: In allen sind Punks in mehr oder weniger prominenten Rollen vertreten und das qualifiziert sie automatisch dazu, in „Destroy All Movies!!! The Complete Guide To Punks On Film“ besprochen zu werden.

Filmische Nachschlagewerke gibt es wie Sand am Meer. Neben umfangreichen Enzyklopädien wie dem „Lexikon des internationalen Films“, das den Anspruch erhebt, jeden im Westen irgendwie erhältlichen oder einmal gezeigten Film zu listen, oder einem Werk wie Thomas Koebners „Filmregisseure“, das sich Biografie und Werk der vermeintlich wichtigsten Regisseure der Filmgeschichte essayistisch annähert, kann man mittlerweile zu nahezu jedem Genre oder Subgenre das passende Lexikon finden, wobei sich vor allem die schillernde Welt des Exploitationfilms durch ein kaum zu überschauendes Angebot hervortut.

Ob Splatter-, Zombie-, Frauengefängnis-, Kannibalen- oder Vampirfilm, ob Mex-, Blax-, Sex-, Nazi- oder Nunsploitation: Jedes noch so kleine B-Film-Phänomen ist publizistisch bereits akribisch aufgeschlüsselt und urbar gemacht worden. Nun gesellt sich mit „Destroy All Movies!!! The Complete Guide To Punks On Film“ jenem ausufernden Angebot ein Buch hinzu, dessen Herausgeber sich der Aufgabe verschrieben haben, eine Filmgeschichte des „Punks“ zu schreiben. Alphabetisch nach dem internationalen (also meist englischen) Verleihtitel sortiert, finden sich auf 460 großformatigen Seiten rund 1.100 Einträge zu Filmen aus aller Herren Länder und einem Produktionszeitraum, der ungefähr das letzte Viertel des vergangenen Jahrhunderts abdeckt. Was das Buch von den oben beschriebenen Genre-Enzyklopädien abhebt und seinen großen Reiz ausmacht, ist die Lockerheit der Auswahlkriterien, die die Autoren zugrunde gelegt haben: Eingang in das Buch fand jeder Film, der wenigstens einmal einen „Punk“ – bzw. einen Menschen, der einen solchen darstellen soll oder als solcher zu identifizieren ist – ins Bild setzte. Somit widmet sich der weit überwiegende Teil des Buches mitnichten dem „echten“ Punkfilm, also einem Subgenre, das den Punk und seine Subkultur thematisiert, möglicherweise sogar selbst Erzeugnis dieser Subkultur ist oder sich zumindest darum bemüht, ihn besonders authentisch darzustellen, sondern der Abbildung dieser Figur durch die neuere Filmgeschichte hindurch.

„Destroy All Movies!!! The Complete Guide To Punks On Film“ emanzipiert sich so vom reinen Gebrauchswert als Nachschlagewerk und tritt ein in die Sphäre der Kulturkritik: Es wird deutlich, wie der Punk und seine Bedeutung in der Massenkultur trivialisiert und marginalisiert, er negativ auf die Funktion des grellen Bürgerschrecks oder positiv auf die des durchgeknallten Paradiesvogels reduziert wurde. Dieser Zug tritt in der Gegenüberstellung mit der Subkultur ernsthaft verpflichteten Independent-Produktionen, die sich um eine vorurteilsfreie, differenzierte Zeichnung des Punks und der Szene, der er angehörte, bemühten, noch deutlicher hervor. Den Autoren kommt mithin nicht nur das Verdienst zu, die Kluft zwischen Wirklichkeit und massenmedialer Aufbereitung transparent zu machen, sie skizzieren anhand eines ganz konkreten Beispiels gleichzeitig die historisch-dialektische Entwicklung einer einst subversiven Kultur über Rezeption, Aneignung, Umformung und Trivialisierung bis zu ihrer Neutralisierung.

Seinem Sujet angemessen, ist „Destroy All Movies!!! The Complete Guide To Punks On Film“ jedoch keine trockene theoretische Abhandlung geworden: Die einzelnen Texte sind von Fans des Abseitigen intelligent, pointiert und witzig geschrieben, zeichnen sich zudem durch eine frische Perspektive aus, die die Wiederentdeckung vernachlässigter oder aber längst vergessener Filme begünstigt. Ergänzt werden die von kurzen Absätzen bis zu längeren Aufsätzen reichenden Filmtexte immer wieder durch Interviews mit Musikern, Filmschaffenden und Schauspielern, die die Entstehungsgeschichte der Filme beleuchten oder über ihre Verbindungen zur Punkszene berichten. So kommen u. a. Ian McKaye, Wolfgang Büld, Ulli Lommel, Penelope Spheeris, Allan Arkush, Martah Coolidge, Bruce LaBruce, Nick Zedd und zahlreiche weitere zu Wort, die nicht gerade zu den üblichen Verdächtigen zu zählen sind.

Da das Buch auch gestalterisch ein absolutes Schmuckstück geworden ist, sich in seinem dreifarbigen Design an den handkopierten Fanzines der Szene orientiert und wahrscheinlich bald vergriffen sein dürfte, muss man es eigentlich als Pflichtkauf bezeichnen – zumindest für Leser, die des Englischen mächtig sind, denn leider gibt es das Buch nicht in deutscher Übersetzung. Für diese jedoch dürfte die Investition von knapp 26 Euro noch nie punkrockiger gewesen sein als hier.

Zack Carlson, Bryan Connolly (Hg.): Destroy All Movies!!!: The Complete Guide to Punks on Film
Fantagraphics Books, 2010, 460 Seiten, 25,99 Euro. engl.