„Alle sind wunderschön angezogen“

von Sven Jachmann


Wenzel Storch, Jahrgang 1961, ist Filmemacher, Autor, Comiczeichner und Grundlagenforscher der Popgeschichte des deutschen Katholizismus. Sein erstes Theaterstück „Komm in meinen Wigwam“ läuft zurzeit in Dortmund.

Sven Jachmann: Du hast keine große Verbindung zum Theater, und trotzdem wird dein Stück „Komm in meinen Wigwam“ seit Oktober in Dortmund aufgeführt. Die Kritik ist begeistert und jede Vorstellung ausverkauft. Wie geht das?
Wenzel Storch: Eines Tages habe ich eine Mail vom Intendanten Kay Voges bekommen, ob ich nicht Lust hätte, mal was am Theater zu machen. Ins Spiel gebracht hatte mich wohl Jörg Buttgereit, der ja schon seit einer ganzen Weile erfolgreich in Dortmund inszeniert. Dann haben wir uns – im Kreise von drei, vier Dramaturgen – mal unverbindlich getroffen, und dabei wurde dann das „Wigwam“-Projekt ausgeheckt.

Gibt es Vorbilder im Theaterbereich, oder war das ein Sprung ins kalte Wasser?
Nein, Vorbilder gibt es nicht. Ich bin überhaupt kein großer Theaterfreund und habe das bei diesem ersten Treffen auch deutlich raushängen lassen. Ich habe mich vielleicht drei- oder viermal in meinem Leben ins Theater verirrt, das erste Mal mit der Schule, da mussten wir uns den „Zerbrochenen Krug“ im Stadttheater anschauen. Das war eine klägliche Veranstaltung, todlangweilig und nervtötend. Ansonsten kenne ich Theater nur aus dem Fernsehen. Da sieht man manchmal Leute, die sich die Kleider vom Leibe reißen und laut kreischend um riesige Kloschüsseln herum rennen, und dazu donnert irgendwelche Opernmusik. Jetzt, bei „Komm in meinen Wigwam“, sind aber alle wunderschön angezogen, wie sich das für ein römisch-katholisches Theaterstück gehört. Dass auf der Bühne alles so hübsch aussieht, ist das Verdienst der Ausstatterin Pia Maria Mackert. Als wir wegen des Stücks zum ersten Mal telefoniert haben, haben wir uns – quasi zur Einstimmung – Kastelruther-Spatzen-Videos auf Youtube angeguckt. Dabei hat sie sich totgelacht – da war also sehr schnell klar, dass das eine gute Zusammenarbeit werden würde. Denn mit der Ausstattung steht und fällt natürlich das Stück, gerade, wenn man vorher drei ziemlich ungezügelte Ausstattungsfilme gedreht hat.

Du hast mal in einem Interview gesagt, dass stets das gefundene Material den Weg deiner Filme bestimmt hat. War das beim Theater anders? Oder anders gefragt: Wie viel Theaterbetrieb hat den Storchschen Hang zur unangeleinten Ideenakkumulation im Zaum gehalten? Bestand irgendwann die Gefahr, sich zu verzetteln?
Eigentlich nicht. Ich hatte einfach Glück, dass ich inspirierte Leute um mich hatte. Und was die unangeleinten Ideen anbetrifft, da hatte ich mich beim Schreiben schon vorsorglich am Riemen gerissen. Was nicht heißt, dass nicht ein paar tolle Ideen am Ende doch noch unter den Tisch gefallen wären. Aber so ist das ja immer – und es ist natürlich unglaublich luxuriös, einen solchen Riesenapparat zur Verfügung zu haben. Werkstätten, die einem einfach alles basteln, was man haben will … Aber natürlich: Die Angst, dass das am Ende nicht funktioniert, die saß mir ziemlich im Nacken. Nach der ersten Hauptprobe dachte ich: O Gott, das wird eine einzige Katastrophe!

Waren deine zuvor in Konkret veröffentlichten Essays zu Berthold Lutz und der christlichen Aufklärungs- und Erbauungsliteratur der 50er und 60er Jahre erste Wahl für ein Theaterstück?
Nein, überhaupt nicht. Ich hätte lieber katholisches Bauerntheater gemacht – also schön stumpf und „narrativ“ Messbuben und Schwarzröcke über die Bühne stampfen lassen. Was mir da im Kopf herumspukte, ging eher in Richtung Komödienstadl, nur eben sakral-psychedelisch. Ich glaube, das schien den Dortmundern dann zu gewagt, denen schwebte – ich nehme an, aus Sicherheitsgründen – eher ein Mix aus Spielszenen, Storch-typischen Kulissen und Filmeinsprengseln vor. Ich nehme an, um sich ein bisschen abzusichern, die kannten ja meine Filme und wollten keinen Reinfall erleben. Da kam mir dann der Einfall mit der Berthold-Lutz-Revue – der zu diesem Zeitpunkt übrigens noch lebte und auf den ich in Konkret vor ein paar Jahren ein rund 20-seitiges Loblied singen durfte. Die Aufgabe war also, einen katholisierenden Essay auf die Bühne zu bringen, und da kam mir dann sehr bald die Idee mit dem bunten Gemeindeabend, in dem christliches Laienspiel genauso Platz haben würde wie irgendwelche Filmschnipsel oder Tanzeinlagen.

Wie und unter welchen Kriterien hast du die Schauspieler ausgesucht?
Die wurden mir sozusagen auf dem Silbertablett serviert. Mein Dramaturg Thorsten Bihegue, der im Stück den Privatgelehrten aus Heiligenhafen spielt, hat die aus dem Dortmunder Laienspiel-Pool rekrutiert: Kaplan Buffo, der siebzigjährige Held des Stücks, entstammt dem Seniorentheater, die Nonnen sind dem hundertköpfigen Sprechchor entsprungen und die jungen Menschen – der aufgeweckte Bub, das quirlige Mädel und die beiden Messdiener – sind Mitglieder der sogenannten Theaterpartisanen. Der einzige professionelle Schauspieler ist Ekkehard Freye, der spielt den öligen Gemeindevorsteher. Thorsten Bihegue hatte das Stück also im Vorfeld schon perfekt besetzt, das brauchte ich dann nur noch abzunicken. Der hatte seine Finger auch dick und fett in den Tanzszenen drin – zum Beispiel, wenn die Barmherzigen Schwestern ihren erotischen Ringelpiez aufführen. Dieser anmutige Reigen – so was zu choreographieren ist nicht unbedingt mein Gebiet, da wäre ich ohne den Dramaturgen aufgeschmissen gewesen.

Dein Stück ist ein bunter katholischer Revueabend, viel Witz, viel Kritik, und auch viel Distanz durch bizarre Überhöhung. Vermutlich bist du alleiniger Experte auf dem Gebiet christlicher deutscher Aufklärungsliteratur. Gab es Titel oder Passagen in den verwendeten Büchern, die du absichtlich weggelassen hast, weil sie zu krass, schlichtweg zu angsteinflößend waren?
Eigentlich nicht. Obwohl, es gibt da sehr finsteres Zeug. Die Texte des Berthold Lutz, so schlimm sie sind, haben ja noch einen halbwegs freundlichen Ton, und manchmal blitzt sogar ein poetischer Funke auf. Aber es gibt auf dem Sektor der katholischen Sexliteratur auch Autoren, die sind einfach nur brutal und roh, da fühlt man sich untenrum regelrecht begrapscht. Und um zu zeigen, was für eine unappetitliche Parallelwelt da existiert hat, gibt es ja dann den Ausdruckstanz des Privatgelehrten, der sich gegen Ende des Stücks als „Deutschlands Traktate-Instanz Nummer 1“ entpuppt. Da tobt er zu einer weichgespülten Version von „Silvermachine“ in nicht gerade christlichen Verrenkungen über die Bühne, während im Hintergrund ein nicht enden wollendes Kleinschriften-Stakkato über die Leinwand flackert. Schmuddelhefte mit Titeln wie „Alles spricht von Liebe“, „Was ist denn schon dabei?“, „Sie tun es ja alle“, „Wieso nicht vor der Ehe?“, „Zu Hause dicke Luft“ und wie die Dinger alle heißen.

Du kommst aus einer hardcorereligiösen Familie, und in deinen Arbeiten als Regisseur und Autor spielen die Selbstpräsentation, Ideen und Leitbilder des Katholizismus eine riesige Rolle. Was ist eigentlich deine Erklärung dafür, dass so viele Menschen so beharrlich auf Gott zählen?
Manchmal denke ich ja, die sind alle irre … Aber ernsthaft: Die einen glauben halt an den lieben Gott, und die anderen suchen Trost bei Andrea Berg oder Helene Fischer. Ich kann das gut verstehen. Mit elf habe ich zum Beispiel geglaubt, dass Black Sabbath die beste Band der Welt ist. Und das glaube ich im Grunde heute noch. Wenn ich die Macht dazu hätte, würde ich das zur Staatsreligion erklären und dafür Steuern erheben. Und für diesen meinen Glauben jede Menge Respekt einfordern.

Du siehst Dich weder als Cineast, noch bist du sonderlich am Theater interessiert, hast dich aber trotzdem in beiden Bereichen ausgetobt und jedes Mal absolut außergewöhnliche, originäre Werke geschaffen. Ist das immer Zufall oder auch kreative Methode?
Das ist Zufall, das folgt keiner Methode. Als Karl-May-Leser habe ich allerdings gelernt, dass es keinen Zufall gibt. Bei Karl May ist in solchen Fällen immer die Hand Gottes im Spiel.

Hast du nun Theaterblut geleckt?
Theaterblut geleckt – das klingt etwas unappetitlich. Aber ja, natürlich: „Komm in meinen Wigwam“ gefällt mir selber ja auch viel zu gut. Also werde ich in der nächsten Spielzeit mein Glück noch einmal versuchen. Im Moment sitze ich gerade am Entwurf für ein zweites Stück, das höchstwahrscheinlich „Das Maschinengewehr Gottes oder Das Geheimnis der magischen Hostie“ heißen wird. Es wird also wieder katholisch, und Premiere soll im Dezember sein.

Dieses Interview ist zuerst erschienen in: Junge Welt, 04.02.2015.

Foto: © Birgit Hupfeld